Nicht nur geografisch und politisch ist viel Bewegung auf der globalen Risikolandkarte. Auch die technologische Entwicklung etwa im Bereich der Digitalisierung stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Nicht nur in der Beschaffung und der Fertigung. Auch in der Finanzierung und im Risikomanagement. Wie lassen sich Erfolge erzielen im rasanten digitalen Zeitalter, in dem immer mehr Systeme immer mehr Informationen in Echtzeit ausspucken? In einer Gegenwart, in der sich auch Falschinformationen und Banalitäten rasend schnell viral verbreiten? In einer Zukunft, in der es noch schwerer fallen dürfte, relevante und darüber hinaus verlässliche Informationen zu identifizieren und zu verarbeiten? So viel ist klar: Der Fortschritt bietet vielfältige Chancen, erhöht aber auch die Komplexität der Risiken.
Wie lassen sich Geschäftsbeziehungen dennoch nachhaltig entwickeln? Wie bewegen sich Banken, Kreditversicherer, Risikomanager im permanenten Wandel? Antworten auf diese Fragen mit ihren vielfältigen Aspekten und möglichen Folgen für die deutsche Wirtschaft diskutierte der Kongress Länderrisiken 2019 der globalen Kreditversicherers Coface mit rund 400 Teilnehmern am 9. Mai 2019 in der Opel Arena in Mainz.
Ein globaler Blick auf die Länderrisiken
Coface-Economistin Christiane von Berg gab beim Kongress Länderrisiken einen Überblick über die Einschätzung von Coface zu aktuellen weltwirtschaftlichen Entwicklungen und über die Länder-bewertungen des internationalen Kreditversicherers.
Im Vergleich zum Jahresbeginn hat Coface diverse Abwärtsrevisionen in einzelnen Schwellenländern, zum Beispiel Brasilien und Russland, vorgenommen. "Es zeigt sich aber vor allem auch ein verändertes Konjunkturbild in der EU", sagte Christiane von Berg. "Hier hat nicht nur Deutschland zu kämpfen, auch Frankreich und UK haben konjunkturelle Probleme." Beide Länder habe Coface allerdings frühzeitig pessimistisch eingeschätzt, weshalb es hier keiner Korrektur in der Länderbewertung bedurfte.
Ein Grund für die schwächere Konjunktureinschätzung im Euroraum ist die Schwäche der Industrieproduktion. "Wir haben eine der längsten Wachstumsperioden hinter uns und jetzt eben diese Abwärtsbewegung", erklärte die Volkswirtin. Die Frage sei, ob es zu einer handfesten Rezession, wie 2009/2010 mit der Finanzmarktkrise oder 2012 bis 2014 mit der europäischen Staatsschuldenkrise, komme oder es eher "einen kleinen Dip runter" gehe, wie 2003. "Die Antwort aus Deutschland ist: Wir sind zweigeteilt, nicht als Land, sondern als Wirtschaft. Dies erkennt man an den Stimmungsindikatoren PMI für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor." Die beiden Sektoren bewegten sich erkennbar auseinander, das Verarbeitende Gewerbe in den ersten drei Monaten nach unten, der Dienstleistungssektor nach oben. Können sich beide Wirtschaftssektoren gegenseitig ausgleichen? Diese Frage beantwortet der neue Coface-Konjunkturfrühindikator mit "ja, so gerade."
Christiane von Berg, Regional Economist bei Coface für Nordeuropa, skizzierte aktuelle Konjunktur- und Länderrisiken
Konjunkturfrühindikator von Coface
Der Indikator, erklärte Christiane von Berg, prognostiziert die wirtschaftliche Entwicklung für das aktuelle Quartal und das jeweils folgende Quartal. "Die Prognosekraft des Indikators ist hoch", sagte die Economistin. Dies zeige der Verlauf der letzten zehn Jahre. In dem Prognosemodell verarbeitet Coface Daten aus Unternehmensumfragen, vom statistischen Bundesamt für die Industrie, den Außenhandel, Arbeitsmarktdaten, Preisdaten, auch Daten vom staatlichen Konsum. "Für die größtmögliche Aktualität werden natürlich auch Finanzmarktdaten mit verwendet. Das i-Tüpfelchen bilden aber unsere hauseigenen Prognosen zur Insolvenz, die wir aktuell immer mit unseren eigenen Daten abgleichen können."
