Der aktuelle Global Financial Stability Report des IWF (Oktober 2010) beginnt mit folgendem Statement: "The global financial system is still in a period of significant uncertainty and remains the Achilles' heel of the economic recovery." Diese Einschätzung halten wir für äußerst realistisch und sie zeigt das Dilemma auf, in dem wir uns momentan befinden. Die aggressiv expansiven Maßnahmen der Staaten und Zentralbanken, die seit 2008 zur Krisenbekämpfung eingesetzt wurden, lassen sich ökonomisch nur mit der Annahme rechtfertigen, dass das hieraus resultierende Wachstum einige der inhärenten Probleme des Kapitalmarktes (v. a. des Bankensystems) löst. Nun ist es aber nach wie vor der Finanzsektor, der nachhaltiges Wachstum gefährdet. Angesichts der nach wie vor hohen Risiken auf den Bankbilanzen (in Europa v. a. die Positionen in Staatsanleihen, in den USA weiterhin die großen Abhängigkeiten vom Immobiliensektor) sind die Kosten, die potenziell auf die Staaten zukommen, immens. Die traditionell bekannten Antworten (striktere Regulierungsbestrebungen, Garantien, Bailouts, zusätzliche Liquidität usw.) haben bisher ihr Ziel verfehlt und es stellt sich die Frage, ob eine Ausweitung dieser Maßnahmen nicht sogar kontraproduktiv wirkt. Die Diskussion bzgl. eines globalen Abwertungswettlaufes bestärkt diesen Verdacht.
Man sehe uns bitte nach, dass wir uns auf prominente Schützenhilfe berufen. Auch die BIS hat in einigen Publikationen auf die Probleme der Krisenbekämpfungsmaßnahmen hingewiesen. Anbei ein Beispiel aus einem Working-Paper vom Juni 2010 (Borio et al.: "Resolving the financial crisis"; BIS WP No 311): "We argue that ... the measures taken so far remain less comprehensive and in-depth. … In general, policymakers have given higher priority to sustaining aggregate demand in the short term than to encouraging adjustment in the financial sector and containing moral hazard. ... There is a risk that the policies followed so far may delay the establishment of the basis for a sustainably profitable and less risk-prone financial sector."
Wir denken, dass man bereits jetzt die negativen Auswirkungen verfehlter Maßnahmen bestaunen kann, wie wir im folgenden Abschnitt darzustellen versuchen.
Globaler Abwertungswettlauf?
Die an dieser Stelle oftmals kritisierte – und als Krisenbekämpfungsmaßnahme postulierte – hemmungslose Liquiditätsflut, annähernd aller relevanten Zentralbanken der westlichen Welt, nimmt inzwischen dramatische Ausmaße an. Was in den Medien als "Abwertungskrieg" bezeichnet wird, stellt nichts anderes dar, als die logische Konsequenz einer exzessiven Liquiditätsversorgung.
Ein durchaus gewünschter Nebeneffekt derselben besteht in der Abwertung der heimischen Währung, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen zu stärken. Was in den 60er Jahren als "Beggar-thy-neighbor"-Politik bekannt geworden ist, wurde schon damals von annähernd allen führenden Ökonomen (u. a. von Robert A. Mundell; Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 1999) als fataler und nicht wohlfahrtsmehrender Versuch in einer globalisierten Wirtschaft gegeißelt, da er zu einer globalen Abwertungsspirale führen kann. In der Regel kann man dieser Politikmaßnahme unterstellen, dass sie zu inflationären Tendenzen führt. Das ist aktuell ein eher zu vernachlässigendes Problem, da wir uns in einer Liquiditätsfalle befinden (wie wir bereits in einigen Ausgaben dieser Publikation angedeutet haben).
Die Situation hat sich gegenüber den 60er Jahren allerdings in einem entscheidenden Punkt geändert, der die gewünschten Effekte dieser Politikmaßnahme ad absurdum führt: Neben der Globalisierung der Gütermärkte sind die internationalen Kapitalmärkte bereits weitgehend integriert, was bedeutet, dass Abwertungseffekte nicht nur realwirtschaftliche, sondern vor allem finanzwirtschaftlich adverse Folgen haben.
