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"Survival of the fittest" in Wirtschaft und Gesellschaft


"Survival of the fittest" in Wirtschaft und Gesellschaft News

"Survival of the fittest" beschreibt den Wettbewerbsvorteil derer, die am besten in der Lage sind, sich neuen Umständen anzupassen. Ursprünglich von dem englischen Forscher Herbert Spencer formuliert, wurde der Begriff 1869 durch Charles Darwin in seiner Theorie der natürlichen Auswahl übernommen und erlangte darüber große Bekanntheit. Womit wir aber jetzt weder der Evolutionstheorie das Wort reden noch zum Opportunismus aufrufen wollen. Dennoch: Wir stehen am Anfang von weitreichenden und dauerhaften strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft, den Kapitalmärkten und auch der Gesellschaft. Und wer dabei diese Entwicklungen am besten vorhersieht und sich dann auch noch entsprechend darauf einstellt, wird unbestreitbar die Nase vorne haben. Doch welche Themen werden die Kapitalmärkte in den kommenden Jahren dominieren? Und wie können Anleger am besten darauf reagieren?

Das Zeitalter der Bescheidenheit

Während das vergangene Jahrzehnt wohl entweder als das i-Age  oder als die Zeit der großen Krisen in die Geschichte eingehen wird, sind die vor uns liegenden Jahre eher von Bescheidenheit gekennzeichnet. Niedrige Zinsen, vernachlässigbares Wirtschaftswachstum, überschaubare Unternehmensgewinne, verhaltene Inflation und geringe Volatilität stehen für das neue Normal. Die Angst vor bedrohlichen Ereignisrisiken, vom Zusammenbruch des Euros bis hin zu Bankenpleiten, ist infolge der nachdrücklichen Interventionen der Zentralbanken einer zurückhaltenden Zuversicht gewichen. Das klingt zunächst nach einer längeren Phase entspannten Anlegerdaseins. Tatsächlich aber wird es für Investoren immer schwieriger, den Märkten einen ausreichenden Ertrag abzutrotzen. Denn im Gegensatz zu bisher bekannten Mustern, wonach Aktien und Anleihen sich oft gegenläufig entwickeln und im Vorfeld von Rezessionen die Renditen von Unternehmensanleihen stiegen, konnten in den vergangenen Monaten nahezu alle Asset-Klassen hohe Kursgewinne verbuchen. Insbesondere konnten sich die Credit Spreads, also Aufschläge für Kreditrisiken von anleiheemittierenden Unternehmen, weiter einengen - im Widerspruch zu der über lange Jahre sonst zu beobachtenden negativen Korrelation von Zinsen und Spreads. In weiten Bereichen gilt daher das Potenzial als bereits ausgeschöpft. Insbesondere für Geldmarktfonds wird es eng: Diese haben Mühe, überhaupt noch einen positiven Return zu erwirtschaften. Immer mehr werden die engen Anlagerichtlinien aufgeweicht werden müssen, um Renditeziele zu erreichen.

Dazu werden Kurzläufer, also Anleihen mit kurzen Restlaufzeiten, herhalten müssen. Denn das kurze Ende der Zinskurve der Eurokernländer bewegt sich im negativen Bereich – zur Freude einiger Finanzminister, die mit dem Schuldenmachen im Gegensatz zu den Anlegern auch noch Geld verdienen. Die immense Nachfrage nach Unternehmensanleihen mit bis zu drei Jahren Restlaufzeit lässt auch hier die Renditen zusammenschmelzen wie Schnee in der Sonne. Dagegen refinanzieren sich die Unternehmen angesichts der geringen Kosten lieber in mittleren oder langen Laufzeitsegmenten und haben daher dem Nachfrageüberhang wenig entgegenzusetzen.