Bei den Insolvenzen müsse man leider erkennen, dass die guten Zeiten vorbei sind. "Auch wenn wir keine Rezession prognostizieren, wird das Umfeld für Unternehmen deutlich anspruchsvoller", warnt Christiane von Berg. "Wir waren in den letzten acht Jahren immer sinkende Insolvenzzahlen gewöhnt. Für einige Unternehmen wird es 2019 dahingehend ein negatives Erwachen geben." Deutschland liegt mit plus 2 Prozent in dieser Prognose noch leicht unter der Prognose für den Euro-Raum. Insgesamt zeigen sich die Länder Nordeuropas noch recht stabil. Wenig verwunderlich ist die Situation von Großbritannien mit mehr Insolvenzen aufgrund politischer Unsicherheit. Ähnlich ergeht es Italien, wo das Wachstum ebenfalls mehr oder weniger zum Erliegen gekommen ist und sich die Regierungskoalition intern bekämpft.
Den Blick auf die politischen Risiken und ihr möglichen Folgen für die Wirtschaft lenkte Christiane von Berg mit einigen Fragen. Gibt es einen globalen Nachfragerückgang, wenn China nicht mehr mitspielen will? Die Handelspolitik der USA: Wer steht noch auf Trumps Dealliste? Brexit: Kommt er? Und wenn ja, wann? Und wenn ja, wie? Macht Italien mit schwachem Wachstum "auf Pump" weiter? Was ist, wenn das Volk, wie in Frankreich, Reformen nicht will? Schwellenländer: Aus den Nachrichten - aus dem Sinn?
Wirtschaft "gefühlt" schlechter als real
Dass Wirtschaft nicht nur auf Fakten beruht, sondern vielmehr auch Stimmungen mitspielen, verdeutlichte die Coface-Economistin mit einer Frage zur "gefühlten Wirtschaft": An welcher Stelle sehen Sie Deutschland im Ranking der größten Volkswirtschaften weltweit? Mit dem Mehrheitsergebnis aus dem Saal (20 Prozent) für Platz 5 lagen die Kongressbesucher sehr gut. Tatsächlich ist es Platz 4. Eine Straßenumfrage in Europa hatte in Deutschland Platz 9 ergeben. Da liegt indes Italien, wobei sich die Italiener selbst auf Platz 69 einordneten. Diese Position ist allerdings an den Oman vergeben. Ganz pessimistisch sind die Spanier drauf. Gefühlt sind sie auf Platz 80, der Position vom Libanon. Tatsächlich sind sie auf Platz 14.
Gefühlt läuft es wirtschaftlich also deutlich schlechter als in der Realität. So zeigten die Zahlen, dass sich die Länder Europas gerade deutlich stärker aufeinander zubewegten als in den letzten Jahren, speziell im Euro-Raum. "BIP und Inflation haben sich stark angeglichen", stellte Christiane von Berg fest. "Auch in der Leistungsbilanz, vor allem mit Blick auf den Handel, haben viele Länder des Mittelmeerraums oder aus Zentraleuropa stark aufgeholt, so dass auch auf der Handelsseite sich die Länder mehr aneinander angeglichen haben. Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen den Ländern also gar nicht so groß und insgesamt geht es den meisten Ländern wirtschaftlich gut." Dennoch zeigten die Wahlumfragen, dass im neuen EU-Parlament der Bereich der Europaskeptiker deutlich zunimmt. Sie könnten demnach über 30 Prozent der Stimmen bekommen.