Exkurs: "Beggar-your-neighbor" in vollständig integrierten Kapitalmärkten?
Folgendes Beispiel verdeutlicht die Misere: Stellen Sie sich vor, zwei Länder, die starken Güteraustausch betreiben, sind gegenseitig auch bedeutende Gläubiger des jeweils anderen Landes (über den Kauf von Staatsanleihen). Aufgrund der im Übermaß bereit gestellten (nicht gedeckten) Liquidität der jeweiligen Zentralbanken verlieren beide Währungen relativ gegeneinander nicht an Wert (angenommen die zusätzliche Liquiditätsversorgung auf beiden Seiten hält sich die Waage) und dasselbe gilt für den relativen Wert der gehaltenen Staatsanleihen des anderen Landes. Es ist nun aber zunehmend Liquidität im System, während sich das Finanzsystem immer weiter von der Realwirtschaft abkoppelt, da die Abwertungsmaßnahmen ja unter obigen Annahmen keinerlei positiven Effekt auf die Ökonomie beider Länder haben. Was verstärkt wird, sind einzig und allein die Interdependenzen zwischen beiden Ländern – d. h. die Übertragungseffekte im Falle von Krisen verstärken sich! Die Pleite eines Staates hätte nun weitaus fatalere Folgen für das andere Land als es vorher der Fall gewesen wäre. Dies ist eine logische Konsequenz falls sich Volkswirtschaften in einer Liquiditätsfalle befinden. Gewisse Analogien zu der heutigen globalen Situation sind hierbei sehr deutlich zu erkennen.
Der Kauf von Staatsanleihen kann in diesem Zusammenhang als "Last Line Of Defence" der Zentralbanken verstanden werden, ihrer expansiven Geldpolitik doch noch Wirkung zu verleihen – unserer Meinung aber mit unbestimmtem Ausgang. Die Fed hält bereits USD 1.750 Mrd. an Anleihen aller Art (1.250 Mrd. MBS, 200 Mrd. GSEs (Government Sponsored Enterprises, Fannie Mae, Freddie Mac) und 300 Mrd. Staatsanleihen). Was passiert nun, wenn sie Geld druckt um weitere zu kaufen? Macht das aus Sicht eines ausländischen Bondholders Sinn? Nein, da der potenzielle Preisgewinn von der Abwertung des US-Dollars aufgefressen wird. Und wenn dieser Bondholder ein Handelspartner ist, wird er mit einem geringeren Außenbeitrag rechnen müssen. Wenn nun dieser Gläubiger dasselbe tut, verbessert sich die Situation global betrachtet in keinster Weise. Einzig und allein die Abhängigkeit zwischen beiden Staaten wird größer werden.
Gibt es ein Ende dieser Spirale? Ja, das ist ja gerade die Krux an der Sache. Genau das Gegenteil der aktuellen Politik wäre richtig und würde zur Stabilisierung des Finanzsystems beitragen. Wenn alle relevanten Länder einer konzertierten Liquiditätsverknappung zustimmen würden, käme es zu keinerlei adversen außenwirtschaftlichen Effekten, während natürlich ein deflationärer Gesundungseffekt in Kauf genommen werden müsste.
Da kaum davon auszugehen ist, dass hier auf politischer Ebene ökonomisch rational entschieden werden wird, gehen wir im Folgenden dazu über, einige Positionen zu diskutieren, die in dem oben genannten Szenario anhaltender Liquiditätsexzesse dem gebeutelten Investor etwas Trost spenden können.
Die Ausgangslage ist klar: In einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld werden sich Investoren auf eine lang anhaltende Periode niedriger Renditen einstellen müssen, die viele ALM-getriebene Institutionelle an den Rand der finanziellen Belastbarkeit (und einige ein Stück darüber hinaus) bringen wird.
Euro-Peripherie: Wo ist der Unterschied?
Griechenland – Irland – Portugal: Wer ist besser?
