Eines der zentralen Theoreme der Volkswirtschaftslehre geht auf Ronald Coase zurück, der dafür auch 1991 den Nobelpreis erhielt. Vereinfacht dargestellt sagt das Coase-Theorem, dass Externalitäten unter der Annahme effizienter Märkte internalisiert werden können, d. h. der Marktmechanismus trotzdem in der Lage ist, eine pareto-effiziente Ressourcen-Allokation zu erreichen. Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings die eindeutige Definition von Eigentumsrechten sowie völlige Transparenz bzgl. derselben.
Soweit die Theorie. In der Praxis der Finanzmärkte bedeutet dieses Theorem nichts anderes, als dass vertragliche Regelungen zwischen Marktteilnehmern dazu taugen, die Auswirkung von externen Effekten (die das Funktionieren des Marktes beeinträchtigen können) zu beseitigen.
Ein Beispiel: Ein Investor in einen Covered-Bond einigt sich mit dem Emittenten auf einen Collateral-Pool. Die Anleihe ist somit gedeckt. Ein externer Effekt kann dadurch entstehen, dass der Emittent in der Folgezeit eine Vielzahl an Unsecured-Debt emittiert, die in der Rangfolge den gedeckten Anleihen gleich gestellt sind. Somit erhöht sich theoretisch das Ausfallrisiko des Emittenten nachdem der Investor in die gedeckte Anleihe investiert hat.
Allerdings besteht ja genau in der Tatsache, dass der Covered-Bond-Investor vertragsrechtlichen Zugriff auf den Collateral-Pool hat, die Möglichkeit, diesen potenziellen externen Effekt zu mitigieren. Der erwartete Verlust ist trotz gestiegener Ausfallwahrscheinlichkeit gleich geblieben, da die Anleihe immer voll gedeckt bleibt (Loss Given Default = 0). Falls nun eine übergeordnete Rechtsinstanz in den Vertrag bezüglich des Covered-Pools eingreift, werden Eigentumsrechte verändert, der externe Effekt kommt nachträglich zum Tragen und die effiziente Allokation von Ressourcen wird ad absurdum geführt! Folglich versagt der Markt.
Die Aufhebungen von rechtsstaatlichen Prinzipien (Rückwirkungsverbot!) lässt sich also gleichsetzen mit dramatischen Eingriffen in das Funktionsprinzip des Marktes und ist unter normalen (Krisen-)Umständen völlig unvorstellbar. Allein die Tatsache, dass solche Maßnahmen diskutiert werden, ist ein Beleg für ein Phänomen, das wir in unserem letzten Newsletter als "regulatorisches Überschießen" bezeichnet haben.
Überregulierung statt unterlassener Hilfeleistung!
Die extreme Spread-Ausweitung im Financials-Segment lässt sich nur durch die gestiegene Angst von regulatorischen Eingriffen in die Eigentumsrechte der Anleiheinvestoren erklären. Eine nachhaltige Erholung der Kreditmärkte erfordert offensichtlich eine Entspannung im Bankenmarkt. Das gilt nicht nur für die Aktienmärkte, sondern auch für Anleihen höchster Seniorität (von Nachranganleihen ganz zu schweigen). Angesichts der Aktivität der Regierungen und Regulatoren in Bezug auf Stabilisierungsprogramme etc. ist unserer Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit eines weiteren "Lehman-Events" äußerst unwahrscheinlich geworden. Die entscheidende Frage bleibt folglich, ob man nicht genau das Gegenteil fürchten sollte: Überregulierung statt unterlassener Hilfeleistung!
Allerdings muss man nicht erst das Coase-Theorem herbeiziehen, um die Auswirkungen auf den Markt abzuleiten. Die Bekämpfung der Finanzkrise erfordert spezielle Eingriffe, jedoch stehen die immer unter folgenden Nebenbedingungen:
- Verstaatlichung ist ein temporäres Phänomen.
- Wiederherstellung der Liquidität hat oberste Priorität.
- Wiederherstellung des Vertrauens ist die notwendige Voraussetzung dafür.
Potenzielle Eingriffe in die Grundprinzipien des Marktes würden diese Bedingungen klar verletzen. Es wäre aus Sicht der Regulatoren völlig kontraproduktiv und ökonomisch nicht sinnvoll. Auch wenn man regulatorischen Kräften irrationales Handeln unterstellen mag, ist klar,
dass zwischen verschiedenen Jurisdiktionen unterschieden werden muss. Im Sog des UK Banking Act sind auch die Finanzwerte von anderen Ländern unter Druck geraten – auch wenn in solchen Ländern das Risiko von Überregulierungen bei Weitem geringer sind.
Unserer Ansicht nach sind diese systemischen Ängste übertrieben! Rein ökonomisch werden die Risiken vor allem bei Anleihen höchster Seniorität zu hoch eingepreist. Die Annahme anarchischer Zustände an den Kapitalmärkten ist als Kalibrierung des Investitionsziels ungeeignet: Ohne fest definierte Eigentumsrechte steht viel mehr auf dem Spiel als die Performance von Anleihen – nämlich die Funktion des Kapitalmarktes in seiner Gesamtheit!
Der logische Trade ist offensichtlich: Anleihen von Finanzinstituten höchster Seniorität kaufen, die nur im "Anarchie-Leg" wertlos werden. In einer Anarchie ist Kapital aber sowieso nichts wert. Eine "Win-win"-Situation!
Dr. Jochen Felsenheimer war von Juni 2001 bis September 2008 im Research der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG (UniCredit Group) beschäftigt. Dort leitete er das Credit Strategy & Structured Credit Research-Team und war Stellvertretender Leiter des Global Credit Research-Teams. Er verantwortete alle Publikationen speziell zu den Themen Kreditmarkt, Kreditderivate sowie strukturierte Kredite und ist selbst Autor mehrerer Bücher und wissenschaftlicher Artikel zu den oben genannten Themenbereichen. Er ist häufig Sprecher auf internationalen Konferenzen und hält Schulungen zum Thema Kreditmarkt und Kreditderivate, u. a. für die Deutsche Bundesbank und für die BaFin. Er hat seine Promotion an der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU München eingereicht zu dem Thema "Die Einführung einer flexiblen Transaktionssteuer zur Verhinderung von Finanzkrisen".