Die internationale Finanzmarktkrise beherrscht unser tägliches Leben. Ihr volkswirtschaftliches Drohpotenzial wird durch ein mediales Feuerwerk inszeniert – dabei darf Deutschland in Relation zu exponierteren Staaten immer noch als ein Hort der Stabilität bezeichnet werden. Nackte Fakten bewirken durch die Wucht ihrer Dimensionen beunruhigende Vorstellungen. Der Internationale Währungsfonds hat seine Verlusterwartung für die internationalen Märkte auf mittlerweile 1,4 Billionen US-Dollar (eine Ziffer mit unvorstellbaren 12 Nullen) revidiert, staatliche und privatwirtschaftliche Hilfsmaßnahmen beziffern sich grundsätzlich nur noch in Milliardenhöhe, die Konsequenzen für Industrie (Verringerung der Autoproduktion bei Opel und BMW) und Handel sind noch gar nicht absehbar. Wechselseitige Absicherungsinstrumente (sog. Credit Default Swaps) wabern mit einem Wert von 58 Billionen US-Dollar durch die weltweiten Bilanzen und drohen aufgrund ihrer steigenden Ausfallraten zu einem Pulverfass zu werden. Mit der Kreditverknappung der Märkte (der Interbankenmarkt ist de facto zum Erliegen gekommen) beginnt eine gefährliche Abwärtsspirale, indem fehlende Finanzierungsmöglichkeiten folgerichtig Investitionsvorhaben verhindern, Wirtschaftswachstum unterbleibt und unternehmerisches Überleben wieder an eine Kostenreduktion (wobei der Fokus zumeist auf Personalkosten liegt) gekoppelt wird. Sicherheitsgarantien der Bundesregierung sollen verloren gegangenes Vertrauen reaktivieren – dabei hätte der Finanzmarkt in Deutschland schon per se ein umfassendes Sicherheitsnetz vorgehalten.
Dieses Schreckensszenario steht in enger Kausalität zu einer täglich beobachtbaren Eigenart: der menschlichen Gier. Auf der Suche nach immer höheren Renditen (sog. search for yield) ersetzte Maßlosigkeit die einstmals anerkannten Werte Sicherheit und Nachhaltigkeit. Dabei hätte die Beachtung einfacher Volksweisheiten vor dieser Entwicklung bewahren können. Im wahrsten Sinne der Worte wären diese umgangssprachlichen Weisheiten Gradmesser für verantwortliches Handeln gewesen:
1. "Vergangenheit vergoldet" - Probleme der Vergangenheit werden gering geschätzt!
Offensichtlich war die Kapitalmarktdepression zu Beginn des Jahrhunderts bereits wieder in Vergessenheit geraten. Die weltweiten Schwierigkeiten der Kapitalmärkte in den Jahren 2001 und 2002 wurden singulär mit dem furchtbaren Anschlag auf das World Trade Center verbunden. Weder die Überhitzung der Technologieblase noch die ungerechtfertigten Überzeichnungen der Unternehmenswerte wurden als Wegbereiter der noch wenige Jahre zuvor stattgefundenen Baisse angesehen – die Kausalität wurde an einem einzigen, hoffentlich nie mehr stattfindenden, Ereignis festgemacht.
2. "Schuster, bleib bei deinen Leisten" - man sollte nur Produkte kaufen, die man kennt!
Wenn selbst Bankmanager die strukturierten Produkte des Kapitalmarktes nicht mehr verstehen, kann deren Eigendynamik nicht mehr kontrolliert werden. Somit haben sich die verbrieften Konstruktionen analog zu einem Zauberlehrling einer weiteren Kontrolle entzogen, wobei kein Marktteilnehmer sich seine eigene Unwissendheit eingestehen wollte. In der Gier nach immer neuen Renditechancen wurde die Gefahr der parallel aufgebauten Risikoposition vernachlässigt, ja beinahe verlacht. Es gehörte zum guten Ton, in strukturieren Produkten investiert zu sein. Somit gilt dieser Vorwurf, Finanzmarktprodukte trotz fehlenden Wissens vertrauensvoll erworben zu haben, auch für private Kapitalanleger. In welchem Ausmaß haben private Haushalte Zertifikate erworben, deren Inhalt und versteckten Risiken ihnen nicht im Geringsten bewusst waren – es war einfach chic, in diese Produkte zu investieren.
3. "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer" - ein einmaliger Gewinn setzt sich nicht automatisch in der Zukunft fort!
