Die Inflation beherrscht aktuell die Schlagzeilen. Sorgte die Geldmengenausweitung der Notenbanken bis zur Coronakrise im Jahr 2020 vor allem für eine "Schatteninflation" in Form von steigenden Preisen bei Sachwerten wie Aktien, Grundstücken, Häusern oder Sammlerobjekten, wird diese Vermögenspreisinflation nun zunehmend durch die viel sichtbarere Verbraucherpreisinflation ergänzt.
In Deutschland lag der Anstieg der Verbraucherpreise zuletzt bei 4,1%, dem höchsten Stand seit 1993. In den USA setzt sich die Inflation mit jüngst 5,3% oberhalb der Fünf-Prozent-Marke fest. Die Notenbanken bemühen sich, die klar oberhalb ihrer eigenen Inflationstoleranz befindlichen Inflationsraten als zeitweilig und vorübergehend zu deklarieren. Sie haben auch keine andere Wahl. Jede andere Interpretation würde sie zum Handeln zwingen.
Dieses Handeln – in Form eigentlich gebotener Zinserhöhungen, mindestens aber der Einstellung der Ankaufprogramme – ist jedoch nicht möglich. Einerseits galt bereits vor Ausbruch der Corona-Krise, dass eine Rückabwicklung der monetären Extrempolitik kaum mehr denkbar ist, ohne schwerste Marktverwerfungen zu provozieren. Andererseits ist das Ziel dieser finanziellen Repression (= Zinssätze über längere Zeit deutlich unterhalb der Inflation) die reale Entschuldung der globalen Schuldenberge. Nach genau diesem Prinzip hatten sich viele Staaten nach dem 2. Weltkrieg ihrer Überschuldung entledigt.
Tatsächlich trifft es zu, dass einige Corona-spezifische Preisdaten einen temporären Charakter tragen, wie etwa der Mehrwertsteuereffekt in Deutschland, oder auch Preiseffekte bei Restaurantpreisen und Flugtickets. Ebenso lässt sich beobachten, dass eher als temporär einzuschätzende Engpässe auf der Angebotsseite aus unterbrochenen Lieferketten nachwirken und in Nichtverfügbarkeiten, Knappheit (beispielsweise bei Halbleitern) oder auch hohen Frachtraten resultieren.
Gerade auch der akute Personalmangel, unter dem besonders Unternehmen in den USA leiden (die staatlichen Lohnersatzleistungen de-incentivierten bis weit in das Jahr 2021 hinein die Arbeitsaufnahme, vor allem im Niedriglohnbereich), wird sich vermutlich auch wieder normalisieren.
Gleichzeitig ist aber zu konstatieren, dass die Basiseffekte aus den "Extrem-Monaten" des Vorjahres bereits verarbeitet sind. Die aktuell eintreffenden Inflationsraten lassen sich nicht länger mit Basiseffekten aus den Monaten März-Mai 2020 erklären. Sie sind zunehmend Funktion von "echten", hartnäckigeren Effekten, von denen die Gefahr der Verfestigung ausgeht.
Die organisierte Inflation
Ein Blick auf "vorlaufende" Preisdaten, wie Erzeugerpreise oder Importpreise schürt ebenfalls die Befürchtung, dass sich die Inflation strukturell verfestigt. Mit einem Anstieg von 12,0 % lagen die Produzentenpreise in Deutschland zuletzt auf dem höchsten Niveau seit 1974. Die Importpreise verzeichneten mit +15,0 % den höchsten Zuwachs seit 1981. Es steht zu befürchten, dass sich die stark erhöhten Rohstoff-, Erzeuger-, Großhandels- und Produzentenpreise mit einer gewissen Zeitverzögerung in die Verbraucherpreise durchfressen werden und somit über die kommenden Monate Aufwärtsdruck auf die Inflationsraten ausüben. Gerade in Deutschland scheint der Hochpunkt der anziehenden Teuerung noch nicht erreicht.