Auch berühmte Ökonomen lassen sich manchmal zu zweifelhaften Aussagen hinreißen, nämlich das Irland nicht Griechenland ist. Auch nicht Portugal. Dagegen lässt sich offensichtlich wenig einwenden – jedoch ist die Ausgangslage, die diese Länder in die jetzige Situation gebracht hat, exakt dieselbe und deshalb zeigen sich ähnliche Mechanismen – und ähnliche Spread-Verläufe!
Abbildung 1: Das traurige Trio: Irland, Portugal, Griechenland [Quelle: Bloomberg]
Besonders Griechenland und Irland haben stark von der laxen Geldpolitik des letzten Jahrzehnts profitiert was in einer Fehlallokation dieser Liquidität in beiden Ländern resultierte. Irland hat einen (im Verhältnis zur realwirtschaftlichen Größe des Landes) immensen Finanzsektor aufgebaut (weshalb die Abhängigkeit des Landes von Kapitalmarktentwicklungen zu hoch ist), während Griechenlands Probleme struktureller Natur sind – diese Probleme wurden jedoch aufgrund der Liquiditätszufuhr jahrelang nicht beachtet. Es wäre fahrlässig zu glauben, dass die Folgen in beiden Ländern andere sein werden.
Der Zustand der griechischen Staatsfinanzen ist hinlänglich bekannt und sehr ähnlich entwickelt sich die Situation in Irland. Irland hat ca. 4,2 Mio. Einwohner und muss ein völlig marodes Bankensystem allein in diesem Jahr mit mehr als 25 % des Sozialproduktes stützen. Zum Vergleich: Der Regierungsbezirk Oberbayern hat ca. 4,3 Mio. Einwohner – stellen Sie sich vor, Oberbayern hätte die HRE alleine retten müssen – auch da wäre es mit der Refinanzierung knapp geworden.
Irland ist bereits in einer ökonomischen Deflationsspirale gefangen und ein Ende ist nicht absehbar: Das Bankensystem ist vor allem durch faule Immobilienkredite belastet, was zu erheblichen Stützungsmaßnahmen von Seiten des Staates führt, die diesen bereits an den Rande der Belastbarkeit gebracht haben. Folglich wird die Kreditqualität Irlands weiter herabgestuft, was die Refinanzierungskosten ansteigen lässt und die Situation dadurch noch verschlimmert. Es wäre extrem optimistisch, zu glauben, dass sich vor diesem Hintergrund der Immobilienmarkt nachhaltig stabilisieren wird, womit die nächsten Abschreibungen im Bankensektor nur eine Frage der Zeit sein werden. Letztlich hat die Europäische Union mit Hilfe der EZB bereits Unterstützung zugesagt – zumindest indirekt. Falls das obige Szenario so eintritt (woran wir wenig Zweifel haben), wird auch hier der europäische Rettungsfonds einspringen müssen.
Egal wie man diese Bailouts (oder wie sie in EU-Kreisen auch immer bezeichnet werden mögen) auch sehen mag – es gibt in keinster Weise eine ökonomische Rechtfertigung dafür, Irland zu verweigern, was Griechenland zugestanden wurde. Letztlich besteht kein Unterschied zwischen Irland und Griechenland. Außer eben dem, dass Irland nicht Griechenland ist.
Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob ein Land der Eurozone ausfallen kann oder nicht. Ohne fremde Hilfe wäre bereits der ein oder andere Staatsbankrott eingetreten, aber die große Unbekannte ist nach wie vor der Wille der europäischen Politik – solange den Bürgern der Gläubigerstaaten diese Bailouts vermittelbar sind und solange das europäische Bankensystem den Schock eines Länderbankrotts nicht verdauen kann, ist davon auszugehen, dass die Rettungsmaßnahmen anhalten werden – unabhängig von ihrer fragwürdigen ökonomischen Rechtfertigung. Nun sind die Spread-Aufschläge beider Länder auffällig unterschiedlich. Betrachtet man CDS-Levels im 5-Jahresbereich, beläuft sich diese Differenz auf ca. 300 bp. Die logische Konsequenz ist deshalb, Griechenland-Protection zu verkaufen und gleichzeitig Irland-Protection zu kaufen. Sollten beide Länder innerhalb der nächsten fünf Jahre kein Credit Event erfahren, wird die Spread-Differenz vereinnahmt. Sollten beide ein Credit Event erfahren, wird die Spread-Differenz bis zum Eintritt des Credit Events vereinnahmt, während sich das Credit Event selbst ertragsneutral gestaltet, wenn man davon ausgeht, dass die Verwertungsquoten beider Länder dieselben sind. Letzteres ist zumindest eine ökonomisch zu rechtfertigende Annahme, da der Staatsbankrott nur dann Sinn macht, wenn man den Gläubigern sehr wenig zurückzahlen muss (also niedrige Verwertungsquoten durchsetzt).
Das Risiko in dieser Position ist darin zu sehen, dass Griechenland ein Credit Event erleidet und Irland nicht. Unserer Ansicht nach würde aber spätestens der Ausfall Griechenlands einen so immensen Druck auf die Eurozone ausüben, dass hier andere Länder in diesen Sog hineingezogen werden würden. Irland wäre hier an erster Stelle zu nennen. Ohne die Restrisiken zu ignorieren, erscheint es uns weitaus sinnvoller, diese Spread-Differenz zwischen beiden Ländern zu nutzen, als direktionales Risiko in einem der Länder zu nehmen.
Abbildung 2: 5Y-CDS Greece – Ireland [Quelle: Bloomberg]
EWWU-Mezzanine-Versicherung
Folgende Analogie wird an den Märkten immer populärer: Griechenland = Bear Stearns und Lehman wird folgen. Die aus unserer Sicht interessanteste Version dieser Analogie ist die, dass die (temporäre) Rettung Griechenlands der Rettung Bear Stearns entspricht, Irland und Portugal aber noch bei weitem kein "Casus Lehman" sind. Das wäre erst der Fall, wenn Spanien oder Italien in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würden, bzw. der Markt anfangen würde, zu antizipieren, dass diese Länder in ernste Schwierigkeiten geraten könnten. Wir möchten uns kein Urteil erlauben, wie wahrscheinlich es ist, dass sich ein zweites Lehman-Ereignis auf der Ebene von europäischen Staaten wiederholt, eines ist jedoch in den letzten Monaten deutlich geworden – die europäische Staatengemeinschaft ist eher wie ein Portfolio an einzelnen Länderrisiken zu betrachten und nicht nur einfach als die Summe autarker Nationen. Wir haben diesen Gedanken bereits in früheren Analysen aufgenommen: Man kann die EU mit einem CDO vergleichen, der unterschiedliche Kreditqualitäten beinhaltet. Nun kann man an den Fortbestand der EWWU in ihrer bisherigen Form glauben oder zweifeln, die Frage die uns beschäftigt ist, welche Handelsstrategie die richtige ist, um von einem weiteren Auseinanderdriften der EU-Länder zu profitieren.
Eine kurze Anekdote kann hier sehr hilfreich sein. Vor nicht allzu langer Zeit war es in der europäischen Bankenwelt en vogue Mezzanine-Tranchen in synthetischen CDOs zu kaufen. Diese waren (den Modellen zufolge) ausreichend mit Equity abgesichert, zahlten aber im Vergleich zum Index immer noch "interessante" Spreads (aus Sicht der Investoren, die damals investieren mussten) und sogar die Rating-Agenturen haben diese Positionen äußerst wohlwollend eingestuft (wir weisen explizit auf eine gewisse Ironie in dieser Aussage hin). Nachdem die Tranchen immer dünner, die Spreads immer enger und die zugrunde liegenden Portfolios immer wilder geworden waren, kam es wozu es zwangsläufig kommt, wenn alle in eine Richtung rennen: Irgendwann dreht man um. Genau das ist in 2008 passiert. Diese Positionen sind angesichts des enormen Verkaufsdrucks und der, aufgrund des stark ansteigenden systemischen Risikos und ebenso stark ansteigenden Ausfallkorrelationen, enorm unter Druck geraten, was ex post zu der Feststellung führt, dass der Kauf einer Versicherung auf Mezzanine-Tranchen einen guten Hedge gegenüber systemischen Krisen darstellt. Wenn man diesen Gedanken auf die Situation in Europa überträgt, nähert man sich dem Gedanken, genau selbiges bei europäischen Ländern zu tun: Versicherung auf die Mezzanine-Tranche zu kaufen.
