Die Corona-Pandemie ist ein beispielloser Schock für die Weltwirtschaft. Die Regierungen vieler Länder haben darauf zügig mit Ausgangssperren, Quarantänen, Schließung von Unternehmen und Reisebeschränkungen reagiert. Dies hat weltweit zu Produktionsausfällen, Lieferengpässen und unterbrochenen Lieferketten geführt.
Die Pandemie beeinträchtigt außerdem massiv die Nachfrage, da viele private Haushalte ihren Konsum einschränken oder in die Zukunft verschieben - aus Angst vor einer Ansteckung oder aufgrund von Empfehlungen der Behörden. Die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Wirtschaft sind nur schwer zu quantifizieren, sodass Prognosen mit großer Unsicherheit behaftet sind, so die Wissenschaftler des ifo Instituts in München und des KOF in Zürich in ihrem Eurozone Economic Outlook.
Abb. 01: Industrieproduktion Euroraum (saison- und arbeitstäglich bereinigt) | Quelle: ifo Instituts München und KOF Zürich / Eurozone Economic Outlook
Die konjunkturellen Frühindikatoren für den Euroraum deuten auf eine abrupte Verschlechterung der aktuellen Wirtschaftslage hin. Der von der Europäischen Kommission erhobene Stimmungsindikator verzeichnete den stärksten monatlichen Rückgang seit Beginn der Erhebungen: von knapp über seinem langfristigen Durchschnittswert von 100 im Februar auf 94 im März. Dies spiegelt das nachlassende Verbrauchervertrauen sowie die sinkenden Produktions- und Nachfrageerwartungen im Verarbeitenden Gewerbe, im Einzelhandel und im Dienstleistungssektor wider. Der Einkaufsmanagerindex der Firma Markit bestätigt diesen Ausblick mit einem massiven Rückgang von knapp über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten im Februar auf 31 Punkte in März. In beide Indikatoren gingen Antworten aus Befragungen ein, die erhoben wurden, bevor strenge Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ergriffen wurden. Eine weitere Verschlechterung kann daher erwartet werden, so die Wissenschaftler von ifo und KOF in ihrer gemeinsamen Analyse.
Zu Beginn dieses Jahres stand das Verarbeitende Gewerbe im Euroraum kurz davor, sich von einem anhaltenden Einbruch im Jahr 2019 zu erholen. Aufgrund der Verwerfungen, die der Ausbruch der Pandemie in vielen Ländern des Euroraums verursachten hat, wird die Industrieproduktion nun jedoch im ersten Quartal 2020 voraussichtlich stark um 4% fallen, gefolgt von einem drastischen Rückgang um 18% im zweiten Quartal. Unter der Annahme, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie im Sommer gelockert werden können, dürfte sich die Industrieproduktion im dritten Quartal mit +19% gegenüber dem Vorquartal erholen.
Abb. 02: Bruttoinlandsprodukt Euroraum (saison- und arbeitstäglich bereinigt) | Quelle: ifo Instituts München und KOF Zürich / Eurozone Economic Outlook
Die Wirtschaft im Euroraum wird in der ersten Hälfte des Jahres 2020 voraussichtlich in eine tiefe Rezession rutschen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird im Q1 wohl bereits mit 2% und im Q2 mit 10% drastisch zurückgehen, gefolgt von einer kräftigen Erholung im Q3 mit +8%. Aufgrund des Mangels an vergleichbaren Ereignissen in den letzten Jahrzehnten und des unvorhersehbaren Verlaufs der Pandemie sind diese Schätzungen jedoch mit erheblicher Unsicherheit behaftet.
Aus Nachfragesicht dürfte der private Konsum die Hauptbremse der konjunkturellen Entwicklung sein. Er wird voraussichtlich um 3% und 14% im Q1 und Q2 zurückgehen, bevor er sich im Q3 teilweise erholen dürfte (+12%). Auch die Bruttoanlageinvestitionen werden aufgrund von Angebotsschwierigkeiten, Planungsunsicherheiten und der Präferenz für Liquidität sicher sinken, mit wohl 2% im Q1 und 10% im Q2. Bei nachlassender Unsicherheit dürfte das 3. Quartal eine Erholung von +10% mit sich bringen. Der Staatskonsum wird aufgrund von Maßnahmen gegen Covid-19 und massiven fiskalischen Stimuli in vielen Ländern dem Rückgang der Wirtschaftsleistung entgegenwirken. Mit der Schwäche des internationalen Handels und aufgrund der am Boden liegenden Weltwirtschaft wird die Auslandsnachfrage zum Rückgang des BIP beitragen.