Abb. 01: Jährliche Veränderungsraten der Import- und Erzeugerpreise in % [Quelle: Bloomberg]
In den USA sind mit entsprechend zu erwartender Zeitverzögerung insbesondere die Preisdaten aus Arbeits- und Immobilienmärkten unter verschärfter Beobachtung zu halten. In vielen Branchen müssen Unternehmen jetzt schon deutlich höhere Löhne zahlen, um überhaupt Arbeitskräfte zu gewinnen. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist real.
Gleichzeitig erreichen die US-Immobilienpreise nie zuvor gesehene Höhen. Der breite Case-Shiller-Index kletterte zuletzt mit Preissteigerungen von über 18 % auf neue Allzeithochs. Mit einem Zeitverzug von ein bis zwei Jahren werden sich diese Teuerungsraten auch in der als "Owner’s Equivalent Rent" (OER) bezeichneten und innerhalb der US-Verbraucherpreise hoch gewichteten Komponente wiederfinden und so den Inflationsdruck weiter anfachen.
Abb. 02: Preisentwicklung im US-Immobilienmarkt [Quelle: Bloomberg]
Auch in Europa gilt es, die kommenden Tarifabschlüsse genau zu beobachten. Gleichzeitig wirken gerade auf dem Kontinent nach vorne blickend immer stärker auch strukturelle Inflationsfaktoren, die als planmäßig herbeigeführt gelten können. Mit der gewollten Angebotsverknappung im Energiebereich und der Verteuerung der Energienutzung müssen sich Unternehmen und Haushalte auf sehr viele höhere Kosten für den Verbrauch einstellen, zugleich wird der angestrebte "Umbau" der Energieversorgung durch hohe Energie- und Rohstoffpreise massiv verteuert. Eine "grüne Inflation" durch höhere CO2-Preise, höhere Verbrauchskosten und steigende Investitionskosten in Bereichen wie Mobilität, Neubau und Sanierung gesellt sich dann zu der bereits seit Jahren bestehenden Vermögenspreisinflation hinzu.
Eine besonders bedenkliche Entwicklung ist aktuell, zum Teil auch als Derivat steigender Rohstoffpreise, bei den Lebensmittelpreisen zu beobachten. In den Niederlanden wird beispielsweise der Anbau von Obst und Gemüse in Gewächshäusern drastisch zurückgefahren, weil die Beheizung der Anlagen mit den stark gestiegenen Gaspreisen nicht mehr wirtschaftlich zu organisieren ist. Die resultierende Angebotsverknappung zeigt sich bereits in den Preisen der Supermarktregale.
In einigen Schwellenländern werden aufgrund unerschwinglicher Düngerpreise bestimmte landwirtschaftliche Flächen und Sorten gar nicht erst bewirtschaftet. Argentinien verhängte ein zeitweiliges Exportverbot für Rindfleisch.
Abb. 03: UN-Index für weltweite Lebensmittel- und Agrarrohstoffpreise [Quelle: Bloomberg]
Kann eine allgemeine Teuerung in entwickelten Ländern sicherlich eine gewisse Zeit geduldet werden, sind die Folgen der Preisinflation speziell bei Lebens- und Grundnahrungsmitteln in den Schwellenländern wahrhaft sozialer Sprengstoff. Die Proteste und gewaltsamen Umwälzungen des sog. "Arabischen Frühlings" gingen im Ursprung genauso wie viele andere revolutionäre Protestbewegungen in der Geschichte auf hohe Preissteigerungen bei Getreide, Brot, Obst und Gemüse zurück.
Es muss daher als in hohem Maße unverantwortlich betrachtet werden, wenn der aktuell vorherrschende Preisdruck entweder vorsätzlich weiter angefacht wird oder die Folgen zumindest billigend in Kauf genommen werden.
"Es gilt (…), alle Kräfte darauf zu konzentrieren, eine Inflation zu verhüten und jedes schuldhafte Verhalten, das zu einer inflationistischen Entwicklung führen könnte, vor der gesamten Öffentlichkeit zu brandmarken und dadurch zu verhindern. Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen".
