In Sachen Coronavirus brach am vergangenen Montag eine entscheidende Woche an. Einerseits warf das Ende der wegen der Epidemie verlängerten freien Tage zum chinesischen Neujahrsfest die Frage auf, ob insbesondere in der Industrie die Arbeit wiederaufgenommen würde. Andererseits konnte nach zwei Wochen, also der vermuteten Inkubationszeit des Virus, die Wirksamkeit der Sicherheitsmaßnahmen geprüft werden.
Durchwachsene Bilanz: In den ersten Tagen der vergangenen Woche verlangsamte sich der Anstieg der neuen Infektionsfälle. Damit scheint sich die Zweckmäßigkeit der in China und weltweit getroffenen Kontrollmaßnahmen zu bestätigen. Die Wirtschaft lief zwar wieder an, doch nur sehr schleppend. Davon zeugt nicht zuletzt das geringe Verkehrsaufkommen in den chinesischen Großstädten. Zwar wird durch die massive Nutzung von Telearbeit insbesondere im Dienstleistungsbereich eine deutlichere Erholung ermöglicht, jedoch muss sich der Industriesektor noch gedulden. Foxconn, einer der wichtigsten Zulieferer von Apple, rechnet bis Ende des Monats mit einer Auslastung seiner Kapazitäten von bestenfalls 50 Prozent und 80 Prozent im März.
Trotz dieser spürbaren Dämpfer reichte das Ausbleiben einer echten negativen Überraschung für eine deutliche Erholung an den Märkten für Risikoanlagen. Die Kursgewinne sind angesichts der großen Unsicherheit jedoch Ausdruck einer gewissen Selbstgefälligkeit. Zum einen ist da die Unsicherheit im Hinblick auf das Virus selbst. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zeigte sich über die Verbreitung des Virus außerhalb Chinas besorgt und fürchtet, dass "nur die Spitze des Eisberges" zu sehen ist. Zum anderen könnte die Inkubationszeit gemäß einer von chinesischen Staatsmedien zitierten Studie 24 Tage betragen (statt der bisher geschätzten 14 Tage). Vor allem aber ließ die Anwendung einer neuen Testmethode in der Provinz Hubei am Donnerstag die Anzahl der neuen Infektionsfälle um 15.000 in die Höhe schnellen. Dies nährt die Zweifel an den von den chinesischen Behörden seit Beginn der Epidemie veröffentlichten Zahlen, die im Verdacht stehen, zu niedrig angesetzt worden zu sein.
Vortasten der Politik: Während die lokalen Behörden von Peking an den Pranger gestellt und zwei Vertraute von Xi Jinping in Schlüsselpositionen berufen wurden (an die Spitze der Provinz Hubei und in die Parteiführung in der Stadt Wuhan), beklagen die USA über Larry Kudlow, den Wirtschaftsberater des Weißen Hauses, die "mangelnde Transparenz Chinas". Es kamen sogar Zweifel an der Objektivität der WHO in der Frühphase der Epidemie auf, denn China ist weltweit zweitgrößter Beitragszahler der Institution.
Wirtschaftliche Unsicherheit: Diese Entwicklungen scheinen zwar allseits bekannt, beherrschen jedoch trotz allem den Blick auf die Berichtssaison der Unternehmen. Eine systematische Befragung zum Coronavirus ergab, dass die meisten Unternehmen gewisse Auswirkungen auf ihre Ergebnisse 2020 erwarten, auch wenn sie diese nicht konkret beziffern können. Entsprechend scheinen die soliden Ergebnisse des letzten Quartals 2019 bereits einer fernen Vergangenheit anzugehören, und auch die Ausblicke für 2020 sowie die Ergebnisprognosen wirken wenig stichhaltig und sogar überholt.
Angesichts all dieser Zweifel zeichnet sich ein Umfeld ab, in dem der einfache Schwarze Schwan namens Coronavirus sich als Seeungeheuer entpuppen könnte, das bei der Veröffentlichung von gesamtwirtschaftlichen und Unternehmensdaten immer wieder auftauchen und die Volatilität befeuern wird. Doch dies bringt die Märkte, die nach wie vor davon ausgehen, dass die Zentralbanken jede Schwäche ausbügeln werden, offenbar nicht aus der Ruhe.
Autor:
Olivier de Berranger, Chief Investment Officer, LFDE - La Financière de l‘Échiquier