Ordnet man die europäischen Länder nach ihrer Seniorität ein, kommt man zu folgendem Schluss: Deutschland, die Benelux-Länder und Frankreich sind die Senioren-Tranchen in der EU, während Griechenland, Portugal und Irland als Equity-Tranche bezeichnet werden dürfen. Zur Klarstellung: Wir wollen hier niemanden ökonomisch denunzieren, wir beziehen uns nur auf die am Markt gehandelten Ausfallwahrscheinlichkeiten. Bleibt also die Bestimmung der Mezzanine-Tranche, zu der angesichts der CDS-Levels Spanien und Italien gehören. Wenn man den Gedanken hegt, dass die EWWU ein Gebilde mit begrenzter Laufzeit sei, dann muss man sich überlegen, auf welche Länder man Versicherung kauft. Die seniore Tranche der Länder wäre bei einem Auseinanderfallen der Währungsunion in ihrer momentanen Zusammensetzung wahrscheinlich der legitime Nachfolger; quasi ein auf sich ökonomisch-konvergent-entwickelnde Länder reduzierter Euro-Raum, also würde die Absicherungswirkung verfehlt. Die Versicherung auf das Equity Piece ist bereits enorm teuer. Bleibt der Kauf von Versicherung gegen die "Mezzanine-Länder" Spanien und Italien.
Abbildung 3: 5Y-CDS Spanien & Italien [Quelle: Bloomberg]
Man kann natürlich der Meinung sein, dass Italien sowie Spanien "Too Big Too Fail" sind, allerdings wurde dieser Fehler vor nicht allzu langer Zeit schon im Bezug auf das Bankensystem begangen. Andersrum wird eine Wirkungskette daraus: Falls Spanien und Italien in wirklich große Bedrängnis geraten sollten (oder der Markt antizipiert, dass das der Fall sein könnte), steht die EWWU vor ihrem eigenen "Casus Lehman". Genau dann benötigt man die Versicherung, da diese in dieser Situation auch andere Asset-Klassen stark beeinflussen sollte. Der Kauf von Versicherung auf Spanien und Italien kann als globaler Makro-Hedge verstanden werden! Finanzieren kann man diese Position z. B. durch den Verkauf von Versicherung auf Länder außerhalb der Eurozone, die nicht direkt mit derselben korreliert sind. Asien, der Nahe Osten und Südamerika bieten sich hier an.
Recovery Trade auf Griechenland
Man tut Griechenland Unrecht, wenn man einzig auf die im Markt gepreisten Ausfallwahrscheinlichkeiten abzielt. Griechenland hat mehr zu bieten – bspw. ein Recovery-Risiko, also die Verwertungsquote nach einem potenziellen Credit Event.
Hier hat in 2010 eine sehr interessante Entwicklung stattgefunden. Als Griechenland im ersten Quartal stark unter Druck geraten ist, gab es erste Diskussionen bezüglich der potenziellen Verwertungsquote im Falle eines Credit Events. Auch damals wurde Restrukturierung als der wahrscheinlichste Event angesehen, allerdings ging man davon aus, dass in diesem Fall die Bondholder mit einem Verlust von ca. 30 % rechnen mussten. Die implizite Verwertungsquote lag folglich bei ca. 60 % bis 70 %. Nachdem sich die Situation zugespitzt hat und das Rettungspaket verabschiedet wurde, war klar, dass eine mögliche Verwertungsquote weit darunter liegen sollte. In der Regel sind Verwertungsquoten bei Staatspleiten niedrig, um den Entschuldungseffekt des Staates möglichst hoch zu gestalten.
