Das abgelaufene Jahr war kein gutes für Deutschlands Unternehmen. Nicht nur der konjunkturelle Rückgang bei gleichzeitigem markanten Anstieg der Zinsen sorgte für Schwierigkeiten.
Auch die Zunahme der Insolvenzen von Unternehmen, die sich bereits im ersten Halbjahr abzeichnete, brachte Sorgenfalten auf die Stirnen der wirtschaftlichen Akteure. Es waren vor allem die großen Namen, die in die Schieflage gerieten und das Thema "Pleiten" wieder in das Zentrum des medialen Interesses rückten. Über zehn Jahre waren die Unternehmensinsolvenzen rückläufig – nun kommen sie mit Wucht zurück.
Keine staatlichen Rettungsringe mehr verfügbar
Um mehr als 23 Prozent legten die Unternehmensinsolvenzen nach einer Schätzung der Creditreform Wirtschaftsforschung 2023 gegenüber dem Vorjahr zu. Einen solch rasanten Anstieg hatte es seit Jahren nicht mehr gegeben. Anzumerken ist allerdings, dass die Unternehmenspleiten von einem niedrigen Niveau in der Corona-Krise zurückkamen. In der Pandemie hatten staatliche Unterstützungen, wie das Aussetzen von Teilen des Insolvenzrechts und milliardenschwere Zahlungen, dafür gesorgt, dass die Zahlen sogar stark rückläufig waren. So kann der erneute Anstieg auch durchaus als eine Rückkehr zur Normalität betrachtet werden – eine Normalität allerdings im Zeichen zahlreicher Krisen.
Im Jahr 2022 waren 14. 660 Fälle registriert worden, 2023 waren es 18.100. Damit liegen die Zahlen etwa auf der Höhe des letzten Vorkrisenjahres 2019 mit 18.330 Unternehmensinsolvenzen. Anzumerken ist aber auch, dass vor zehn Jahren (2014) über 24. 000 Betriebe den Weg zum Insolvenzgericht gehen mussten. Der Zusammenbruch eines Unternehmens hat Auswirkungen auf die Forderungen der Gläubiger und für die betroffenen Arbeitnehmer. Die Summe der Schäden für die Gläubiger ist mit etwa 34 Mrd. Euro zu veranschlagen. Auch hier gab es wieder eine Zunahme gegenüber 2022 mit 32,7 Mrd. Euro, aber es war doch deutlich weniger als in den beiden Krisenjahren 2020 und 2021 mit 42,6 bzw. 51 Mrd. Euro bedrohter Forderungen der Gläubiger.
Arbeitsplatzerhalt durch Sanierung?
Rund 205.000 Arbeitnehmer waren von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen. In diese Zahl sind auch Arbeitsplätze einbezogen, die bereits in der Notlage vor dem Insolvenzantrag entfallen waren. Anzumerken ist weiter, dass gerade bei den Großinsolvenzen durch die Fortführung in der Sanierung mit der Eigenverwaltung viele Betroffene (zunächst) weiter in Lohn und Brot bleiben. Über 200.000 Beschäftigte stellen ebenfalls einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr mit 175.000 Betroffenen dar, bewegen sich aber im historischen Kontext der letzten zehn Jahre auf einem gewohnten Niveau (2014: 264 000 von Unternehmensinsolvenz betroffene Arbeitnehmer).
Das Insolvenzgeschehen hat die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite erfasst. Auch wenn berühmte Fälle, etwa im Textilbereich oder im Gesundheitswesen, von sich reden machen, sind alle Hauptwirtschaftsbereiche gleichermaßen von den Steigerungen betroffen. Das reicht vom Baugewerbe, das gegenüber dem Vorjahr um mehr als 20 Prozent zulegte, über die Dienstleister mit 22,5 Prozent Plus, den Handel mit plus 26 Prozent bis schließlich zum Verarbeitenden Gewerbe mit über 30 Prozent Zuwachs. Nach wie vor bleibt es aber dabei, dass der Tertiärsektor, vor allem die Dienstleister mit fast 60 Prozent (Handel: 19,3 Prozent) den Löwenanteil unter den Branchen hält. Trotz der relativ geringen Zunahme beim Bau stehen hier wohl die größten Probleme bei der Unternehmensstabilität an. Infolge der teureren Finanzierung und der Preissteigerungen beim Einkauf der Materialien sinkt die Zahl der Baugenehmigungen, der mittelständisch geprägte Wirtschaftsbereich gerät auch angesichts einer schwachen Eigenkapitalsituation wohl weiter in die Krise.
