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Stresstest zum Wort des Jahres gekürt


Stresstest zum Wort des Jahres gekürt News

Stresstest ist in aller Munde. Die jüngste und immer noch aktuelle Finanz- und Schuldenkrise prägte daher das Mitte Dezember von der "Deutschen Gesellschaft für Sprache" gekürte Wort des Jahres 2011. Aus einer Sammlung von rund 3.000 Belegen aus verschiedenen Medien und Einsendungen von Außenstehenden wählte die Jury, die sich aus dem Hauptvorstand der Gesellschaft sowie den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammensetzt, zehn Wörter, die die öffentliche Diskussion dominiert und dieses Jahr wesentlich geprägt haben.

Das Wort Stresstest war in verschiedensten Bereichen anzutreffen: Nicht nur Banken wurden auf ihre Belastbarkeit getestet, auch etwa das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg und deutsche Atomkraftwerke wurden Stresstests unterzogen. Diese Praxis und somit das Wort erlangten dadurch politische, wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Relevanz. So ist Stresstest mittlerweile als fester Bestandteil der Alltagssprache anzusehen.

Das Wort Stress hat seinen Ursprung im Lateinischen: "strictus", das mit "angezogen, stramm oder gespannt" übersetzt werden kann. In der Alltagssprache ist Stress eine tagtägliche und jedermann bekannte psychische  und physische Reaktion auf eine Herausforderung. Auf der einen Seite benötigt der Mensch für eine normale körperliche und seelische Entwicklung angemessene Belastungen (Eustress) und auf der anderen Seite kann Stress krank machen, wenn die Beanspruchungen übermäßig sind, wenn sich der Körper fast ständig in erhöhter Alarmbereitschaft befindet (Distress).

Der Begriff Stress hat mittlerweile auch Einzug in die Ökonomie gehalten. Mit Hilfe von Stresstests können Unternehmen die potenziellen Auswirkungen von katastrophenähnlichen Ereignissen und krisenhaften Entwicklungen im Detail analysieren und sich präventiv vorbereiten. So wird beispielsweise mit Stresstests untersucht, ob Banken eine ausreichende Risikotragfähigkeit habe, um in einem konjunkturellen Umfeld zu bestehen oder Worst-Case-Szenarien zu überleben.

Stressszenarien nur selten ernst genommen

Ein Blick in die jüngste (Krisen-)Vergangenheit zeigt, dass Stresstests nicht besonders ernst genommen wurden. Vielleicht kann es verglichen werden mit dem Lesen von Betriebsanleitungen, was in der Regel nur wenig Freude beschert. Daher legen viele den Papierkram rasch zur Seite und schließen die Geräte erst mal an. So ähnlich müssen in den vergangenen Jahren auch viele Anwender von Risikomodellen vorgegangen sein, haben sie doch den Hinweis übersehen: "Funktioniert nur unter normalen Marktbedingungen".

Bereits im Jahr 2006 hatte das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) in seinem Diskussionpapier "Technical aspects of stress testing under the supervisory review process – CP12" umfangreiche Forderungen nach Stresstests aufgestellt. Darin waren neben den klassischen Marktpreis- und Adressrisiken auch Liquiditätsrisiken und makroökonomische Risiken abgedeckt. Mit Hinblick auf die zwei bis drei Jahre später eingetretene Finanzmarktkrise hätte also kein Institut unvorbereitet sein müssen. Streng genommen müssten sich die Banken an den alten Hinweisen und Anforderungen der CEBS von Anfang Juni 2006 heute messen lassen:

  • "... stress testing may be used to assess the adequacy of internal capital ..."
  • "... stress testing should be used to supplement statistical methodologies (such as VaR). Stress testing helps form a view where paucity of historical data limits the predictive power of such models ..."
  • "... institutions should use stress testing as one tool to assess the risks in a forward looking manner ...".


Das CEBS hatte damals in einem Diskussionspaper zusammengefasst was ohnehin schon lange bekannt war (und leider niemand lesen wollte): Auch in Stressszenarien gemessene Risiken müssen noch von der Risikotragfähigkeit des Instituts gedeckt sein, Risikomessungen mit VaR-Modellen sollten durch Stresstests erweitert werden, historische Betrachtungen sind unzureichend und sollten um zukünftige Risikoszenarien ergänzt werden.

Im Kern handelt es sich um Szenario- und Sensitivitätsanalysen

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht handelt es sich beim Stresstesting um Szenario- und Sensitivitätsanalysen, die historisch vor der Etablierung stochastischer Modelle bereits flächendeckend im Einsatz waren. Diese Methoden bieten eine einfach verständliche Darstellung von Risiken bei vorab bestimmten Entwicklungen und erfordern keinerlei statistische oder konzeptionelle Kenntnisse der Methode. 

