Im Alten Testament (2. Buch Mose) wird von den zehn biblischen Plagen berichtet, die Ägypten im 13. Jahrhundert vor Christus Geburt heimsuchten. Verwüstungen durch Naturkatastrophen, Seuchen, der Tod aller Erstgeborenen an Mensch und Vieh – eine Welle von Katastrophen überrollte das pharaonische Ägypten innerhalb kurzer Zeit. Darauf waren die Ägypter nicht vorbereitet. Tod und Verderben kamen über das Land, erschütternden das Pharaonenreich. Wahrheit oder Fiktion? Über die zehn Plagen streiten seit jeher Gelehrte, Wissenschaftler und Theologen. Und doch können wir vieles auf heute übertragen. Wir identifizieren Parallelen in den Gefahren und Katastrophen der frühchristlichen Zeit zu denen unserer Epoche.
Wenn Ökosysteme kippen
"Die Fische im Nil starben und der Nil stank, sodass die Ägypter kein Nilwasser mehr trinken konnten." Was das 2. Buch Mose beschreibt, hat tiefere Gründe. Der Nil als Hauptwasserader der Ägypter wurde in den Jahrtausenden immer wieder von Dürren und Hochwasser aus dem ökologischen Gleichgewicht gebracht. Hinzu kamen Vergiftungen des Nilwassers und damit einhergehende Fischsterben. Im Grunde Phänomene, die auch in heutiger Zeit immer wieder vorkommen. Die Wassermassen bei Starkregen können durch Begradigung vieler Flussbette nicht mehr abfließen und es entstehen massive Hochwasserschäden. Kritiker sehen neben verstärkten Überschwemmungsgefahren, wie beispielsweise die häufig auftretenden Elbe-Hochwasser samt Folgeschäden es für die betroffenen Gebiete zeigen, auch einen zu starken Eingriff in die Ökosysteme. Eben erst ist das Mammutprojekt des "Canal de Nicaragua" (Nicaragua-Kanal) gestartet, bei dem mit chinesischer Unterstützung ein riesiger Kanal zwischen Atlantik und Pazifik gebaut wird. Umweltschützer warnen schon jetzt vor ökologischen Schäden. Die nächsten Projekte und negativen Folgen für Umwelt und Mensch dürften nicht lange auf sich warten lassen.
(Rück-)Versicherer, Unternehmen und private Haushalte müssen für solche Schäden immer höhere Rückstellungen bilden. Beispielsweise türmten sich die volkswirtschaftlichen Folgekosten durch die Flut von 2013 in Deutschland auf über 12 Milliarden Euro. Weitere drei Milliarden Euro an Kosten entstehen für die Versicherungswirtschaft, Infrastrukturschäden aufgrund zerstörter Straßen oder Schienen noch nicht mit eingerechnet.
Hinzu kommen Industrieabwässer, die ungereinigt in Flüsse und damit in die Meere gelangen. In Deutschland vollzog sich bei den Verantwortlichen in der Wirtschaft in vielen Fällen ein Wandel für mehr ökologisches Bewusstsein im Umgang mit Abwässern. Gepaart mit schärferen Gesetzen und staatlich geförderten Naturschutzmaßnahmen zeigen sich erste Erfolge im Kampf für saubere Flüsse. Im Gegenteil dazu begehen viele aufstrebende Produktionsländer die gleichen Fehler und verschmutzen ihre Flüsse bis zum toxischen Gau. Hinzu kommen Verunreinigungen mit Plastik. Tüten, Kanister und PET-Flaschen machen einer Studie des United Nations Environmental Programme (UNEP) zufolge bis zu 80 Prozent der gesamten Abfälle in den Ozeanen aus. Im Klartext heißt das: In den Meeren schwimmt sechsmal mehr Plastik als Plankton. Die Risiken sind für Mensch und Tier unübersehbar und enden in vielen Fällen mit schweren Krankheiten oder dem Tod.
