Wer in diesen Tagen nach London kommt, reibt sich verwundert die Augen. Es sieht so aus, als hätte die Finanzbranche nichts aus der Krise gelernt. Risikoneigung, Investment Banking, Boni und auch die generelle Stimmung der Banker sind fast schon wieder so wie vorher. Das einzige, was noch an die Krise erinnert, sind einige leere Büros. Diese "Rückkehr zur Normalität" fällt umso mehr auf, als sich das politische und gesellschaftliche Umfeld der Banken in der Zwischenzeit um 180 Grad gedreht hat. Es gibt neue Prioritäten. Bekannte Phänomene werden in neuem Licht gesehen. Anleger sind verunsichert. Sie haben die erlittenen Verluste nicht vergessen und wollen das nicht noch einmal erleben.
Die Gegensätzlichkeit der Entwicklung innerhalb und außerhalb der Finanzbranche kann nicht so weitergehen. Einerseits verschärft sie die Kritik der Öffentlichkeit an den Banken. Sie werden an den Pranger gestellt und gelten als die Unverbesserlichen. Das ist keine gute Basis für neues Geschäft. Andererseits verführt sie Investoren zu falschen Entscheidungen, wenn sie die Trends nicht frühzeitig identifizieren. Wir müssen uns daher mit der neuen Umwelt beschäftigen. Banken und Anleger müssen sich anpassen. Noch ist es schwer, die Veränderungen in Gänze wahrzunehmen. Es kommt auch immer wieder Neues dazu und anderes fällt weg. Es gibt aber einige Hinweise. Hier sind sieben Punkte, die mir bedeutsam erscheinen.
Erstens die hohe Staatsverschuldung. Sie wird kaum mehr auf das frühere Niveau zurückkommen. Derzeit beläuft sie sich in Deutschland auf 76 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Als ich mein Berufsleben begann (Anfang der 70er Jahre) waren es erst 18 Prozent. Schon das erschien damals beunruhigend. Es untergräbt das Zukunftsvertrauen. Es verlangt größere Vorsicht bei der Bewertung von Risiken. Auch Staaten können bankrottgehen oder zahlungsunfähig werden (siehe Dubai). Ich habe noch nie so viele besorgte Fragen nach einer Währungsreform gehört wie in diesen Tagen. Es verschiebt zudem die Balance auf den Kapitalmärkten. Staatspapiere nehmen einen immer größeren Raum ein, Aktien verlieren. Schon jetzt machen Aktien in den USA nur rund 30 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung aus, in Japan 22 Prozent und in Euroland 20 Prozent.
Zweitens die hohe Liquidität gemessen an den Bilanzen der Zentralbanken. Natürlich werden die Geldpolitiker alles tun, sie wieder einzusammeln. Das wird aber lange dauern, zumal die Fehlentwicklung nicht erst mit der Krise begonnen hat. Vor allem in den USA geht sie bis in die Mitte der 90er Jahre zurück. Zudem ist das Einsammeln zeitraubender und schwieriger als die vorherige Ausweitung. Das heißt, dass Kapitalmärkte noch eine Weile in Liquidität "schwimmen" werden. Die Kurse von Aktien und Bonds werden von Liquidität getrieben. Fundamentale Bewertungsfaktoren treten in den Hintergrund.
Drittens und ganz wichtig: Die größere Rolle des Staates gegenüber der Wirtschaft. Die Krise hat das Selbstbewusstsein der Politiker gegenüber der Wirtschaft mächtig gestärkt. Sie werden in Zukunft weniger Hemmungen haben, in die Marktkräfte einzugreifen. Es wird mehr Regulierungen geben. Der Staat wacht über die Bezahlung der Manager. Er regelt die Anlageberatung. Er bittet Aktionäre stärker zur Kasse. Sogar die eingefleischten Marktwirtschaftler in Großbritannien und den USA entdecken ein Faible für den französischen Weg der Industriepolitik. Damit gewinnen politische Risiken an Gewicht.
Die Politik wird auch diskretionärer und damit schwerer vorhersehbar. Viele Prinzipien der Marktwirtschaft sind über Bord geworfen worden. Banken wurden nationalisiert. Einige Zentralbanken haben Staatspapiere gekauft. Die Haftung der Unternehmen für Fehlentscheidungen wurde in Teilen außer Kraft gesetzt. Damit wurden Grenzen überschritten, die lange Zeit tabu waren. Das war in der Krise nötig. Es wird aber weiter wirken. Die Politik wird in Zukunft weniger Skrupel haben einzugreifen, auch wenn es keine große Krise gibt. Man sollte drei Mal nachdenken, bevor man gewisse Ereignisse ausschließt.
Viertens: Der Finanzsektor wird anders aussehen. Bisher konnte man den Eindruck haben, als sei es als Folge der Krise mit ein paar verschärften Vorschriften für die Eigenkapitalunterlegung, das Risikomanagement und die Liquiditätsvorsorge getan. Das löst aber nicht das Problem der sogenannten systemischen Banken, die man nicht insolvent gehen lassen kann. Sie sind ein Fremdkörper in einer Marktwirtschaft, weil hier die Haftung als Grundelement unternehmerischen Handelns außer Kraft gesetzt ist. Es gibt viele Vorschläge, wie das Problem gelöst werden kann. Es ist aber noch nicht erkennbar, welcher Weg eingeschritten wird.
Fünftens: Als Folge all dieser Veränderungen wird sich das Wirtschaftswachstum verlangsamen. Der Wettbewerbsdruck verringert sich, die Innovationskraft sinkt, auch vom Finanzsektor gehen nicht mehr so viele Neuerungen aus. Zudem fällt in der Weltwirtschaft der amerikanische Konsument als wichtige Triebkraft der Nachfrage aus. Er kann sich nicht mehr so viel leisten. Die neuen Verbraucher aus den Schwellenländern werden aber nicht so schnell seinen Platz einnehmen können. Das belastet die Unternehmenserträge (und natürlich die Aktien).
Sechstens: Es wird auf absehbare Zeit keine größeren Preissteigerungen geben, die Menschen werden aber gleichwohl Inflationsängste haben. An sich ist das ein Widerspruch. Irgendwann wird er sich auch in der einen oder anderen Richtung auflösen (ich vermute, dass wir eher in ein inflationäres Umfeld zurückkehren). Das dauert aber seine Zeit. Solange werden die Kapitalmärkte mit der Ambivalenz leben, sowohl Produkte zur Inflationsabsicherung wie auch zum Schutz gegen Deflation anbieten zu müssen.
Siebtens: In der Weltwirtschaft wird der Dollar nicht mehr die überragende Rolle spielen. Das hängt zum Teil mit der Finanzkrise zusammen, die von den USA ausging. Zum Teil ist es aber nur ein Vorwand für Schwellenländer, ihre Abhängigkeit von Amerika zu lockern. In jedem Fall bleibt der Dollar schwach. Aber Vorsicht: Wenn die Federal Reserve die Zinsen erhöht und die Carry Trades auf der Basis Dollar unattraktiv werden, wird eine starke Nachfrage nach der US-Währung einsetzen, die den Wechselkurs temporär nach oben treibt.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: iStockPhoto]
Kommentare zu diesem Beitrag