Für Günther Schmid, vormals Mitarbeiter beim Bundesnachrichtendienst und Professor für Internationale Politik und Sicherheit an der Beamtenhochschule, schreite der Zerfall von Strukturen und Ordnung international voran. Wenn man die internationale Politik heute betrachtet, so fällt auf, dass sich die Welt von heute zur Ära der Nachkriegsordnung fundamental unterscheidet. Beispielsweise haben wir seiner Meinung nach heute keine klassische Lagerbildung mehr. Damit meint Schmid den fehlenden Ost-/West-Konflikt, mit der Teilung Deutschlands und Europas. In Folge dessen hat sich der Aggregatzustand der Lagerbildung verflüssigt. Es gibt keine strikte Aufteilung in Ost und West. Hinzu kommt, dass Ordnung zunehmend zerfällt. Angefangen bei der Finanzmarkt- bis zur Flüchtlingskrise sehen wir weltweit zerfallenden Strukturen. Ganze Staaten brechen auseinander. Hierzu genügt ein Blick auf die jüngsten Beispiele und Konfliktherde – angefangen bei Syrien und dem Irak über Libyen bis zum Jemen. Über sechzig Staaten gehören zu den sogenannten "gescheiterten Staaten" (failed state). Nach Definition des "Lexas Information Network" sind damit Staaten gemeint, die ihre "grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen" können. Die Hauptursachen gescheiterter Staaten sind Terror, Krieg und Vertreibung. Und die Konfliktherde nehmen zu: "Wir hatten noch nie eine solche Stresstestsituation", warnt Schmid. Im Grunde ist die ordnungspolitische Welt alter Tage passe. Denn wir müssen nach Schmids Worten auf der globalen Ebene ein Ende der Hierarchie beobachten. Wir können nicht mehr sagen wir haben die ordnungspolitische Dreiteilung in Supermacht, Großmacht und den normalen Staaten. Heute gehören rund 30 Staaten, die wir als entscheidende Mächte qualifizieren können – von China über den Iran und Saudi-Arabien bis zu Russland und den USA.
Hinzu kommt, dass multilaterale Systeme schwächer werden. Aufgrund des Mehr an Staaten mit Machteinfluss und einer gleichzeitigen Zunahme der Weltbevölkerung um 2,5 Milliarden Menschen seit den 1990er Jahren, werden die weltweiten Interessen heterogener. Dies führte uns zusammen und mit der Auflösung der Blockbildung von einer bipolaren Welt über eine multipolare Welt in eine neue Weltunordnung. Wohin die Reise geht, das vermag Schmid nicht zu sagen.
Klar ist seiner Meinung nach nur, dass wir Abschied nehmen müssen von den klassischen ordnungspolitischen Kategorien der letzten 50 Jahre. Mit Blick auf Europa, und dem bevorstehenden Austritt von Großbritannien aus der EU, sieht Schmid zwar 27 Einzelstaaten mit unterschiedlichen Interessen. Für ihn gebe es darüber hinaus aber auch Gemeinsamkeiten an strategischen Interessen, wie der Bekämpfung des Terrorismus, einer Verstärkung der globalen Wirtschaftsbeziehungen, die soziale Stabilität sowie geostrategische Interessen. Bei letzterem sieht Schmid, dass Europa sehr wohl noch als geopolitischer Akteur ernst genommen wird zwischen den Mächten China, Russland und den USA. Diese Gemeinsamkeiten gilt es zu festigen. Für Schmid sind die Gemeinsamkeiten Europas größer als die Zerfallstendenzen.
Mit Blick auf die Digitalisierung und Globalisierung sieht Schmid diese als die großen Treiber in der ordnungspolitischen Welt. Immer mehr Informationen müssen bearbeitet und bewältigt werden. Von daher bleibt eine Konzentration auf soziale Medien bestehen. Im Umkehrschluss könne Politik daher nicht mehr von oben durchregieren, sondern muss auf gesellschaftliche Einflüsse immer stärker achten. Die Digitalisierung betrifft beispielsweise die immer schnellere Verfügbarmachung von Waren auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite steigt durch die Digitalisierung die Möglichkeit der Manipulation. Die Gefährdung durch Fake News sei hoch. Denn immer mehr Menschen müssen sich immer mehr anstrengen, um reale Informationen herauszufiltern. Politik, die ein Ordnungsmonopol von oben nach unten betreibt, sei immer stärker abhängig von gesellschaftlichen Einflüssen. Und die sind wiederum abhängig von der Transportierbarkeit durch die Medien – sprich immer stärker von sozialen Medien.
Innere, äußere sowie wirtschaftliche Sicherheit sind nicht mehr voneinander trennen. Schmid schlägt vor, dass jeder dieser Bereiche sich letztendlich die Brille des anderen aufsetzen müsste, um herauszufinden welche Möglichkeiten alle zusammen haben. Und das sei Kooperation in Richtung Zukunft. Es braucht Übergänge zwischen den drei Bereichen. Schmid vergleicht es mit einem Zug und unterschiedlichen Waggons, in denen die unterschiedlichen Bereiche sich befinden. Die Übergänge zwischen diesen Waggons müssen bestehen ohne erst an der Tür zu rütteln. Es muss dieser Zug durchgängig passierbar sein. Im Umkehrschluss heißt das: alle drei genannten Bereiche sind voneinander abhängig. Ohne Wirtschaft keine sinnvolle Politik, ohne sinnvolle Politik keine Ordnungssystem für die Wirtschaft und ohne gesellschaftliche Einflüsse keine Politik. Gesellschaftliche Einflüsse werden nach Schmids Ansicht immer wichtiger. Politik im globalen Maßstab wird kleinteiliger und regionaler. Dies sieht Schmid als Chance. Darüber hinaus dürfe aber nicht vergessen werden, dass das große Ganze nicht aus dem Blick verschwindet. Eine große Aufgabe für die Politikvermittler, Politiker und Pädagogen.
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