Nun kann man mit Hilfe von sogenannten Recovery Default Swaps (RDS) diese Verwertungsquote handeln, wobei Zahlungen nur dann anfallen, wenn es wirklich zum Ausfall kommt. Also: Momentan kann man sich über RDS ein Niveau der Verwertungsquote von ca. 45 % fixieren. D. h., falls es zu einem Credit Event bei Griechenland kommt, wird die Verwertungsquote festgestellt (über einen Auktionsprozess) um die ausstehenden CDS und RDS glatt zu stellen. Liegt die in der Auktion realisierte Verwertungsquote unter 45 %, bekommt man eine Zahlung vom RDS-Verkäufer in Höhe der Differenz zwischen eingekaufter und realisierter Quote, bei mehr als 45 % muss man die Differenz an den RDS-Verkäufer zahlen.
Abbildung 4: Griechenland Floater 34s versus Recovery Default Swap-Niveau [Quelle: Bloomberg]
Nun muss man eine Griechenlandanleihe finden, die unter dem Niveau des RDS handelt um folgende Position aufzusetzen: Man kauft die Anleihe und schließt einen RDS-Kontrakt ab. Falls es zu keinem Credit Event kommt, findet keine Zahlung auf dem RDS statt, jedoch werden die Zinseinnahmen aus der Anleihe vereinnahmt. Kommt es zu einem Credit Event, verdient man die Differenz zwischen dem Anleihepreis und der eingelockten Verwertungsquote!
Ein Haken hat diese Position allerdings: Der einzige Griechenland-Bond, der unter der Verwertunsgquote handelt, ist ein Floater mit Fälligkeit 2034! Der RDS handelt aber im 5Y-Format. Wenn man also der Meinung ist, dass sich die Situation Griechenlands in den nächsten fünf Jahren entscheidet (was offensichtlich keine völlig unrealistische Annahme darstellt), ist diese Position in beiden Fällen (Überleben oder Restrukturierung Griechenlands) sehr werthaltig!
Staaten/Banken/Unternehmen: Wer fällt als erster?
Unser Weltbild ist bekanntlich wenig optimistisch – die starken Aktienmärkte zeichnen jedoch ein anderes Bild. Kann es sein, dass marode Staatsbilanzen und immense Probleme im Bankensektor im Einklang zu nachhalti-gen ökonomischen Verwerfungen führen, während Unternehmen davon unberührt eine hohe Profitabilität und sinkende Verschuldungsquoten aufweisen? Genau das spiegelt sich zurzeit am Markt wieder, da die Renditeaufschläge im Unternehmenssektor relativ (und in einigen Ländern auch absolut) unter denjenigen der Banken und sogar der jeweiligen Länder liegen! Die vereinfachende Antwort auf diese Frage lautet: Kurzfristig kann das der Fall sein, langfristig stellt eine Ökonomie allerdings ein geschlossenes System dar, in dem der Impuls, der von den Staaten und Banken ausgeht, eben auch die Unternehmen belastet.
Die Unternehmen stehen an erster Stelle der Nutznießer der Krisenbekämpfungsmaßnahmen. Wir möchten noch mal kurz die relevante Stelle des Zitats aus der oben genannten BIS-Publikation anführen: "… policymakers have given higher priority to sustaining aggregate demand in the short term". Die extrem expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen haben einen kurzfristigen realwirtschaftlichen Nachfrageschub entfacht, dessen Halbwertszeit (im Sinne ökonomischer Multiplikatoreffekte) rapide abnimmt. Letztlich sind nachhaltig steigende (netto) Unternehmensgewinne in einer Situation sich verschlechternder Staatsbilanzen eine Utopie, da der Staat als letzte Instanz in Abwendung akuter Zahlungsschwierigkeiten auf die Wertschöpfung der Unternehmen zugreifen wird – in erster Linie durch eine höhere Besteuerung.
