Bunderegierung kennt nur Best-Case-Szenarien

Sichere Versorgung gefährdet, Strom teuer


Bunderegierung kennt nur Best-Case-Szenarien: Sichere Versorgung gefährdet, Strom teuer News

"Die Energiewende ist nicht auf Kurs. Die Bundesregierung muss dringend umsteuern, damit die Transformation erfolgreich ist. Um Klimaneutralität bei gleichzeitiger sicherer, bezahlbarer und umweltverträglicher Versorgung mit Strom zu erreichen. Das Generationenprojekt Energiewende muss zielgerecht umgesetzt werden." So könnte man die Ergebnisse des Sonderberichts über die Umsetzung der Energiewende bei der Stromversorgung des Bundesrechnungshofes zusammenfassen. Wenn eine Entwicklung nicht auf Kurs ist, spricht man auch von Planabweichungen. Hier könnte die Regierung aus der Seefahrt lernen: Die Navigation auf hoher See erfordert eine präzise Planung und ständige Überwachung, um sicherzustellen, dass das Schiff sein Ziel erreicht. Doch selbst mit der besten Vorbereitung können Variablen wie Wetterbedingungen, technische Probleme oder menschliches Versagen zu Abweichungen vom geplanten Kurs führen.

In solchen Fällen ist es entscheidend, schnell und effektiv zu reagieren. Die erste Maßnahme besteht darin, die Planabweichung so früh wie möglich zu erkennen, indem man kontinuierlich die aktuelle Position mit dem geplanten Kurs vergleicht. Sobald eine Abweichung festgestellt wird, muss eine Risikoanalyse durchgeführt werden, um die Ursachen zu verstehen und die potenziellen Auswirkungen auf die Sicherheit und den Zeitplan der Reise zu bewerten.

Anschließend ist es notwendig, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dies kann eine Kurskorrektur, eine Anpassung der Geschwindigkeit oder, in ernsteren Fällen, das Ergreifen von Notfallmaßnahmen beinhalten. Die Entscheidung über die angemessenen Schritte hängt von der Art der Abweichung, den vorhandenen Ressourcen und den äußeren Bedingungen ab. Wichtig ist, dass das Team gut vorbereitet ist und effektiv zusammenarbeitet, um die Situation zu bewältigen.

Massive Risiken in der Folge der Energiewende

Die Energiewende zielt auf eine grundlegende Umstellung der Energieversorgung in Deutschland auf erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz ab. Der Bundesregierung sind dabei energiepolitische Ziele vorgegeben: Die Energieversorgung soll sicher, bezahlbar und umweltverträglich sein, so steht es in § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG).

Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, fasst die Ergebnisse der Analyse zusammen: "Die sichere Versorgung ist gefährdet, der Strom teuer, während die Bundesregierung die Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt nicht umfassend bewerten kann". Zuletzt hatte der Bundesrechnungshof im Jahr 2021 über Versäumnisse der damaligen Bundesregierung bei der Energiewende informiert. Seitdem hat der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine weitere Schwachpunkte und Herausforderungen der deutschen Energieversorgung offenbart. Daraufhin hat die Bundesregierung einen massiven weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien angekündigt. Im Jahr 2030 sollen sie 80 % des Bruttostromverbrauchs decken. Das soll nicht nur zum Klimaschutz beitragen, sondern auch die Importabhängigkeiten bei fossilen Energien verringern. Zudem sieht die Bundesregierung die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse. Sie hat ihrem Ausbau in der Abwägung mit anderen Schutzgütern Vorrang eingeräumt, bis "die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist".

Versorgungssicherheit gewährleisten

Parallel zum Ausbau erneuerbarer Energien wird der Bruttostromverbrauch in den nächsten Jahren deutlich steigen. Durch die zunehmende Elektrifizierung in den Sektoren Verkehr und Wärme geht die Bundesregierung von einem Anstieg um 33 % auf 750 TWh in 2030 aus (von 565 TWh in 2021). Gleichzeitig hält die Bundesregierung am vorgezogenen Kohleausstieg im Jahr 2030 fest, den Ausstieg aus der Kernenergie hat sie bereits im April 2023 vollzogen.

Die Energiewende stellt daher eine Herausforderung für die Deckung des Strombedarfs dar. Um die angestrebte Versorgung mit Strom weitestgehend aus volatilen erneuerbaren Energien zu sichern, muss der Bund dringend die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Hier ist die Energiewende nicht auf Kurs.

Unzureichende Kapazitäten …

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) muss die erneuerbaren Energien entsprechend den gesetzlich festgelegten Zielpfaden ausbauen. Allerdings ist absehbar, dass die Ausbauziele nicht erreicht werden. So konnte die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Jahr 2023 lediglich 50 % des Zielvolumens für Windenergieanlagen an Land vergeben: statt 12,84 GW nur 6,38 GW. Um den Zielpfad zu erreichen, müsste sie im Jahr 2024 nunmehr 16,46 GW vergeben. Das ist nicht realistisch.

Abb. 01: Ziele für Netzausbau weit verfehltAbb. 01: Ziele für Netzausbau weit verfehlt

Die Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windanlagen unterliegt Schwankungen, sodass es zu Versorgungslücken kommen kann. Deshalb ist der Zubau ausreichender gesicherter, steuerbarer Backup-Kapazitäten bis zum Jahr 2030 von zentraler Bedeutung. Diesen muss das BMWK gewährleisten. Mit der Kraftwerksstrategie 2026 wird ihm das aber nicht gelingen, denn die darin vorgesehenen 10 GW H2-ready-Gaskraftwerke werden nicht ausreichen. Auch die Ausgestaltung eines zusätzlich geplanten Kapazitätsmechanismus für weitere Leistung ist noch offen. So ist nicht sichergestellt, dass die erforderlichen Backup-Kapazitäten rechtzeitig verfügbar sind.