Abb. 03: Inflation Euroraum (HVPI) (Veränderung ggü. Vorjahr, Quelle: Quelle: Eurostat and Ifo-KOF Prognosen) | Quelle: ifo Instituts München und KOF Zürich / Eurozone Economic Outlook
Preisveränderungen in Richtung Deflation Die rückläufige Nachfrage hat zu einem starken Einbruch der Ölpreise geführt. Dies wurde durch das Scheitern einer Vereinbarung zwischen der OPEC und Russland zur Stützung des Marktes durch Produktionsbegrenzungen verstärkt. Der Preis der Sorte Brent fiel von fast 70 USD pro Barrel zu Beginn des Jahres auf 23 USD Ende März.
Darüber hinaus dürfte die Kerninflation infolge der sich verschlechternden Arbeitsmarktbedingungen und der schwachen Nachfrage nach den meisten Waren und Dienstleistungen zurückgehen. Zwar kann es aufgrund von Angebotsproblemen zu Preiserhöhungen für bestimmte Güter kommen, doch werden diese wahrscheinlich keinen wesentlichen Einfluss auf die allgemeine Verbraucherpreisentwicklung haben.
Im Jahresvergleich dürfte die Gesamtinflation im ersten Quartal 2020 bei 1,1% bleiben, bevor sie sich auf +0,2% im zweiten und -0,1% im dritten Quartal verlangsamen dürfte. Sie erreicht damit den deflationären Bereich. Die Inflationsprognose basiert auf der technischen Annahme, dass sich der Brent-Ölpreis allmählich auf etwa 40 USD erholt und der Euro-Dollar-Wechselkurs im Prognosezeitraum konstant bei 1,10 bleibt.
Systemische Risiken flammen wieder auf
Die vorangegangenen wirtschaftlichen Vorhersagen sind mit großer Unsicherheit behaftet. Die Möglichkeit, dass sich die Pandemie früher als erwartet abschwächt, ist gering, insbesondere da die Behandlungsmöglichkeiten bisher nur auf die Linderung der Symptome abzielen und ein Impfstoff wahrscheinlich nicht innerhalb des Prognosezeitraums zur Verfügung stehen wird. Die Risiken für die Wirtschaftsprognose sind daher eindeutig nach unten gerichtet, so die Wissenschaftler in ihrem Eurozone Economic Outlook.
Ein ungünstigerer Verlauf der Pandemie würde längere und möglicherweise strengere Eindämmungsmaßnahmen erfordern, die die Produktion einschränken und die globalen Lieferketten noch weiter gefährden könnten. Trotz umfangreicher Maßnahmen durch Regierungen und Zentralbanken könnte ein längerer Abschwung zu Liquiditätsengpässen in der Wirtschaft führen. Ansteigende Verschuldung in Verbindung mit geringen laufenden Einkommen und einem Wertverfall der Vermögen könnte die Zahlungsfähigkeit von dünn kapitalisierten Unternehmen und Haushalten beeinträchtigen. Ein daraus resultierender Anstieg der Kreditausfälle könnte wiederum zu Problemen im Bankensektor führen.
Diese Abwärtsspirale könnte durch einen Verlust des öffentlichen Vertrauens in die Fähigkeit der Regierungen, die notwendige Liquidität bereitzustellen und ein nachhaltiges Schuldenniveau aufrechtzuerhalten, beschleunigt werden, so das Ergebnis des Eurozone Economic Outlook. Im Euroraum könnte dies eine Bedrohung für Länder wie Italien und Spanien darstellen. Gerade erst von der Staatsschuldenkrise erholt sind sie nun stark von der Coronavirus-Pandemie betroffen. Ein Wiederaufflammen der europäischen Schuldenkrise in großem Maßstab stellt daher ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für die Prognose dar.
[Quelle: ifo Instituts München und KOF Zürich / Eurozone Economic Outlook]