Das deutsche Wachstum wird nach der jüngsten Einschätzung von Ökonomen dieses Jahr geringer ausfallen als gedacht, weil die internationalen Krisen und eine schwache Entwicklung in anderen Staaten die Dynamik bremsen. Eine länger anhaltende Rezession droht nach den jüngsten Prognosen aber nicht.
Die Volkswirte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) sehen die deutsche Wirtschaft ausdrücklich "weiterhin auf einem soliden Fundament". Allerdings senkten sie ihre Prognose für die Entwicklung der Wirtschaftsleistung deutlich. Die Hamburger Ökonomen erwarten nun eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes um 1,6 Prozent in diesem Jahr und um 2,0 Prozent im kommenden. Sie hatten im Juni unter dem Eindruck des starken ersten Quartals noch mit einem Wachstum von 2,2 Prozent in diesem und rund 2,5 Prozent im nächsten Jahr gerechnet.
"Aufgrund der erhöhten Unsicherheit angesichts der internationalen politischen Konflikte und der schleppenden Erholung im Euroraum weiteten die Unternehmen ihre Investitionen zuletzt nicht so stark aus", begründete das HWWI die Eintrübung. "Für die zweite Jahreshälfte ist zwar weiter mit Wachstum zu rechnen, allerdings wird sich die Wachstumsdynamik abschwächen", erklärte HWWI-Konjunkturexpertin Anja Rossen. Sie verwies auf die schlechtere Stimmung in der Wirtschaft und fehlende außenwirtschaftliche Impulse.
Die Wirtschaftsstimmung hat sich jüngst deutlich eingetrübt. So brach der ZEW-Index der Konjunkturerwartungen im August überraschend stark ein, und der ifo-Index sank bereits das vierte Mal in Folge.
Doch die Grundtendenz der deutschen Wirtschaft ist weiter aufwärts gerichtet, betonen die Wirtschaftsforscher. "Wichtigste Wachstumsstütze blieb weiterhin der private Konsum", erklärte das HWWI. "Dies lag nicht zuletzt an der robusten Lage auf dem Arbeitsmarkt." Die Ökonomen rechnen für dieses Jahr mit einer Steigerung der privaten Konsumausgaben um 1,1 Prozent und für nächstes Jahr um 1,5 Prozent. Vergangenes Jahr war der private Konsum um 0,8 Prozent gewachsen. Die insgesamt steigenden Reallöhne werden den privaten Konsum nach ihrer Erwartung stützen.
Die Investitionen dürften zudem einen Beitrag zum Wachstum leisten, weil auch im nächsten Jahr die Finanzierungsbedingungen günstig blieben und die Unternehmen einen Nachholbedarf hätten. Das HWWI rechnet mit einer Zunahme der Anlageinvestitionen um 4,0 Prozent in diesem und 4,6 Prozent im kommenden Jahr. "Insgesamt wird die inländische Nachfrage auch im Prognosezeitraum die wichtigste Wachstumsstütze bleiben", resümierte das HWWI. Die Inlandsnachfrage soll nach der Prognose 2014 um 1,6 Prozent und 2015 um 2,2 Prozent steigen.
Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt setzt sich vor diesem Hintergrund nach der Erwartung der Ökonomen fort. Die Zahl der Erwerbstätigen werde auch 2014 deutlich zunehmen und die der Arbeitslosen auf 2,86 Millionen in diesem und 2,83 Millionen im nächsten Jahr sinken. Die Arbeitslosenquote wird nach der Prognose des HWWI im Durchschnitt dieses Jahr bei 6,3 Prozent und nächstes Jahr bei 6,2 Prozent liegen nach 6,6 Prozent im vergangenen Jahr.
Mit der Prognose werden Befürchtungen weiter zerstreut, Deutschland könnte seiner Funktion als europäische Wachstumslokomotive nicht mehr gerecht werden und möglicherweise in die Rezession abrutschen. Sie waren aufgekommen, nachdem das Statistische Bundesamt Mitte August einen Rückgang des deutschen BIP im zweiten Quartal um 0,2 Prozent vermeldet hatte. "Die deutsche Wirtschaft verliert an Schwung", hatten die Statistiker konstatiert. Volkswirte hatten jedoch den Wachstumskurs bereits lediglich als unterbrochen bezeichnet.
Erst am Donnerstag fielen dann jüngste Konjunkturdaten für die deutsche Wirtschaft überraschend positiv aus. Die deutsche Industrie verbuchte im Juli trotz aller politischen Krisen einen überraschend kräftigen Auftragsschub. Nach den Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums kletterte der Auftragseingang preis-, kalender- und saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 4,6 Prozent. Dies war der größte Zuwachs seit über einem Jahr. Volkswirte warnten aber vor zu viel Euphorie und betonten, die jüngste Schwächephase sei noch nicht überwunden.
Auch die Hamburger Ökonomen benannten weitere Risiken und betonten, ihre Vorhersage erfolge unter der Annahme, dass die Situation in der Ukraine und im Nahen Osten nicht eskaliere und ein Abrutschen der Eurozone in die Deflation von der Europäischen Zentralbank (EZB) verhindert werden könne. "Eine mögliche Eskalation der geopolitischen Situation bleibt neben den Risiken eines Rückfalls Italiens und anderer Länder der Eurozone in die Rezession weiterhin das größte Risiko für diese Prognose", warnte das HWWI. "Beide Risiken können die konjunkturelle Stimmung in den nächsten Monaten weiter eintrüben."