Wetterextreme nehmen zu
"Und der Herr sprach zu Mose: Streck deine Hand zum Himmel empor! Dann wird Hagel auf ganz Ägypten niedergehen, auf Mensch und Vieh und auf alle Feldpflanzen in Ägypten." Und der Hagel des 2. Buch Mose schlug eine Schneise der Verwüstung durch Ägypten.
Ein Naturereignis, das damals wie heute allgegenwärtig ist und in zerstörerischen "Hagelstürmen" über ganze Landstriche niedergehen kann. Die Risiken können ungeahnte Ausmaße annehmen.
Im Juli 2013 sorgte eine gewaltige Gewitterwelle mit Hagel für enorme Verwüstungen im Südwesten Deutschlands. Rund 2,7 Milliarden Euro kostete nach Aussagen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft der Sommerhagel die deutschen Versicherer. Um diesen Wetterereignissen besser zu begegnen, hat die Versicherungswirtschaft gemeinsam mit Klimaforschern die Unwetterschäden der letzten Jahrzehnte mit unterschiedlichen Klimamodellen verknüpft. Eine der zentralen Erkenntnisse der Studie ist, dass in den kommenden Jahrzehnten mit häufigeren und heftigeren Wetterextremen gerechnet werden muss. Klimaforscher warnen seit langer Zeit vor den Klimaveränderungen und den damit einhergehenden Mega-Gewittern in der Zukunft. Im neuen Report des UN-Klimarats IPCC wird ein "Trend zu stärkeren Gewittern" prognostiziert. Naturkatastrophen stehen beispielsweise beim weltweit führenden Rückversicherer, der Munich Re, ganz oben auf der Agenda und werden dementsprechend in einer Risikolandkarte erfasst und ausgewertet. Hierzu hat die Munich Re ein eigenes System aufgebaut, um komplexe Risikofaktoren transparent darzustellen und mithilfe von Ereignisbäumen beispielweise Verknüpfungen von Ereignissen herzustellen. So kommt der Rückversicherer zu neuen Erkenntnissen, die er für ein vorausschauendes und beschreibbares Risikomanagement einsetzen kann. Im Grunde baut solch ein System Unsicherheiten ab und hilft, zu schlüssigen Entscheidungsgrundlagen zu kommen.
Und was macht die Weltgemeinschaft gegen die zunehmende Umweltverschmutzung und Erderwärmung? Relativ wenig bis nichts. Gerade ging der Klimagipfel in Lima mit einem beschämenden Ergebnis zu Ende. Im Grunde waren sich die Teilnehmer einzig darüber einig, dass sie sich nicht einig sind. Die Chancen eines gemeinsamen und in die Zukunft gerichteten ökologischen Aktionsplans für die Weltgemeinschaft wurde aufs Neue sträflich vernachlässigt und scheiterte an Egoismen und Einzelinteressen von Einzelstaaten und Verbünden.
Pandemien und kein Ende
"Die Hand Jahwes (…) dein Vieh auf dem Feld, die Pferde und Esel, die Kamele und Rinder, die Schafe und Ziegen, überfallen und über sie eine sehr schwere Seuche bringen." Was im 2. Buch Mose als Pest über Ägypten kam und das Land in schwere Nöte brachte, ist in neuem Gewande auch heute möglich. Pandemien haben die Weltbevölkerung immer wieder auf die Probe gestellt – sei es der "Schwarze Tod" im späten Mittelalter (1347 bis 1353) mit geschätzten 25 Millionen Toden oder die Vogelgrippe in unserer Zeit. Pandemien und die Menschheit hängen eng zusammen. Im Grunde sind Pandemien kaum zu verhindern. Gerade in unserer globalen Welt stehen wir vor neuen Risiken, da Virus-Bedrohungen durch die Globalisierung in Windeseile um den Globus getragen werden. Und selbst die besten Sicherheitsvorkehrungen – wie am aktuellen Beispiel des Ebola-Virus – sind vielfach wirkungslos. 7.000 Tode zählt Westafrika aufgrund der aktuellen Ebola-Epidemie. Ganz zu schweigen von der Immunschwächekrankheit AIDS, an der nach Angaben des Jahresberichts des UN-Programms zur AIDS-Bekämpfung (UNAIDS) alleine 2013 rund 1,5 Millionen Menschen starben. Die Zahl ist zwar rückläufig, aber es gibt weltweit immer noch viele Krisenherde mit schlechter medizinischer Versorgung und mangelhafter Prävention. So kommt ein Großteil der HIV-Infizierten (rund 25 Millionen) aus Afrika südlich der Sahara. 70 Prozent aller weltweiten Neuansteckungen 2013 kommen aus dieser Region. Während Menschen sterben, wehrt sich die Pharmaindustrie vor Anstrengungen, auch armen Ländern den Zugang zu wichtigen Medikamenten zu erleichtern. Beispielsweise musste die Anti-Aids-Lobbygruppe Treatment Action Campaign (TAC) in Südafrika erst gegen die südafrikanische Regierung klagen, um den Zugang von Kranken zu Medikamenten gerichtlich zu erstreiten. Der Erfolg: Die Pharmaindustrie musste generische AIDS-Medikamente zu günstigeren Preise zulassen.