(Ludwig Erhard, ehem. Bundeswirtschaftsminister und Bundeskanzler)
Ein informierter Blick in die Geschichte würde zur Zurückhaltung mahnen, was die aktive Herbeiführung einer für manche zunächst "wünschenswert" erscheinenden Inflation anbetrifft. Gerade in Deutschland bedarf es eigentlich keines gesonderten Beweises, welche verheerenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen eine Hyperinflation auslösen kann.
Die Geschichtsbücher zeigen: Auch in den Jahrhunderten davor wurde es bei hoher Inflation häufig brenzlig. Unruhen, Aufstände und Kriege folgten oft auf Geldentwertung. Die "Große Elisabethanische Inflation" im 16. Jahrhundert, die neben Spanien und den Niederlanden auch weite Teile des heutigen Mitteleuropas ergriff, wurde durch vorsätzliche Münzverschlechterungen ausgelöst (dem Vorläufer der heutigen Druckerpresse). Die Bauernaufstände im Mittelalter waren gelegentlich spezifische Reaktionen auf zu hohe Abgaben, Steuern und Zölle, mehrheitlich aber "Notwehr" der Bevölkerung gegen die Gefährdung ihrer Lebensgrundlage durch steigende Nahrungsmittelpreise.
Inflation spaltet die Gesellschaft
Die Aufmerksamkeit gilt ebenso der Ungleichheit, welche die Inflation erzeugt. In ohnehin schon stark polarisierten Gesellschaften sind die Erzeugung und Duldung von erhöhter Inflation ein Spiel mit dem Feuer! Die Inflation spaltet die Bevölkerung stets in (wenige) Gewinner und (viele) Verlierer. Die Besitzlosen empfinden es als Unrecht, wenn die Vermögenswerte der Besitzenden leistungsfrei immer weiter an Wert gewinnen, während die Kaufkraft ihrer Arbeitseinkommen schwindet.
Ungleichheit wird in einer Marktwirtschaft so lange akzeptiert, wie sie Ergebnis von besseren Ideen und Innovation ist, wenn sie als Lohn für Anstrengung, Fleiß und Wertschöpfung gesehen wird: Sie mehrt dann auch die allgemeine Wohlfahrt. Ungleichheit wird gesellschaftlich aber dauerhaft nicht akzeptiert, wenn Mechanismen bestehen, die bei weiten Bevölkerungsteilen den Eindruck hinterlassen, die Karten seien zu ihren Ungunsten gezinkt und sie hätten keine faire Chance auf eine Partizipation.
Die der willkürlichen Geldmengenausweitung folgende Vermögenspreisinflation ("Cantillon Effekt") fällt in die letztere Kategorie.
Viele beschleicht der Verdacht, sie gerieten trotz fleißiger Arbeit ins Hintertreffen. Wenn sich Durchschnittsverdiener keine Immobilie mehr leisten können, wenn Polizisten oder Krankenschwestern in Großstädten kaum noch die Miete aufbringen können, sind dies Symptome eben des Effekts, der jene begünstigt, die von neugeschaffenen Geldmengen wertige Güter erwerben können. Das Nachsehen haben hingegen jene, die von den neuen Geldmengen nichts oder nur zeitverzögert erhalten. Sie können Vermögenswerte nur noch zu inflationierten Preisen oder gar nicht mehr erwerben und erleiden einen permanenten Verlust in ihrer relativen Vermögensposition.
Wenn viele Menschen unverschuldet ins Hintertreffen geraten und die Verteilungsfunktion der freien Marktwirtschaft durch Inflation beschädigt wird, gerät auch die Akzeptanz des freien Marktes selbst schnell in Gefahr. Darin liegt ein erhebliches Risiko. Die "Gelbwestenproteste" in Frankreich und die Enteignungsdebatten in Berlin sind frühe Symptome einer solchen Vertrauenskrise.
