In einer ungewöhnlich deutlichen Form hat Henri de Castries, Vorstandsvorsitzender der französischen Versicherungsgesellschaft Axa, die geplanten neuen Solvabilitätsregeln für die europäischen Versicherer kritisiert. Nicht nur Banken werden durch die neue Baseler Eigenkapitalvereinbarung (Basel II) ihr Eigenkapital zukünftig stärker an den individuellen Kreditrisiken sowie den operationellen Risiken der Bank orientieren, sondern auch die finanzielle Ausstattung von Versicherungsunternehmen soll – voraussichtlich ab dem Jahr 2010 – durch neue Solvabilitätsvorschriften (Solvency II) geregelt werden.
Doch nicht alle Marktteilnehmer sind mit den aktuellen Entwicklungen des Reformprojekts einverstanden. "Das neue Regelwerk kann ein internationales Vorbild und ein großer Fortschritt für die Branche werden – oder ein Albtraum", warnt der Axa-Chef. Er weist in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) darauf hin, das "das Ganze in die falsche Richtung geht" und Meilen vom ursprünglichen Grundgedanken entfernt ist. Ursache ist die Diskrepanz zwischen den Wünschen der Kommission und den praktischen Anforderungen seitens CEIOPS (Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors), der Vereinigung der europäischen Versicherungsaufseher, so der Axa-Vorstand weiter.
Ein professionelles Risikomanagement erfordert interne, stochastische Modelle
Mit guten Verfahren der internen Risikosteuerung können Versicherer das von ihnen verlangte regulatorische (Risiko-)Kapital reduzieren. "Das ist wie in der Luftfahrt. Manche Airlines haben alte Maschinen und dürfen deshalb in einigen Ländern nicht landen oder bei Nebel nicht starten. Airlines mit einer modernen Flotte und einem guten Radar an Bord unterliegen nicht denselben Restriktionen.", so Henri de Castries (Bild). Nach seiner Ansicht sollte die Kapitalanforderung für einen Versicherer mit einer guten Risikosteuerung geringer sein als bei einem Versicherer mit einer schlechten Risikosteuerung.
Für ein gutes und professionelles Risikomanagement benötigen die Versicherer vor allem ein stochastisches Risikomodell, das erlaubt, Hunderttausende Szenarien durchzuspielen, vor allem Extremereignisse im "Fat-tail"-Bereich. Fat-Tail-Risiken bzw. der "Long tail" der Verteilung beinhaltet die Extrembereiche, in denen etwa Katastrophenschäden abgebildet werden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist sehr gering und konvergiert am Ende des "long tail" gegen Null. Das Schadensausmaß hingegen kann hingegen ein katastrophales Ausmaß annehmen.
Einige Aufseher wollen das Risikokapital bis zur Decke stapeln
Der Axa-Chef weist darauf hin, dass Aktien eine geeignete Anlageklasse für Versicherer seien. "Wenn man nun die Versicherer mit übertriebenen Aufsichtsregeln in Anleihen zwingt, die zwar sicher sind, aber zugleich magere Renditen erwarten lassen, dann verteuert das die Versicherung für die Verbraucher. Die derzeitigen Vorschläge benachteiligen die Aktienanlage auf eine geradezu dumme Weise." Henri de Castries weist darauf hin, dass einige Aufseher sich eine "Null-Risiko-Welt" wünschen. Null-Risiko bedeutet jedoch auch Null-Wachstum. Einige der nationalen Regulatoren wollen möglichst viel Kapital unter ihre lokale Kontrolle bringen, so der Axa-Steuermann. "Und sie werden immer mehr verlangen. Denn je größer das Risikokapital, desto geringer ist das Ausfallrisiko. Also wollen einige Aufseher das Kapital bis zur Decke stapeln lassen." In diesem Kontext fordert er eine politische Diskussion, welches das erwünschte Maß an Sicherheit ist.
Henri de Castries erkennt an dem neuen Regelwerk jedoch auch positive Seiten: "Wenn die Absichten der Europäischen Kommission tatsächlich umgesetzt würden, hätten wir endlich eine bessere Nutzung des Kapitals der Anbieter. Das würde zu einer besseren Sicherung der Ansprüche der Verbraucher führen und möglicherweise auch zu niedrigeren Preisen."
Weitere Informationen zu Solvency II finden Sie in der RiskNET eLibrary sowie im RiskNET Wissenspool "Solvency II"
[Quelle: FAZ, Bildquellen: Axa]