Abb. 01: Starker Zuwachs bei Unternehmensanleihen [Quelle: Bank of America Merrill Lynch Indizes]
Abb. 01: Starker Zuwachs bei Unternehmensanleihen [Quelle: Bank of America Merrill Lynch Indizes]


Das kommt wiederum den Aktionären sehr entgegen. Denn wer sich günstig mit Fremdkapital eindecken kann, hat nicht nur freie Hand bei der Investitionsplanung, es bleibt auch aufgrund der geringeren Kapitalkosten auch mehr vom operativen Ergebnis zur Ausschüttung übrig. Dieser Umstand, auch in Kombination mit den niedrigen Zinsen, die als Diskontfaktor für zukünftige Unternehmensgewinne dienen, spricht für auch im kommenden Jahr gut unterstützte Aktienmärkte.
 
Anleihen vor Aktien?

Aus der Erfahrung des dramatischen Konjunktureinbruchs in 2009 haben viele Unternehmen gelernt und sich für harte Zeiten gewappnet. Das wird anhand der gut gefüllten Liquiditätspolster sowie der durchschnittlich nachhaltig rückläufigen Verschuldungsgrade der im Bloomberg European 500 zusammengefassten und nach Marktkapitalisierung größten europäischen Unternehmen deutlich. Weiter können insbesondere europäische Firmen mit Effizienzgewinnen glänzen, die den bisherigen Kostenreduzierungsprogramme geschuldet sind. Aus der bisherigen Berichtssaison wird jedoch klar, dass die Unternehmen auf der Ertragsseite oftmals enttäuschen. Auch bleiben die Gewinnmargen häufig hinter den Erwartungen zurück.

Abb. 02: Verschuldungsgrad und Liquidität der 500 größten, börsennotierten europäischen Unternehmen [Quelle: Bloomberg]
Abb. 02: Verschuldungsgrad und Liquidität der 500 größten, börsennotierten europäischen Unternehmen [Quelle: Bloomberg]


Trotz der von vielen Unternehmen angeordneten zusätzlichen Sparmaßnahmen wird sich wohl daran vorerst nicht viel ändern. Denn mit einer schnellen wirtschaftlichen Erholung ist nicht zu rechnen und so bleibt das Glas für die Dividendentitel eher halbleer als halbvoll. Eine Fortsetzung der jüngsten Rallye wäre vor allem Ausdruck der anhaltenden Begeisterung der Markteilnehmer über die erzielten Fortschritte bei der Stabilisierung der Eurozone sowie der Vermeidung der "Fiscal Cliff" in den USA, wo harte Budgetbeschränkungen wirksam werden, sollte keine Lösung gefunden werden. Anders dagegen sieht es für die Anleiheinvestoren aus. Zwar haben Bayer, BASF, Siemens und einige andere Emittenten aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Bonität längst einige Staatsanleihen als "Safe Haven"-Anlage abgelöst und weisen nur noch Niedrigstrenditen auf. Doch in vielen Fällen erzielt der Investor insbesondere nach Absicherung des Zinsrisikos noch immer erfreuliche Zinserträge – für europäische Investment-Grade-Anleihen sind dies immerhin durchschnittlich 130 Basispunkte, während High Yield derzeit noch einen Renditeaufschlag von 535 Basispunkten aufweist.

Abb. 03: Renditeaufschläge von Investment Grade und High-Yield-Anleihen im Vergleich [Quelle: Bank of America Merrill Lynch Indizes]
Abb. 03: Renditeaufschläge von Investment Grade und High-Yield-Anleihen im Vergleich [Quelle: Bank of America Merrill Lynch Indizes]


Zwar sind auch hier die Risikoprämien deutlich rückläufig, was nicht zuletzt aber auch die sich verbessernden Rahmenbedingungen reflektiert: Weniger Risiko – weniger Rendite. Die aktuellen Prognosen zur Wertentwicklung von Corporate Bonds und High Yield sehen demnach eine stabile Entwicklung dieses Segmentes voraus. Die Analysten sind sich weitgehend einig, dass 2013 zumindest die Zinserträge erwirtschaftet werden, also keine nennenswerten Kursverluste zu befürchten sind. Das Potenzial zu weiteren Kursgewinnen gilt dagegen als sehr begrenzt. Im wahrscheinlichen Fall, bei dem unterstellt wird, dass die Wirtschaft im Jahresverlauf wieder anzieht, sind dies für Investment-Grade-Anleihen immerhin noch 2,4 Prozent, während High Yield mit bis zu 8 Prozent Return lockt. Es spricht viel dafür, dass die Finanzmärkte hier ein neues, stabiles Gleichgewicht finden und Anleihen in diesem Umfeld die konstantesten Erträge abwerfen – solange die Zinsen nicht steigen.