Historisch waren im Inflationierungsumfeld häufig wiederkehrende Muster zu beobachten. Den Protesten der Bevölkerung gegen hohe Preise und empfundenen Ungerechtigkeiten folgten Interventionen der Könige, Kaiser, Herzoge, Präsidenten oder Parlamente. Weil diese Interventionen – meist Preiskontrollen – niemals marktbasierte Lösungen waren, sondern den Wirtschaftskreislauf noch weiter störten, verschlimmerte sich auch die Situation weiter. Nicht selten stand am Ende der Entwicklung der Zusammenbruch der Währungs- und/oder Wirtschaftsordnung. Fast immer waren in der Vergangenheit "korrigierende" Eingriffe in Eigentums- und Freiheitsrechte die Norm. Die von Ludwig von Mises beschriebenen Interventionsspiralen versuchten im Kontext von Hoch- oder Hyperinflation oft eine Rück-Verteilung von vermeintlichen "Inflationsgewinnern" hin zu "Inflationsverlierern" zu bewerkstelligen.
So gilt es für Vermögensinhaber auch heute, "weiche" und "harte" Formen der Vermögenszugriffe als denkbare Anlagerisiken zu berücksichtigen. Hohe und höhere Besteuerungen von Vermögen sind naheliegende Formen der Rück-Umverteilung, aktuelle Planungen der EU Kommission zu einem "Vermögensregister", in dem sämtliche Vermögenswerte eines Eigentümers (neben Wertpapieren auch Gold, Kunst, usw.) erfasst werden sollen, sind eine kaum überraschende, dennoch aber empörende technische Vorbedingung für mögliche Vermögensabgaben. Historische Erfahrungen mit dem "Lastenausgleichsgesetz" in Deutschland illustrieren, dass nicht nur liquide Vermögen, sondern auch illiquide Vermögenswerte entsprechende Begehrlichkeiten des Staates wecken können.
Auflösung der Goldbindung als Wendepunkt des Geldwesens
Das 3. Quartal 2021 markierte gleich mehrere unrühmliche Jubiläen: Am 13. August wurde an den Mauerbau vor 60 Jahren erinnert, vor 20 Jahren ereigneten sich die islamistischen Anschläge des 11. September in den USA. Ein ebenfalls folgenreiches "Jubiläum" geht auf den 15. August 1971 zurück: Die überraschende Auflösung der Dollarbindung an den Goldpreis durch Präsident Nixon beendete den "Goldstandard light", dem sämtliche Währungen der entwickelten Staaten nach dem Bretton-Woods-Abkommen seit 1944 unterlagen.
Faktisch kam die Aufkündigung der Goldeinlösungszusage einem Zahlungsausfall der USA gleich. Die damals politisch als "temporär" verkaufte Maßnahme hatte in der Folge überaus weitreichende Konsequenzen und kam der Generalermächtigung zur im Prinzip unbegrenzten Ausweitung der Geldmenge gleich, ganz nach Belieben und politischen Begehrlichkeiten.
Die Möglichkeit der beliebigen Geldmengenvermehrung durch Auflösung der Goldbindung hat nach 1971 zu strukturell höheren Staatsquoten, ausufernden Sozialsystemen, steigenden Schuldenbergen und einer systemimmanenten Inflation geführt. Die Staaten begannen praktisch folgenlos über ihre Verhältnisse zu leben, hatten sie doch nun unbegrenzte Kreditlinien bei ihrer Zentralbank.
Abb. 04: Entwicklung US-Geldmenge M2 in Mrd. US-Dollar [Quelle: Bloomberg]
Die Kredit- und Geldmengenausweitung durch Geschäfts- und Zentralbanken setzt seither den Geldwert kontinuierlich herab, führt in der Realwirtschaft zur Akzentuierung der natürlichen Auf- und Abschwung-Bewegungen ("Boom- und Bust-Zyklen") und zur Aufblähung einer nichtproduktiven, von der Realwirtschaft gänzlich entkoppelten, Casino-artigen, spekulativen Parallelökonomie im Finanzsystem.
