In diesem Jahrhundert wurden noch nie so wenige Totalverluste von Schiffen verzeichnet wie in 2018. Wie aus der Safety And Shipping Review 2019 der Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS) hervorgeht, ist die Zahl dieser Schäden im Jahresvergleich um 50 Prozent gesunken – und um 55 Prozent gegenüber dem Zehnjahresdurchschnitt. Die jährlich veröffentlichte Studie analysiert die gemeldeten Verluste von Schiffen über 100 Bruttoregistertonnen.
Im Jahr 2018 kam es auf den Weltmeeren zu 46 Totalverlusten von Schiffen dieser Größe, während in den vorangegangenen zwölf Monaten noch 98 Fälle zu beklagen waren. Zu diesem Rückgang beigetragen haben insbesondere deutlich niedrigere Verluste im globalen Unfall-Hotspot Südostasien sowie eine Halbierung der durch Unwetter hervorgerufenen Verluste (auf 10). Dies war begünstigt durch eine ruhigere Hurrikan- und Taifun-Saison.
Maschinenschäden als häufigste Schadenursache
Trotz des Rückganges an Totalverlusten ist die Gesamtzahl der gemeldeten Schäden – 2018 waren es 2.698 Vorfälle – im Vorjahresvergleich mit weniger als einem Prozentpunkt nur unwesentlich zurückgegangen. Maschinenschäden – wie jüngst beim Kreuzfahrtschiff MSC Opera in Venedig – sind dabei die häufigste Schadenursache; sie sind für mehr als ein Drittel der insgesamt über 26.000 Vorfälle des letzten Jahrzehnts verantwortlich und traten mehr als doppelt so häufig auf wie Schiffskollisionen.
Außerdem gehören Maschinenschäden zu den teuersten Vorfällen und haben den Schiffsversicherern innerhalb von fünf Jahren Kosten in Höhe von über 900 Mio. Euro beschert (Analyse von 230.961 Versicherungsfällen der Schifffahrtsbranche, die zwischen Juli 2013 und Juli 2018 aufgetreten sind und von der AGCS und anderen Versicherern bearbeitet wurden.
"Dass wir insgesamt eine beispiellos niedrige Zahl von Schiffsverlusten zu verzeichnen hatten, ist zum einen Zufall, zum anderen zeigt es eine größere Verlässlichkeit der langfristigen Sicherheitsverbesserungen in der internationalen Schifffahrt", so Volker Dierks, Head of Marine in Zentral- und Osteuropa bei AGCS.
"Auch Verbesserungen im Schiffsdesign, technische Vorkehrungen, strengere Vorschriften und robustere Systeme für das Sicherheitsmanagement an Bord haben dazu beigetragen, dass sich Pannen und Unfälle nicht zu großen Verlusten ausgewachsen haben. Herausforderungen ergeben sich allerdings aus dem ausgebliebenen Rückgang der Gesamtzahl der Schäden in der Schifffahrtsbranche, der gestiegenen Gefährdung der Schiffssicherheit durch politische Risiken, der Einhaltung von Emissionsvorgaben für 2020 und der steigenden Zahl von Bränden an Bord."
Besonders risikoreiche Regionen
Die meisten Verluste treten nach wie vor in den Gewässern Südchinas, Indochinas, Indonesiens und der Philippinen auf. 2018 wurde jeder vierte Totalverlust aus dieser Weltregion gemeldet. Unter den besonders gefährlichen Regionen an zweiter und dritter Stelle stehen die östliche Mittelmeer- und Schwarzmeerregion (6) sowie die Gewässer der Britischen Inseln (4). Zwar gibt es Anzeichen für Verbesserungen, Asien wird aufgrund seiner regen Handelsschifffahrt, dem hohen Verkehrsaufkommen auf seinen Routen und den älteren Flotten aber weiter ein Hotspot für Versicherungsschäden im Schifffahrtssektor bleiben.