Das Problem für die Praxis besteht in der Ableitung außerordentlicher und trotzdem realistischer Stressszenarien. Werden hierzu Extremereignisse aus der Vergangenheit herangezogen, ist zwar die Akzeptanz der Szenarien regelmäßig gegeben, aber es fehlt die Berücksichtigung dessen was noch nicht beobachtet werden konnte, aber dennoch möglich ist. Hypothetische Stressszenarien für die Zukunft werden in der Regel mit Hilfe von Experteneinschätzungen gewonnen. Hierzu stellt das betriebswirtschaftliche Risikomanagement einen Baukasten vieler (Kreativitäts-)Methoden bereit: Brainstorming, Brainwriting, Delphimethode, Expertenbefragung, Synektik etc. Die Gefahr von hypothetischen und extremen Szenarien besteht in einem Mangel an Akzeptanz bei den Risikoverantwortlichen. Frei nach John Maynard Keynes wird schnell mangels Erkenntnisnutzen extremer Risikoszenarien abgewunken: "In the long run we are all dead".

Pragmatisch wurden und werden zum Teil noch Stresstests nach der Maxime gewählt: Wie muss ich mein Stressszenario definieren, damit bei gegebener Risikotragfähigkeit kein Handlungsbedarf besteht und das Ist-Portfolio in seiner Struktur erhalten bleibt? Solche Stresstests haben keinerlei Erkenntnisgewinn oder Steuerungsnutzen und dienen nur der fadenscheinigen Erfüllung aufsichtsrechtlicher Normen.

 

Platz 2 belegt das Verb hebeln. In der derzeitigen europäischen Schuldenkrise erweiterte dieser Fachbegriff aus der Finanzbranche die Bedeutung des in der Allgemeinsprache bereits bekannten Worts und spiegelt das Bemühen um die finanzielle Rettung der Eurostaaten: Durch Erweiterung des Rettungsschirms um externes Kapital soll die Summe zur Rettung eines Landes vervielfältigt werden. Tatsächlich wird durch das Hebeln weniger Kraft, sprich Kapital, benötigt als beim Akt des Stemmens. 

Das ganze Jahr über aktuell und sprachlich interessant ist die Arabellion auf Platz 3 als Oberbegriff für die zahlreichen Revolutionen und politischen Umwälzungen in den arabischen und nordafrikanischen Ländern. 

Merkozy – prägnante Kurzbezeichnung für Angela Merkel und Nicolas Sarkozy – wählte die Jury auf Platz 4. Die Wortkreuzung kennzeichnet die exponierte Stellung und die weitgehende Einigkeit von Deutschland und Frankreich bei Entscheidungen zum Umgang mit der europäischen Finanzkrise. 

Zu einem bedeutungsschweren Begriff wurde im Jahr 2011 Fukushima auf Position 5. Der Name des betroffenen Ortes wurde gleichsam zu einer Chiffre für das Atomunglück in Japan und drückt dessen gesamte Spannweite sowie die Folgen für die deutsche Energie- und Atompolitik aus. 

Auf den 6. Rang wurde Burnout gewählt. Zwar ist das Wort und insbesondere die Krankheit schon seit längerem verbreitet, doch ist Burnout zunehmend als Ausdruck der Probleme unserer heutigen schnelllebigen Zeit zu verstehen und verbreitet sich als Begriff derzeit geradezu inflationär. 

Seit sich herausstellte, dass es sich bei der Doktorarbeit des ehemaligen Verteidigungsministers Karl Theodor zu Guttenberg in weiten Teilen um ein Plagiat handelt, ist das Verb guttenbergen, in der Liste auf Platz 7, als Synonym für abschreiben, abkupfern, plagiieren bekannt und längst nicht mehr nur auf das Vorgehen dieses Politikers zu beziehen. 

Im Frühjahr sorgte der Darmkeim Ehec für Aufregung und Ducheinander bei der Suche nach seinem Hauptüberträger. Schließlich wurde er gefunden und die Bevölkerung fortan vor den schuldigen Killersprossen, auf Platz 8, gewarnt. 

Als Philipp Rösler zum Vorsitzenden der FDP gewählt wurde, versprach er: "Ab jetzt wird geliefert!" In dieser Aussage wird ein neues Verständnis von Politik offenbar, zeitnah konkrete Lösungen zu Problemstellungen vorzulegen, und liefert uns den 9. Platz. 

Abschließend wählte die Jury "Wir sind die 99 %" auf Position 10. Hiermit wird das Motto der weltweit auftretenden Occupy-Bewegung thematisiert, das auf die äußerst ungleiche Verteilung von Macht und Geld in der Weltbevölkerung aufmerksam machen soll.

 


[Bildquelle: iStockhoto]

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