Die Auflösung der Goldbindung und die daraus mögliche "Geldschöpfung aus dem Nichts" verteilt Einkommen und Vermögen willkürlich um. Sie kennt wenige Gewinner auf Kosten vieler Verlierer. Sie bedient einseitig die Interessen des Staates, der Schuldner und der Vermögensbesitzer, deren Vermögensbasis durch die unvermeidbare Vermögenspreisinflation absolut und relativ betrachtet zunimmt. Diese Umverteilung erfolgt zu Lasten der Bezieher von festen Einkommen und der weniger Vermögenden. Die häufig beklagte Ungleichverteilung der Vermögen ist daher direkte Folge des Geldsystems.
"Nichts Neues unter der Sonne"
Die Erkenntnis aus dem Buch Prediger "Es gibt nichts Neues unter der Sonne" findet ihre Anwendung auch auf die Geschichte des Geldes. Zu allen Zeiten lag es im Interesse der Mächtigen, die Möglichkeit zu schaffen, Budgetrestriktionen zu beseitigen. Immer wieder wurde der Versuch unternommen, mit List, Finesse oder Betrug die Möglichkeiten der Staatsausgaben zu erweitern und damit Macht, Einfluss und Reichtum zu sichern. Waren es in der frühen Geldgeschichte Techniken der Münzverschlechterung und Falschmünzerei, finden diese Methoden in der Moderne ihre Entsprechung in der Druckerpresse.
Begehrlichkeiten nach höheren Staatsausgaben, sei es für Kriege, Expansionen oder soziale Umverteilung bestanden immer wieder, wenn es nicht gelang, staatliche Ansprüche durch regelbasierte Vorkehrungen (beispielsweise Schuldenbremsen) im Zaum zu halten. Immer wieder war es auch die Versuchung, über die Verhältnisse, in Maßlosigkeit zu leben.
Als "nichts Neues unter der Sonne" muss es auch gelten, dass aus den gescheiterten Papiergeldexperimenten der Geschichte kein dauerhafter Erkenntnisgewinn resultiert und sich die immer gleichen Muster wiederholen. Zunächst erwächst aus dem Schmerz der natürlichen Knappheit Begehrlichkeit. Ungedecktes Papiergeld soll dem vermeintlichen Mangel Abhilfe schaffen. Es entsteht ein zeitweiliger Scheinaufschwung, allerdings mit der fatalen Nebenwirkung der Inflation, die Unrechtsempfinden in weiten Teilen der Bevölkerung hervorruft und deren Umverteilungswirkung häufig zu sozialen Unruhen führt.
Ein Paradebeispiel für die Wiederkehr des immer gleichen Musters liefert die französische Geldgeschichte: Nachdem das Geldsystem in Frankreich 1720 im Zuge der Mississippi-Blase und der von John Law ausgelösten Hyperinflation bereits schon einmal vollständig kollabiert war, dauerte es keine 70 Jahre, bis ab dem Jahr 1790 der genau gleiche Mechanismus dazu führte, dass die französische Wirtschaft unter der erneuten Flut von Papiergeld einen rasanten Preisauftrieb erlebte, Nahrungsmittel unerschwinglich wurden und die Bevölkerung gegen "falsche Preise", "Spekulanten" und "Reiche" protestierte. Der Zorn der Arbeiter und Handwerker führte zu schweren Ausschreitungen. Die immer weiter steigenden Preise trugen zur Radikalisierung der Jakobiner und "Sansculotten" im Zuge der Französischen Revolution bei.
Geplante Entwertung des Papiergelds
So wie die unbegrenzte Geldschöpfung und Ausgabe von Papiergeld über die Jahrhunderte immer wieder den inneren Wert einer Währung zerstörten, so war das, was auf den ökonomischen Kollaps und die meist gleichermaßen soziale, politische und gesellschaftliche Katastrophe folgte, in vielen Fällen ebenfalls ähnlich: Eine Rückkehr zum "sound money", nämlich einer gedeckten Währung, meist einem Gold- oder Silberstandard. Ganz generell waren Phasen der Metallbindung tendenziell oft Zeiten steigender Produktivität, Innovation und Prosperität.