Der Staat hat natürlich ein Interesse daran sein nationales Bankensystem als Refinanzierungsvehikel für die inländischen Unternehmen einzusetzen, worin die entscheidende Argumentation der in Folge der Lehman-Krise umgesetzten Maßnahmen besteht. Die Banken haben dazu allerdings wenig beigetragen. Liquiditätsspritzen der Zentralbanken versickern nach wie vor im Bankensystem und werden nur unzureichend in die Realwirtschaft übertragen. Aber Unternehmen profitieren direkt von staatlichen fiskalpolitischen Aktionen (man denke an die Abwrackprämie in Deutschland) und indirekt dadurch, dass die Refinanzierungskosten am Kapitalmarkt (man denke an das stark ansteigende Neuemissionsvolumen am Kreditmarkt im Gegensatz zu rückläufigen direkten Finanzierung über die Banken) künstlich niedrig gehalten werden, da eben auch die Nachfrage nach Investments in Unternehmen mittelbar von den Liquiditätsspritzen profitiert.
Langfristig ist diese Situation nicht aufrechtzuerhalten. Es macht ökonomisch keinen Sinn, wenn Staaten und Banken höhere Refinanzierungskosten als Unternehmen aufweisen. Nun ist das nicht in allen Ländern der Fall, aber die "Schiefe" der aktuellen Situation lässt sich in der Spread-Relation zwischen den CDS-Indices für Staaten, Banken und Unternehmen ablesen: Der iTraxx Financials Senior Spread handelt über dem iTraxx Western Sovereign Spread und der wiederum über dem iTraxx Non-Financials Spread.
Abbildung 5: Wer ist die Schönste im ganzen Land? [Quelle: Bloomberg]
Es gibt natürlich neben den impliziten Ausfallraten viele Faktoren für die Bewegung von Spreads, weshalb sich diese Spread-Differenz sogar noch weiter auseinander entwickeln kann. Allerdings ist es völlig unwahrscheinlich, dass Bankensysteme oder sogar Nationalstaaten ausfallen, ohne dass dies auch die Unternehmen empfindlich treffen sollte. Zumindest eine Angleichung der Spread-Niveaus zwischen diesen drei Indices ist ökonomisch rational – im "survival- oder im default-leg"!
Gedeckt versus ungedeckt
Pfandbriefe sind keine Krisen-Hedge!
Nach all den oben dargestellten rein profitgetriebenen Positionierungen, sei uns nun ein Ausflug in die Esoterik des Finanzmarktes gestattet. Die Frage, die uns seit dem Platzen der Subprime-Blase verstärkt beschäftigt, ist die nach dem fairen Preisverhältnis von gedeckten und ungedeckten Anleihen.
Der philosophische Aspekt dieser Fragestellung liegt darin, dass wir in einem System des "Fiat Money" leben, d. h. einer ungedeckten Liquiditätsversorgung der Realwirtschaft über die Zentralbanken. Ungedeckt bedeutet, dass hinter der Liquiditätsversorgung keinerlei reale Werte stehen. Man darf also fragen, was eine "Deckung" (bspw. ein Deckungsstock für Covered Bonds) in einem System, in dem die Geldversorgung nicht gedeckt ist, überhaupt wert sein soll?
Zur Erinnerung: Subprime-CDOs waren mit Hypothekenkrediten gedeckt – wenn allerdings die "Deckung" selbst der Auslöser einer katastrophalen Bankenkrise darstellt, stellt das Vorhandensein einer "Deckung" keinen Mehrwert dar – sogar das Gegenteil kann der Fall sein! Im Folgenden versuchen wir diese zugegebenermaßen schockierende Aussage zu verifizieren.
Eine einfache Rechnung
Die Ausfallwahrscheinlichkeit eines ungedeckten Wertpapiers (Default Probability DPU) liegt bei 5 %; die Verwertungsquote (RR) bei 40 %. Der faire Spread ergibt sich für eine Periode somit zu
S = 5 % * (1-40 %) = 3 % = 300 bp.