Tab. 01: Ertragsprognosen für Unternehmensanleihen [Quelle: J.P.Morgan]
Tab. 01: Ertragsprognosen für Unternehmensanleihen [Quelle: J.P.Morgan]

Erfolgsfaktor Zinsen

Das Zinsrisiko kann dagegen leicht zum entscheidenden Erfolgsfaktor des kommenden Jahres werden. Sicher ist, dass angesichts der historisch niedrigen Zinsen kaum noch Raum für einen weiteren Zinsrückgang vorhanden ist. Dabei ist unklar, welche der zum Teil gegenläufigen Zinseinflussfaktoren sich durchsetzen werden. Zwar ist davon auszugehen, dass die EZB, wie Martin Hüfner in seinem Kommentar deutlich macht, angesichts der gegebenen Wirtschaftslage eher über eine weitere Zinssenkung nachdenken dürfte. Dies spricht vorerst für unverändert niedrige oder sogar weiter sinkende Zinsen.

Auch die Entscheidung des amerikanischen Notenbankchefs Bernanke, die Zinsen unmittelbar an die Arbeitslosigkeit zu binden, lässt derzeit keinen Spielraum für Zinserhöhungen. Doch Timing ist wie immer alles. Denn während Europa Fortschritte macht bei der Schaffung einer Bankenunion unter der Aufsicht der europäischen Zentralbank, kommt die für ein gemeinsames Europa so wichtige wirtschaftliche Integration nicht recht voran. So plädieren einige europäische Staaten für ein strikte fiskalische Disziplin, dagegen fordern andere Länder vehement verstärkte Anstrengungen zur Ankurbelung der Konjunktur unter Beteiligung aller Mitgliedsstaaten. Ohne ökonomische und monetäre europäische Einheit besteht das Risiko einer Fortsetzung des bisherigen Flickwerks, bei dem die steigenden Staatsausgaben zur Not auch durch die Zentralbank finanziert werden. Dies kann sich, im Gegensatz zum oft zitierten Japan-Szenario, über kurz oder lang auch in steigenden Zinsen niederschlagen.

Nicht überraschend zeigen sich vor allem solche Länder als spendierfreudig, die bereits unter einer hohen Staatsverschuldung leiden. Denn wie der Preisträger des diesjährigen Assenagon Thesis Awards  von der Universität Karlsruhe, Anton Popp, in seiner Arbeit nachweisen konnte, eignet sich die in der Wirtschaftswissenschaft übliche Annahme der klassischen Nutzenfunktion zur Beschreibung von Konsum- und Investitionspräferenzen nur begrenzt zur Erklärung von beobachtbaren Anlegerverhalten. Vielmehr zeigt sich, dass Investoren bei großen Verlusten immer indifferenter bezüglich der Höhe ihrer Schulden werden. Sie gehen dabei immer größere und riskantere Positionen ein, um bereits erlittene Verluste wettzumachen und nehmen das zusätzliche Verlustrisiko bewusst in Kauf. Dieses Verhalten lässt sich auch auf überschuldete Staaten und Regierungen im Wahlkampf übertragen, die sich weniger der Reduzierung des erdrückenden Staatsdefizites verpflichtet fühlen, als der Wahrung der nationalen Interessen, insbesondere der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dies kam unlängst auch in einer Äußerung des französischen Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg zum Ausdruck, in der er die Europäische Union als "den Deppen des globalen Dorfes" bezeichnete, der sich zu wenig um seine eigenen Belange kümmert. Wie der indische Stahlgigant ArcelorMittal erfahren musste, sind solche verbalen Ausrutscher keine leeren Worte. Konkret wurde dieser Hang zum Protektionismus, als dem Firmeneigentümer Lakshi Mittal im Falle der Stilllegung unrentabler Produktionsstätten in Frankreich mit einer Verstaatlichung dieser Unternehmensteile gedroht wurde.