Wie wenig das nach 1971 zirkulierende "Fiat Money” dem Anspruch an ein wertiges Tauschmittel gerecht werden konnte, zeigt der Verfall seines inneren Wertes und damit seiner realen Kaufkraft: Bis 1971 war eine Feinunze Gold bei 35 US-Dollar fixiert. Heute kostet eine Feinunze Gold 1.756 Dollar; sodass sich mit 35 US-Dollar gerade noch 0,6 Gramm statt 31,1 (= 1 Unze) Gold erwerben lassen. Ein Kaufkraftverlust von 98%! Dieser Effekt ist nicht allein im US-Dollar präsent, sondern in allen nach 1971 zur ungedeckten Papierwährung gewordenen Währungen.
Abb. 05: Preise für 100 US-Dollar in Unzen Gold [Quelle: Bloomberg]
So qualifiziert sich das nach 1971 umlaufende Papiergeld nicht als wertbeständiges Wertaufbewahrungsmittel. Es wertet mit Ausweitung der Geldmenge planbar gegenüber realen Werten wie Gold, Grundstücken oder Immobilien ab.
Selbstermächtigung der EZB
Im Rahmen der Juli-Sitzung änderte die EZB dieses Jahr das Inflationsziel eigenmächtig ab. Gemäß den europäischen Verträgen ist die EZB zur Wahrung der Preisstabilität verpflichtet. Anders als etwa die US-Notenbank (Fed) hat sie kein Mandat zur Stimulierung der Wirtschaft oder zur Anhebung der Beschäftigungsquote. Wenngleich die logischste Operationalisierung des Arbeitsauftrags "Preisstabilität" sicherlich einer Inflation von exakt 0 % entsprechen würde, hatte sich bis zur Amtsübernahme von Mario Draghi der Konsens herausgebildet, die Preisstabilität als erreicht zu interpretieren, wenn die jährliche Teuerung 2 % nicht überschreitet.
Bereits während der Draghi-Ära gab es immer wieder Bestrebungen, ein "Inflationsziel" zu installieren. Will die Notenbank eine vorsätzliche Inflationierung herbeiführen, kann auch dann von "organisierter Inflation" gesprochen werden. Für jeden Vermögensinhaber ist es im Eigeninteresse entscheidend, diese Prämisse in Überlegungen zur strategischen Vermögensaufteilung einfließen zu lassen! Denn jede "nichtinflationsreagible" Anlageklasse, wie Cash, nominale Anleihen oder Aktien mit geringem oder negativen "Inflations-Beta", schlicht alle Anlagen, deren Ertragsströme hinter der gewünschten Kaufkraftentwertung zurückbleiben, werden dann zwangsläufig reale Verluste generieren, wenn es gelingt, die angestrebte Inflation regelmäßig auszulösen.
Mit ihrem nun verkündeten "symmetrischen Inflationsziel" nimmt die EZB eine ungewöhnliche – und überraschenderweise weithin unwidersprochene – Selbstermächtigung vor, den vertraglich vorgebebenen Auftrag nach eigenen Vorstellungen abzuändern. Längere Zeit unterhalb der Zwei-Prozent-Marke verharrende Inflationsraten würden demnach nun einen "Ausgleich" nach oben erfordern, sodass künftig auch deutlich höhere Inflationsraten toleriert werden könnten.
Setzt bereits eine Inflation von "nahe, aber unter 2 %" die Kaufkraft kontinuierlich herab, muss nun befürchtet werden, dass die EZB künftig deutlich höhere Inflationsraten mit Wohlwollen sehen und "laufen lassen" wird. Diese erhöhte Inflation bewirkt einen laufenden Vermögenstransfer von Gläubigern, Sparern und Empfängern von Festeinkommen hin zu Besitzern realer Vermögenswerte, Schuldnern und vor allen dem Staat. Sie verfestigt die vielfach beklagte ungleiche Vermögensverteilung.