Gesundheit, Textil, Gastronomie und Bau
Das Besondere bei den Insolvenzen von Unternehmen im Jahr 2023 ist allerdings, dass vermehrt große Unternehmen betroffen waren. Die Allianz Trade titelte: "Großinsolvenzen in Deutschland sind zurück". Sie zählte 2023 45 Fälle von Großinsolvenzen – 2022 waren es noch 26. Den höchsten Stand nach diesen Berechnungen hatte man 2016 mit damals 58 großen Insolvenzen von Unternehmen registriert. Auch die Analyse von Creditreform zeigt: Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern legten 2023 um 50 Prozent zu. Immer noch wird der größte Teil aller Insolvenzen von kleinen Betrieben mit bis zu 10 Beschäftigten getragen. Auch 2023 fanden sich hier mehr als 80 Prozent des gesamten Insolvenzaufkommens. Aber auch im Sektor eher größerer Mittelständler mit 51 bis 250 Mitarbeitern zeigt sich eine Zunahme des Anteils von 2,5 (2022) auf 3,6 Prozent (2023).
Besonderes Augenmerk verdienen im abgelaufenen, aber auch in diesem Jahr die Bereiche des Gesundheitswesens und des Textilhandels. Bekannte Namen wie Peek & Cloppenburg, Hallhuber, Gerry Weber oder Peter Hahn zeigen, wie schwierig der Handel mit Textilien angesichts von Inflation und schwacher Konsumlaune geworden ist. Für die Krise im Gesundheitswesen stehen Convivo Life, Diako, die Schön Klinik in Rendsburg, die DRK Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz oder das St. Vincenz Krankenhaus in Paderborn. Alle diese Gesellschaften zählen deutlich mehr als 1.000 Beschäftigte. Schwierig wird es auch in einer weiteren Branche: Die Gastronomie muss zum alten Mehrwertsteuersatz zurückkehren, auch sie hat Probleme angesichts der Preissteigerungen und der Kauflaune der Gäste. Das abgelaufene Jahr war schon schwierig – 2024 wird es wohl noch einmal mehr Unternehmensinsolvenzen geben.
Höchstwert bei Firmenpleiten im Dezember
Auch eine aktuelle Analyse des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt, dass die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften im Dezember stark angestiegen ist. Die Wissenschaftler aus Halle erfassten den höchsten Wert für einen Dezember seit Beginn der Datenerfassung im IWH-Insolvenztrend im Jahr 2016. Für die kommenden Monate rechnet das IWH mit weiter steigenden Insolvenzzahlen.
Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland liegt laut IWH-Insolvenztrend im Dezember 2023 bei 1 078 (vgl. Abb. 01). Das sind 10% mehr als im November und knapp ein Viertel mehr als im Dezember des Jahres 2022. Die Zahl der Insolvenzen lag 24% über dem Dezember-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie.
Abb. 01: IWH-Insolvenzttrend [Quelle: Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)]
Im Dezember wurde der höchste Wert des Jahres 2023 erreicht. Wie von der IWH-Insolvenzforschung im Spätsommer prognostiziert, wurde das vierte Quartal damit zum insolvenzstärksten Quartal des vorigen Jahres. Das vierte Quartal weist normalerweise die wenigsten Insolvenzen eines Jahres auf.