Auslaufmodell "AAA"

Der mit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise begonnene Prozess der Rating-Migration der Industrienationen kann auch als Übergangsphase angesehen werden, bevor ein stabileres Gleichgewicht mit durchschnittlich niedrigeren Bonitäten erreicht wird. Nachdem unlängst auch Frankreich den elitären Club der AAA-benoteten Länder verlassen musste, wird es nun einsam an der Spitze. Innerhalb der Eurozone können nun nur noch Deutschland, Finnland, Holland, Luxemburg und Österreich auf die Bestnote verweisen, im übrigen Europa sind es Dänemark, die Isle of Man, Großbritannien, Norwegen, Schweden und die Schweiz. Spiegelbildlich dazu entwickelt sich auch der weltweite Anleihekapitalmarkt.

Abb. 04: BBB-Anleihen gewinnen, AA verlieren an Bedeutung [Quelle: Bank of America Merrill Lynch Indizes]
Abb. 04: BBB-Anleihen gewinnen, AA verlieren an Bedeutung [Quelle: Bank of America Merrill Lynch Indizes]

Während den AAA gerateten Anleihen von Finanzinstituten und Industrieunternehmen auch in der Vergangenheit nur eine geringe Bedeutung zukam, befinden sich AA-Emittenten zugunsten von A und BBB klar im Rückzug. Für Anleger bedeutet dies, zukünftig noch stärker Kreditqualitätsaspekte in ihre Investment-Überlegungen einfließen zu lassen, auch wenn und gerade weil sich Unternehmensanleihen in diesem Jahr so bemerkenswert positiv entwickelt haben. Und sich auf längerfristig niedrige Anlageerträge einzurichten – solange die Zinsen nicht steigen, denn dann werden auch Anleihen verlieren, mit Kursverlusten über den vereinnahmten Kupon hinaus. Wer sich darauf einstellt und sein Anlageportfolio entsprechend ausrichtet, kann dem neuen Jahr entspannt entgegen sehen.



Autor:

Michael Hünseler, Head of Credit Portfolio Management, Assenagon Asset Management S.A.

 

[Bildquelle: © adimas - Fotolia.com]

Kommentare zu diesem Beitrag

RiskNET Redaktion /18.12.2012 09:56
+++ Zypern warnt vor Staatsbankrott in nächsten Tagen +++

Zypern hat vor einem möglichen Staatsbankrott in den nächsten Tagen gewarnt. Da im Dezember einige Zahlungen auf Kredite fällig werden, braucht das Land finanzielle Mittel von staatseigenen Betrieben, um über das Jahr zu kommen. Finanzstaatssekretär Christos Patsalides sagte, Zypern benötige 250 Millionen Euro von der staatlichen Telekomgesellschaft sowie der Hafenverwaltungsbehörde, um auch laufende Ausgaben wie Gehälter bezahlen zu können. Bisher habe das Land 170 Millionen Euro aus internen Quellen aufgetrieben.

"Falls diese zusätzlichen Finanzbedürfnisse nicht gedeckt werden, dann sprechen wir über einen Zahlungsausfall in den nächsten Tagen", sagte Patsalides im Wirtschaftsausschuss des Parlaments.

Zypern verhandelt seit dem Sommer mit der Eurozone und dem Internationalen Währungsfonds über ein Rettungsprogramm, aber bislang ist kein endgültiges Abkommen zustande gekommen. Besonders umstritten ist die Rekapitalisierung der Banken, weil die Institute viele Gelder von russischen Oligarchen verwalten.

Die Eurozone steht vor einem Dilemma: Rettet sie Zypern und seine Banken, könnten russische Oligarchen profitieren. Tut sie es aber nicht, steht der Zusammenhalt des Euroraums auf dem Spiel. Derzeit läuft eine Bilanzprüfung der zyprischen Banken. Mit einem Ergebnis ist erst Mitte Januar zu rechnen.

Der Kapitalbedarf der zyprischen Banken dürfte bei etwa 10 Milliarden Euro liegen. Die gesamte Rettung des Landes vor der Pleite könnte rund 17 Milliarden Euro kosten.
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