Die Kernkraft ist in der Kritik. Es werden massiv höhere Sicherheitsmaßnahmen und eine verstärkte Verlagerung hin zu alternativen Energiequellen gefordert. Klar ist schon jetzt: Die Energiegewinnung der Zukunft verlangt einen professionellen Umgang mit dem Thema Risiko.
Fukushima hat unsere Wahrnehmung geschärft – und unser Risikobewusstsein. In ganz Europa debattieren Unternehmer, Politiker und Verbraucher inzwischen darüber, wie sich die Sicherheit bei der Energiegewinnung steigern lässt. Und dabei steht nicht nur die Versorgungssicherheit im Fokus, sondern besonders auch die Sicherheit vor Bedrohungen, die volkswirtschaftliche Schäden verursachen können. Vor allem im Energiesektor, aber auch in allen anderen Branchen wächst aus diesem Grund die Bedeutung von gezieltem, ganzheitlichem Risikomanagement.
Im japanischen Fukushima ging am 11. März dieses Jahres vieles schief. Die Erde bebte, das Stromnetz brach zusammen. In elf der 53 japanischen Kernkraftwerksblöcken erfolgte sofort eine korrekte Notabschaltung und die Notstromgeneratoren liefen an. Der vom Beben ausgelöste Tsunami überflutete im Kraftwerk Fukushima Daiichi die zu niedrig ausgelegten Schutzmauern, was offensichtlich zum Ausfall der Notstromgeneratoren führte. Die Batterien – die zweite Absicherung bei einem Stromausfall – waren rasch leer. Da weder Strom aus dem zusammengebrochenen Stromnetz noch durch die Notstromgeneratoren zur Verfügung stand, kam es zum Totalausfall der auch nach einer Notabschaltung erforderlichen Kühlung.
Risikomanagement und das Undenkbare
Alle drei Ereignisse waren im Vorfeld als Risiken erkannt und bewertet worden. Zudem gab es sicherlich Maßnahmenpläne für diese Risiken. Das ist der übliche Ablauf im Risikomanagement. Geschehen dabei jedoch Fehler, ziehen sie sich durch die gesamte weitere Planung. Während der Konstruktion des AKW in Fukushima im Jahr 1967 wurden Tsunamis nicht in Betracht gezogen und Erdbeben lediglich bis zu einer Stärke von 8 auf der Richterskala angenommen.
Zum Problem wurde letztlich aber nicht ein einzelnes erkanntes und bewertetes Risiko, sondern die Verkettung von mehreren Vorfällen. Ein Sachverhalt, der auch in die Risikoanalysen von europäischen Kraftwerken nicht einfließt. Risiken werden häufig als singuläre Ereignisse betrachtet und deren Bewältigung geplant. Deshalb ist es wichtig, solche Szenarien wie Verkettungen, auch wenn sie unwahrscheinlich sind, bereits im Vorfeld durchzuspielen. Dabei geht es vorrangig um die Frage, wie sich der Betrieb auch dann noch aufrechterhalten lässt, wenn trotz Maßnahmen eine Krisensituation eintritt. Also darum, sogar auf das Undenkbare vorbereitet zu sein.
Schwarze Schwäne als Sinnbild des Undenkbaren
Reichen die eingeleiteten Maßnahmen trotz intensiver und professioneller Auseinandersetzung des Unternehmens mit dem Thema Risiko nicht aus, ist ein Jahrhundertereignis eingetreten: ein „Schwarzer Schwan“. Das passiert nur sehr selten, aber es kommt vor. Der Schwarze Schwan war bis zum 17. Jahrhundert Sinnbild für etwas, das nicht sein konnte. Als 1697 eine holländische Expedition in Australien schwarze Schwäne entdeckte, wurden diese zur Metapher für das Eintreffen des Undenkbaren. Um von einem Schwarzen Schwan zu sprechen, muss ein Ereignis drei Kriterien erfüllen: Erstens liegt es außerhalb unserer Vorstellungskraft, zweitens hat es extreme Auswirkungen und drittens ist es rückblickend erklärbar.