Wir gehen davon aus, dass dies bei einer Bank der Fall ist, die Senior-Anleihen ausstehen hat, ohne das klassische Deckungsstockspiel umzusetzen (vgl. hierzu beispielsweise die Geschäftsstrategie der Depfa in Irland).
Was ist nun die DP eines gedeckten Wertpapiers (DPG)? Hier kommt die Korrelation zwischen den Assets des Deckunsgstocks und der Ausfallwahrscheinlichkeit der emittierenden Bank ins Spiel. Angenommen, diese Korrelation liegt bei null – dann ist die gemeinsame Ausfallwahrscheinlichkeit bei 5 % * 5 % = 0,25 %. Folglich gilt:
DPG (Korr = 0)) = 5 %, RR = 40 % =>
SG (Korr = 0) = 0,25 % * (1-40 %) = 0,15 % = 15 bp
Der andere Extremfall ist, dass die Korrelation bei 1 liegt, also ein Ausfall des Deckungsstocks sofort einen Ausfall der Bank bedingt und andersrum. Dann gilt:
SG (Korr = 1) = 2 * 5 % * (1-40 %) = 6 % = 600 bp
Hier ist folglich eine Investition in eine gedeckte Anleihe mit einem viel höheren Risiko (der Summe der unabhängigen Ausfallwahrscheinlichkeiten) verbunden, was zu einem weitaus höheren, fairen Spread führt!
Nun kann man ableiten, bei welcher Korrelation der faire Spread der gedeckten Investition dem der ungedeckten entspricht! Man erhält folgendes Ergebnis:
SG (Korr = 0,5) = 2 * 5 % * 0,5 (1-40 %) = 300 bp = SU
D. h., bei einer Korrelation zwischen den Assets des Deckungsstocks und denen der Bank (Deckungsstockspiels) sollte der faire Spread dem einer Bank entsprechen, die kein Deckungsstockmodell umsetzt (Anmerkung:
Alle anderen Parameter sind pari passu)!
Nun macht es offensichtlich Sinn, Deckungsstöcke zu analysieren. Es ist nun aber mal so, dass Banken genau deshalb in Liquiditätsschwierigkeiten geraten weil ihre Asset-Basis erodiert – und genau die ist in Deckungsstöcken enthalten. Eine Immobilienkrise, die eine Bankenpleite auslöst, bedingt eine enorm hohe Korrelation zwischen gedeckt und ungedeckt. Deshalb gibt es hier theoretisch keinerlei Unterschied, ob man Subprime-ABS betrachtet oder Hypothekenbesicherte Pfandbriefe betrachtet. Das gilt natürlich auch für Öffentliche Pfandbriefe in Zeiten maroder Staatshaushalte, wenn deren Deckungsstöcke Staatsanleihen enthalten! Wir sind uns der Vereinfachung der Analyse bewusst, aber sie zeigt das Grundproblem der jetzigen Situation.
Legt man diese Analyse zu Grunde, wird einem auffallen, dass gedeckte Ware in sehr vielen Fällen zu teuer gegenüber ungedeckter Ware ist (alle regulatorischen Rahmenbedingungen außen vor gelassen). Diese Analyse sollte jedes Portfolio durchmachen müssen, v. a. bei Bankenstresstests.
Jochen Felsenheimer ist Co-Head of Credit bei Assenagon Asset Management S.A. Er war von 2001 bis 2008 im Research der HypoVereinsbank (UniCredit Group) beschäftigt. Dort leitete er das Credit Strategy & Structured Credit Research-Team und war Stellvertretender Leiter des Global Credit Research-Teams. Er verantwortete alle Publikationen speziell zu den Themen Kreditmarkt, Kreditderivate sowie strukturierte Kredite und ist selbst Autor mehrerer Bücher und wissenschaftlicher Artikel zu den oben genannten Themenbereichen. Er promovierte an der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU München.
[Quelle: assénagon: credit newsletter Nr. 08 │ 14. Oktober 2010 │ Mit freundlicher Genehmigung von Assenagon Asset Management S.A. / Bildquelle oben: iStockPhoto]