Es wird Zeit zum Umdenken. Was der Pharao in der biblischen Geschichte nicht wahrhaben wollte und empfindlich zu spüren bekam, wollen auch viele Politiker und Unternehmensvertreter in unserer heutigen Zeit nicht wahrhaben. Die Risiken für die Welt bestehen. Nicht nur in Form von Naturkatastrophen und Pandemien. Hungersnöte, Gewalt und Kriege zwingen Millionen Menschen zur Flucht. Am Ende geht es auch um Menschenwürde und die forderte Papst Franziskus beispielsweise bei seiner Rede vor dem Europäischen Parlament Ende November in Straßburg. Denn das sich die individualisierten Gesellschaften nicht mehr um die schwächsten Mitglieder kümmerten, sei eine in Europa am meisten verbreitete Krankheit. Oder wie es Albert Schweitzer einst formulierte: "Humanität besteht darin, dass nie ein Mensch einem Zweck geopfert wird." Leider sind wir davon noch weit entfernt. Somit gilt es die Zeichen der Zeit zu erkennen und die Risiken anzugehen, um die Chancen für die Zukunft aller Menschen zu wahren.
Alles hängt miteinander zusammen
Damals wie heute war unsere Erde ein komplexes System mit Abhängigkeiten und Rückkoppelungen. Alles hing irgendwie miteinander zusammen. So wird heute vermutet, dass der Nil seine rote Färbung durch die Vermehrung des einzelligen Plankton-Organismus "Pfiesteria piscicida" erhalten hat. Die Vermehrung führte schließlich zu einem Fischsterben.
In der Konsequenz führte dies zu einer übermäßigen Vermehrung von Fröschen und Kröten (die zweite Plage), da die natürlichen Fressfeinde vom Froschleich eliminiert waren. Auch die vierte Plage (Fliegenplage) kann auf klare Ursachen zurückverfolgt werden. Die überschwemmten Gebiete des Nils lockten Fliegen und andere Insekten zur Eiablage an. Somit begann ein exponentielles Wachstum: Eine weibliche Stubenfliege kann insgesamt rund 500 Eier legen. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die sich dann verpuppen. Nach wenigen Tagen kriechen aus den Puppen die erwachsenen Fliegen, die sich sofort wieder vermehren. Das kritische daran ist vor allem, dass sie Überträger diverser Infektionskrankheiten sind, wie Ruhr, Typhus, Cholera, Salmonellosen, Kinderlähmung, Maul- und Klauenseuche. Und damit sind wir bei Plage Nr. 5 (Viehpest tötet alle Nutztiere).
Und auch heute werden Risiken erst durch das Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren ausgelöst beziehungsweise nachhaltig verstärkt. Risiken sollten daher nicht isoliert analysiert werden. Jede Auswirkung und jeder Risikoeintritt liegt eine vorangegangene Ursache zu Grunde. Diese Ursache ist der Kern, den wir im Risikomanagement analysieren müssen, sobald wir eine Auswirkung verstehen möchten. Nicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist das Risiko, sondern was dazu geführt hat, dass das Fass voll Wasser gelaufen ist.