Die Internetblase, 9/11, der Tsunami im Indischen Ozean, Hurrikan Katrina, die Finanzkrise und nun die Vorfälle in Japan – alle diese Ereignisse dürften als Jahrhundertereignisse oder Schwarze Schwäne gelten. Sie alle geschahen allerdings innerhalb von nur elf Jahren.
Risiken zu erkennen und zu bewerten wird immer komplexer
Experten sehen darin ein klares Signal dafür, dass sich die Risikolandschaft drastisch verändert. Damit ändern sich auch die Anforderungen an die Unternehmen aller Branchen. Nach den Auswirkungen der Finanzkrise steht nun der Umwelt- und Klimaschutz zunehmend im Mittelpunkt. Seit Fukushima geht es auch um die damit eng verbundene Frage nach Art und Verbrauch von Energie und den damit verbundenen Gefahren. Besonders im Hinblick auf die Kernkraft hat sich unsere Risikowahrnehmung schnell und fundamental verändert. Es werden neue und bessere Sicherheitsmaßnahmen sowie eine rasche und weitgehende Verlagerung hin zu erneuerbaren Energien gefordert.
Das alles stellt nicht nur die Unternehmen des Energiesektors, sondern alle Unternehmen vor große Herausforderungen. Sie müssen Gefahren langfristiger als bisher betrachten und dabei auch die ökologische und ethische Verantwortung mit einbeziehen. Das Erkennen von Risiken wird somit immer komplexer. Deshalb ist es unumgänglich, weiter zu denken und sich auf Unvorhersehbares vorzubereiten. Es stellt sich die Frage: Wie lassen sich die wichtigsten Systeme aufrechterhalten – und zwar in jedem Fall?
Die wichtigste Grundlage für einen erfolgreichen Umgang mit Gefahren ist aber die Risikowahrnehmung. Und dies bleibt weiterhin Sache der damit beauftragten Menschen. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema und die geeigneten Werkzeuge für einen effizienten Umgang mit Risiken können Schwarze Schwäne immerhin grau werden lassen, bisweilen sogar weiss.
Dies verlangt jedoch, dass das Thema Risikomanagement in Unternehmen einen hohen Stellenwert erhält. Das beginnt bereits in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), wird aber, je grösser das Unternehmen ist, umso wichtiger. Besonders für Kernkraftbetreiber ist eine proaktive und umfangreiche Risikobetrachtung einschließlich der Verkettung von Einzelrisiken eine Überlegung wert. Auch die Ausarbeitung von entsprechenden Notfallplänen gehört dazu, genauso wie eine transparente Kommunikation. Sicherlich würde dies nachhaltig zur Reduktion der aktuellen gesellschaftlichen Unsicherheiten rund um das Thema beitragen.
Autor:
Dr. Hans-Peter Güllich ist Unternehmensgründer und CEO der Avanon AG.
[Bildquelle: iStockPhoto]
Kommentare zu diesem Beitrag
Und jetzt? Welche Maßnahmen im Kontext der Energiegewinnung?
M.E. genauso wenig wie die Vorkommnisse in Fukushima. Die Argumentation hierfür liefert Herr Dr. Güllich gleich mit:
"Während der Konstruktion des AKW in Fukushima im Jahr 1967 wurden Tsunamis nicht in Betracht gezogen und Erdbeben lediglich bis zu einer Stärke von 8 auf der Richterskala angenommen. "
"Um von einem Schwarzen Schwan zu sprechen, muss ein Ereignis drei Kriterien erfüllen: Erstens liegt es außerhalb unserer Vorstellungskraft, zweitens hat es extreme Auswirkungen und drittens ist es rückblickend erklärbar. "
Erdbeben lagen doch eben nicht außerhalb der Vorstellungskraft der Konstrukteure.
Ich halte es da eher mit dem sehr guten Beitrag von Günter. Wir neigen einfach dazu, Sachverhalte zu simplifizieren und in uns gewohnte Modelle zu "pressen".