Schließungen großer Arbeitgeber führen oft zu hohen und dauerhaften Einkommens- und Lohnverlusten bei den betroffenen Beschäftigten. Die Analyse des IWH zeigt, dass in den größten 10% der Unternehmen, deren Insolvenz im Dezember gemeldet wurde, ca. 9 600 Arbeitsplätze betroffen waren. Die Zahl der betroffenen Beschäftigten in den größten 10% der Unternehmen liegt damit auf dem Niveau der Vormonate und dem eines durchschnittlichen Dezembers (vgl. Abb. 02). Die meisten Arbeitsplätze entfallen im Dezember auf Insolvenzen in der Industrie und bei unternehmensnahen Dienstleistungen.
Abb. 02: Betroffene Beschäftigte [Quelle: Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)]
Die dem Insolvenzgeschehen vorlaufenden IWH-Frühindikatoren erreichten im Dezember den zweiten Monat in Folge einen neuen Höchststand. Das IWH erfasst Frühindikatoren seit Januar 2020. "Die hohen Werte im Dezember markieren nicht das Ende steigender Insolvenzzahlen. Für die kommenden Monate erwarten wir weiter steigende Zahlen", sagt Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität sowie der dort angesiedelten Insolvenzforschung. Die Zahl der insolventen Personen- und Kapitalgesellschaften war seit den historischen Höchstständen vor etwa 20 Jahren stark zurückgegangen. Selbst bei einem weiteren moderaten Anstieg der Insolvenzzahlen in diesem Jahr läge das Insolvenzgeschehen noch immer im normalen Bereich, erläutert Müller.
IWH-Insolvenztrend: Hintergrund, Daten, Methodik
Deutlich schneller als die amtliche Statistik liefert der IWH-Insolvenztrend des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) jeden Monat einen belastbaren Befund zum bundesweiten Insolvenzgeschehen für Personen- und Kapitalgesellschaften. Die Ergebnisse weisen nur geringfügige Abweichungen von den amtlichen Zahlen auf, die mit etwa zwei Monaten Zeitverzug eine umfassende Einschätzung der Lage erlauben (vgl. Abb. 03). Der IWH-Insolvenztrend ist deshalb ein verlässlicher Frühindikator. Für seine Analysen wertet das IWH die aktuellen Insolvenzbekanntmachungen der deutschen Registergerichte aus und verknüpft sie mit Bilanzkennzahlen betroffener Unternehmen. Dank seiner langjährigen Expertise, gebündelt in der IWH-Insolvenzforschungsstelle, gehört das Institut bundesweit zu den führenden Einrichtungen auf diesem Themengebiet.
Abb. 03: IWH-Insolvenztrend vs. amtliche Statistik, nur Personen- und Kapitalgesellschaften [Quelle: Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)]
Die im IWH-Insolvenztrend gemeldeten Insolvenzen für Kapital- und Personengesellschaften umfassen in der Regel mehr als 90% der von Unternehmensinsolvenz betroffenen Arbeitsplätze und 95% der Forderungen. Damit bilden diese Zahlen verlässlich die direkten volkswirtschaftlichen Konsequenzen des Insolvenzgeschehens ab. Auch die amtliche Statistik weist monatlich vorläufige Insolvenzzahlen aus. Diese beziehen sich jedoch auf alle Regelinsolvenzen. Regelinsolvenzen umfassen neben den im IWH-Insolvenztrend erfassten Personen- und Kapitalgesellschaften auch die gesamtwirtschaftlich wenig relevante Gruppe der Kleinstunternehmen. Zudem werden auch bestimmte natürliche Personen wie Selbstständige oder ehemals selbstständig Tätige mit unüberschaubaren Vermögensverhältnissen sowie privat haftende Gesellschafter und Einzelunternehmer gemeldet. Die Zahl der Personen- und Kapitalgesellschaften macht weniger als die Hälfte der Regelinsolvenzen aus. Die prozentualen monatlichen Veränderungen bei den Regelinsolvenzen können sich deutlich von denen der Personen- und Kapitalgesellschaften unterscheiden.
[Quellen: Creditreform Risikomanagement-Newsletter vom 10. Januar 2024, Allianz Trade, Creditreform Wirtschaftsforschung, Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)]