Brände verursachen große Schäden
Auch Brände an Bord verursachen nach wie vor große Schäden und nehmen weiter zu (174 gegenüber 164 in 2017). Dieser Trend hat sich im laufenden Jahr fortgesetzt: Erst vor kurzem kam es zu Feuern auf Containerschiffen und drei größeren Bränden auf Autotransportern. Vermutlich geht eine Reihe von Bränden auf hoher See auf falsch deklarierte Ladung und unter anderem auf inkorrekt verpackte und etikettierte gefährliche Güter zurück. Zudem kann effektive Brandbekämpfung auf hoher See oftmals nur mithilfe umfassender Unterstützung von außen erfolgen. Bis diese eintrifft, kann am Schiff hoher Sachschaden entstehen. Gleichzeitig erinnerten Anfang des Jahres Hunderte bei einem großen Frachter über Bord gegangene Container daran, dass beschädigte Güter der häufigste Schadensauslöser der Versicherungsbranche in der Schifffahrt sind und in den letzten fünf Jahren für jeden fünften Schaden verantwortlich waren.
Herausforderungen durch Emissionsvorschriften
Ab Januar 2020 gelten neue Obergrenzen für den Ausstoß von Schwefeldioxid. Die Regelungen dürften weitreichende Konsequenzen für Kostenstruktur, Compliance und Crews haben. Die Betreiber großer Häfen in aller Welt erwägen sogar, sogenannte "Sniffer Drones" also "fliegende Spürhunde" einzusetzen, um Umweltsünder ausfindig zu machen. Reeder, die aus Kostengründen keine schwefelarmen Kraftstoffe verwenden, haben mit empfindlichen Strafen zu rechnen. "Es ist wichtig, dass die Schifffahrt ihren Teil zur Erhaltung der Umwelt beiträgt. Doch zur Umsetzung bleibt nur noch wenig Zeit, während es gleichzeitig nach wie vor an internationalen Standards fehlt. Zudem sind die Bedenken hinsichtlich Verfügbarkeit und Kompatibilität von schwefelarmen Kraftstoffen noch nicht ausgeräumt", erläutert Justus Heinrich, der bei AGCS Zentral- und Osteuropa für die Schiffsversicherung verantwortlich ist. "Die Versicherer befürchten, dass durch die Einführung der neuen Kraftstoffe möglicherweise die Zahl der Versicherungsfälle aufgrund von Maschinenschäden ansteigt, wenn der Wechsel nicht gut organisiert wird. Außerdem besteht die Gefahr, dass es im Schiffsverkehr zu Störungen und Verzögerungen kommt, wenn in den Häfen kein vorschriftenkonformer Kraftstoff zur Verfügung steht."
Veränderte Sicherheitslage mit neuen Herausforderungen
Risiken gehen auch von einer veränderten Sicherheitslage aus: Territorialstreitigkeiten, Cyber-Angriffe, Sanktionen, Piraterie und auch Sabotage entwickeln sich zur wachsenden Bedrohung für die Seefahrt, den Handel und die Lieferketten. Der jüngste Angriff auf einen Öltanker im Nahen Osten hat dies deutlich gezeigt. Auch die steigende Zahl von Migranten auf hoher See und von blinden Passagieren auf Handelsschiffen hat schwerwiegende Konsequenzen für Schiffseigentümer. Verzögerungen, Umwege und Besatzungen unter erhöhtem Druck sind die Folgen. 2018 wurden zudem über 200 Fälle von Piraterie registriert; hier sind die Gewässer Nigerias derzeit am gefährlichsten.
Die Analyse zeigt weitere Risiken für die Schifffahrt auf:
- Größere Gefahren bei größeren Schiffen: Die Containertransportkapazität hat sich innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt, so dass zukünftig das Worst-Case-Szenario eines Totalverlusts einen Schaden von mehr als 3,5 Mrd. Euro verursachen kann.
- Zuviel Vertrauen in Technologie: In der Schifffahrt haben sich Sicherheitstechnologien positiv auf die Sicherheit und das Schadenaufkommen ausgewirkt. Dennoch kommt es durch Leichtsinnigkeit weiterhin zu Unfällen – bis hin zu Totalverlusten -, etwa wenn sich Besatzungsmitglieder im falschen Moment mit ihren Handys beschäftigen.
- Autonome Schifffahrt: Die Entwicklung schreitet voran; doch wenn es nicht gelingt, die eigentliche Ursache von Vorfällen und Totalverlusten zu bekämpfen, kann auch Technologie kein Patentrezept bieten.
- Gefährliche Überfahrt: Besonders unfallträchtig war im letzten Jahr der Transfer zwischen den Inseln Griechenlands – hier waren drei Fähren in insgesamt acht Vorfälle verwickelt.