Außerdem ist ein erheblicher Ausbau der Stromnetze nötig. Der Netzausbau liegt aber erheblich hinter der Planung zurück. Der Rückstand beträgt mittlerweile sieben Jahre und 6 000 km.

Abb. 02: Netzausbaukosten führen zu massiven PlanabweichungenAbb. 02: Netzausbaukosten führen zu massiven Planabweichungen

Bundesregierung betrachtet nur Best-Case-Szenarien

Gleichzeitig bewertet der Bundesrechnungshof die Annahmen der Bundesregierung beim Monitoring der Versorgungssicherheit als wirklichkeitsfremd. Die BNetzA betrachtet in ihrem Monitoringbericht für die Jahre 2025 bis 2031 lediglich ein "Best-Case"-Szenario: danach werden die Ausbauziele sicher erreicht. Alternative Szenarien betrachtet das Monitoring nicht – obwohl der Ausbau weder bei den erneuerbaren Energien noch den Stromnetzen auf Kurs ist. "Das Szenario ist sehr unwahrscheinlich. Es weicht von den tatsächlichen Entwicklungen erheblich ab", so Scheller. "So nimmt das BMWK hin, dass Gefahren für die sichere Versorgung mit Strom nicht rechtzeitig sichtbar und Handlungsbedarfe zu spät erkannt werden. Der Zweck des Monitorings als Frühwarnsystem zur Identifizierung solcher Handlungsbedarfe wird faktisch ausgehebelt."

Auch hier könnte die Bundesregierung von der Seefahrt und Luftfahrt lernen. Ein Kapitän betrachtet eben auch Worst-Case-Szenarien, um sich auf die möglichen extremen und ungünstigsten Bedingungen vorzubereiten, die während einer See- oder Flugreise auftreten können. Jeder Kapitän weiß, dass Schiffe für die Tage gebaut werden, an denen Stürme toben und die riesigen Wellen ihr Schiff wir ein Spielzeug hin und her schleudern. Klare Strategie muss also sein: Sie sollen jeden nur denkbaren Sturm überleben. Gleichzeitig ist es jedoch auch notwendig sich damit auseinander zu setzen, wie die Steuerung (Geschäftsprozesse) des Schiffes auch in stürmischen Zeiten organisiert sein muss, damit das Schiff funktionsfähig bleibt!

… und gefährdet damit die Versorgungssicherheit

Das Ziel einer sicheren Versorgung mit Strom kann so langfristig nicht gewährleistet werden. Die Bundesregierung muss daher

  • verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten betrachten und auch ein "Worst-Case"-Szenario einbeziehen,
  • Maßnahmen ergreifen, um den Ausbau erneuerbarer Energien und jederzeit gesicherter, steuerbarer Kraftwerksleistung sicherzustellen und
  • den Akteuren Planungssicherheit geben, um in die notwendigen Erzeugungskapazitäten und Stromnetze zu investieren.
  • Bezahlbarkeit gewährleisten

Hohe Strompreise sind ein erhebliches Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Akzeptanz der Energiewende. Die Preise für Strom sind in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Sie gehören zu den höchsten in der EU. Weitere Preissteigerungen sind absehbar. Bis zum Jahr 2045 fallen allein für den Ausbau der Stromnetze massive Investitionskosten von mehr als 460 Mrd. Euro an. Das BMWK berücksichtigt diese Systemkosten bisher nicht bei seiner Darstellung der Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien. Um den sehr hohen Strompreisen entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung diese wiederholt mit staatlichen Mitteln punktuell bezuschusst. "Dadurch entsteht ein falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation", macht Scheller deutlich.

Abb. 03: Kosten für Netzengpassmanagement steigen um ein VielfachesAbb. 03: Kosten für Netzengpassmanagement steigen um ein Vielfaches

Die Bundesregierung muss die Systemkosten der Energiewende klar benennen. Darüber hinaus sollte sie endlich bestimmen, was sie unter einer bezahlbaren Stromversorgung versteht. Die von ihr geregelten Strompreisbestandteile muss sie konsequent auf ihre energiepolitischen Ziele ausrichten.

Abb. 04: Massiver Kostenanstieg für Netzentgelte in der IndustrieAbb. 04: Massiver Kostenanstieg für Netzentgelte in der Industrie

Fazit und Ausblick

Der Bericht des Bundesrechnungshofes zeigt: Die bisherigen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende sind ungenügend und bergen deshalb gravierende Risiken für die energiepolitischen Ziele. Die Bundesregierung hat Wissenslücken über die Umweltwirkungen der Transformation und kein Konzept gegen hohe Strompreise. Zugleich fehlt ihr ein integriertes Monitoring der Energiewende, das alle energiepolitischen Ziele in den Blick nimmt. So läuft die Bundesregierung Gefahr, dass mögliche Konflikte zwischen den energiepolitischen Zielen ungelöst bleiben. Sie sollte schnellstmöglich Kurskorrekturen vornehmen. Die Risiken für die Energiewende und damit für unseren Wohlstand sind groß. 

Letztlich ist die Fähigkeit, auf Planabweichungen angemessen zu reagieren, ein entscheidender Faktor für die Sicherheit und Effizienz in der Seefahrt. Es erfordert eine Kombination aus Erfahrung, guter Kommunikation und der Bereitschaft, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Nur so kann das Schiff trotz unerwarteter Hindernisse sein Ziel sicher erreichen.
 

[ Bildquelle Titelbild: Generiert mit AI ]
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