Eurokrisen werden wahrscheinlicher
Dass die Mitgliedsstaaten der Selbstermächtigung der EZB keinen Einhalt gebieten, ist zwar politisch nachvollziehbar, aber dennoch fatal. Aufgrund ihrer hohen Verschuldungsquoten arrangieren sich die Staaten allzu dankbar mit der faktischen monetären Staatsfinanzierung durch die Zentralbank. Das Außerkraftsetzen der fiskalischen Budgetrestriktionen eröffnet der Politik willkommene Spielräume für weitere Staatsausgaben – der politisch weitaus willkommenere Weg im Vergleich zur Alternative, der Rückkehr zu einer soliden Haushaltsführung.
Wenn die Notenbank im Euroraum zunehmend zum verlängerten Arm politischer Interessen wird und die gegenseitige Abhängigkeit von Geld- und Fiskalpolitik wächst, wird damit das Vertrauen in beide Akteure untergraben: Beabsichtiget die EZB, mit immer neuen Begründungen und Rechtfertigungen zu einer dauerhaften Inflationierungspolitik überzugehen, stellt dies für die kern- und nordeuropäischen Staaten, die traditionell in einer stabilitätsorientierten Geldpolitik verankert waren, zunehmend die Vertragsgrundlage infrage – fast folgerichtig werden damit neue "Eurokrisen" heraufbeschworen. So verlockend es sein mag, den Verheißungen höherer Inflationsraten nachzugeben: Die Euroländer dürfen sich die Gestaltungskompetenz nicht von der Notenbank aus der Hand nehmen lassen. Es kann nicht der EZB überlassen sein, Mandat und Auftrag selbst zu formulieren. Es wäre dringlich geboten, dass die EZB von den Mitgliedsstaaten zurückgepfiffen wird.
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Friktionen, die hohe Inflationsraten in Europa historisch wiederholt hervorgerufen haben, wären die Mitgliedsstaaten außerdem gut beraten, mittels regelbasierter Automatismen (wie etwa Schuldenbremsen) eine fiskalische Selbstdisziplin walten zu lassen, mit der sie gar nicht erst in die Lage schwerwiegender Interessenkonflikte gegenüber den Notenbanken gelangen können. So aber steht zu befürchten, dass als "Ausgleich" für die systematischen Inflationsnachteile, die kleine und mittlere Einkommensbezieher erleiden (und gegen die sie sich auch kaum wehren können), wie in der Geschichte so oft der Fall, eine Interventionsspirale in Gang kommt, deren Eingriffe absehbar mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Fazit
Höhere Inflationsraten billigend in Kauf zu nehmen oder gar durch monetäre Staatsfinanzierung vorsätzlich herbeizuführen, erscheint heute vielen politisch opportun, ist jedoch ein Spiel mit dem Feuer. Der Blick in die Geschichtsbücher zeigt wiederkehrende Muster: Erhöhte Inflation löst wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Verwerfungen aus, die sich nur schwer wieder korrigieren lassen. Der Inflation folgende staatliche Interventionen und der generelle Machtzuwachs des Staates hatten in der Vergangenheit oft schwerwiegende Konsequenzen. Im Interesse des Fortbestands von Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und generell der freiheitlichen, pluralistischen Grundordnung wäre Geschichtsbewusstsein gegenüber (vermeidbaren) historischen Katastrophen heute ein guter Ratgeber, die Finanzalchemie nicht zu überdehnen.
Autor:
Bernhard Matthes
Bereichsleiter Asset Management bei der Bank für Kirche und Caritas – BKC
Bernhard Matthes ist Investmentchef des kirchlichen Asset Managers BKC Asset Management, dem Vermögensverwalter der Paderborner Bank für Kirche und Caritas. Er verantwortet u.a. den defensiven Mischfonds BKC Treuhand Portfolio und Spezialmandate für Stiftungen und kirchliche Anleger.