Die Kapitalmärkte haben in den Jahren 2006 und 2007 einen wahren Aufschwung erlebt. Erzielte Renditen und Gewinne dankbar zu realisieren reichte aber den meisten Anlegern nicht aus. In der Erwartung eines sich permanent steigernden Kapitalmarktaufschwungs wurde die Gier nach immer neuen Kapitalmarkterfolgen größer. Anerkannte Auguren erwarteten in ihren Prognosen für 2008 den Deutschen Aktienindex DAX bei 8.000 Punkten – mittlerweile ist er unter 5.000 Punkte gefallen. Anleger hätten dankbar sein sollen für erreichte Erfolge ohne gleich wieder nach den nächsten Gewinnmöglichkeiten zu schielen. In der Psychologie spricht man vom Referenzpunktkonzept – ein Entscheider wählt sein Verhalten immer nach einem aktuellen Referenzpunkt aus. Mit steigenden Erfolgen am Kapitalmarkt stieg der Referenzpunkt der Renditeerwartung stetig an – und provozierte somit eine Risiko ausblendende Gier.
4. "Es ist nicht alles Gold, was glänzt" – der Glanz der Kapitalanlagerendite sollte das immanente Risiko nicht überstrahlen!
Die alleinige Fokussierung auf die Kapitalanlagerendite bei gleichzeitiger Ausblendung des hiermit verbundenen Risikos führte zu einer künstlichen Risikoverschiebung des Kapitalmarktes. Einseitig geführte Beratungsgespräche wählten die erwartete Verzinsung als Schlüsselreiz für die Kapitalanlageentscheidung. Mit Anlagen in weitgehend sichere, jedoch mit vier Prozent gering verzinste Bundesanleihen, setzte man sich dem Spott seiner Freunde und Verwandten aus. Abstruse, zweistellige Renditeerwartungen zeichneten ein Schlaraffenland der Kapitalanleger – aus dem wir aber nun durch die "Rückkehr des Risikos" hinaus geworfen wurden.
5. "Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben" – beruhigende Worte zur Finanzmarktkrise könnten verfrüht sein!
Angesichts der weiterhin bestehenden Intransparenzen der Kapitalmarktteilnehmer (Banken, Versicherungen, etc.) kann beileibe noch keine Entwarnung für die weitere Entwicklung gegeben werden. Überraschungen können dabei auch von deutschen Finanzinstituten ausgehen – mit der Entwicklung der Hypo Real Estate hätte nach dem Debakel der IKB und der Sachsen-LB keiner mehr gerechnet. Dennoch darf man dem deutschen Markt eine gewisse – beruhigende – Sonderstellung attestieren. Via Einlagensicherungsfonds bestehen für Privatanleger Garantien, Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken sichern die kompletten Einlagen in ihre Institute zu, aufgrund der Anlageverordnung halten Versicherungsunternehmen ein überschaubares Risiko in ihrer Kapitalanlage und schlussendlich steht die Bundesregierung mit einer juristisch zwar nicht einklagbaren, dennoch Vertrauen erweckenden Sicherheitserklärung ein. Gemessen an der Ausfallwahrscheinlichkeit von Staatsanleihen weist Deutschland, mit Ausnahme von Norwegen, immer noch die beste Bonität aller Industrienationen auf. Dieses Standing am internationalen Kapitalmarkt sollte das ungebrochene Vertrauen in die Stabilität des Finanzplatzes Deutschland unterstützen.
Kommentare zu diesem Beitrag
Rückblickend haben sich gerade die großen WP-Gesellschaften nicht gerade mit Rum bekleckert wenn es um die frühzeitige Erkennung bestandsgefährdender Risiken oder gar die Aufdeckung von Fehlentwicklungen im Unternehmen ging. Die Qualität der Prüfungen hat sich über Jahre hinweg regelmäßig wiederkehrend als fragwürdig herausgestellt, u.a. weil auch den Prüfern selbst eine gewisse Gier nicht in Abrede gestellt werden kann.
Die öffentlich-rechtlichen Prüfer müssen sich jedoch ebenfalls Versäumnisse anlasten lassen. Von der fachlichen Qualifizierung der Aufsichtsräte ist hier ganz zu schweigen. Da wäre die etwas provokante Frage zu stellen, ob nicht der volkswirtschaftliche Schaden geringer wäre wenn man Aufsichtsräte weiterhin großzügig vergütet, sonst aber gänzlich vom Unternehmensgeschehen fernhält und stattdessen sachkundige Dritte für die Kontrolle einschaltet. Ein auf Unternehmenskosten in die Karibik entsendeter und von aller Sachkunde befreiter Aufsichtsrat könnte per Saldo wirtschaftlich vorteilhafter sein für ein Unternehmen, allerdings nur in Kombination mit einigen in seiner Vertretung vor Ort agierenden und sachverständigen Kontrolleuren... Dann hätte man tatsächlich zwei Ziele erreicht: Geschenke verteilen (wie bisher) und Kontrolle gemäß dem Prinzip der Funktionstrennung (bisher gewünscht, aber nicht erreicht).