Die Kehrtwende im transatlantischen Verhältnis, die die deutsche Bundeskanzlerin in der letzten Woche angekündigt hat, ist zwar in erster Linie politisch gemeint. Europa sollte sich nicht mehr allein auf die USA verlassen, sondern sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Aber wird das nicht auch Konsequenzen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte haben? Selbst wenn es am Ende nicht so heiß (und vor allem nicht so schnell) gegessen werden sollte, wie es gekocht wird, ist es nicht schlecht, einmal über mögliche Wirkungen nachzudenken.
Das erste, was einem da in den Kopf kommt, ist, dass die Zeit der Reflation Trades zu Ende geht. Bisher gingen wir davon aus, dass die Politik von Präsident Trump durch Steuersenkungen, Ausgabensteigerungen und Deregulierung der Märkte zu mehr Wachstum führt. Gleichzeitig würde die Inflation steigen, was dann höhere Zinsen und eine weitere Aufwertung des US-Dollars bringen würde. Diese Perspektiven haben die Märkte seit den Wahlen im letzten November beflügelt. Die negativen Effekte protektionistischer Tendenzen wurden dabei ausgeblendet.
Damit dürfte es jetzt erst einmal vorbei sein. Zum einen tut sich Trump zunehmend schwer, die Steuersenkungen und die Ausgabensteigerungen im Parlament durchzusetzen. Damit fallen Wachstums- und Inflationsimpulse weg.
Zum anderen gewinnt die Konfrontation vor allem mit den Europäern auch nach dem Streit über das Klimaabkommen zunehmend Gewicht. Protektionistische Gefahren kann man nicht mehr vernachlässigen. Das liegt vielleicht auch daran, dass handelspolitische Schritte innenpolitisch in den USA für den Präsidenten leichter durchsetzbar sind. Den Ausstieg aus dem geplanten transpazifischen Handelsabkommen TPP konnte er mit einem einfachen Federstrich umsetzen.
Wenn man es auf eine einfache Formel bringen will, dann kann man sagen: Reflation Trades werden ersetzt durch "Division" Trades. Die Finanzmärkte müssen sich darauf einstellen, dass die Volkswirtschaften diesseits und jenseits des Atlantiks auseinanderdividiert werden.
Das Eisen im Feuer: Deutsch-amerikanischer Handel in EUR Mrd. [Quelle: Bundesbank]
Das bedeutet zunächst weniger bilateraler Handel. Daraus folgen weniger Wachstum und weniger Wohlstandsgewinne für alle. Betroffen sind auch die Schwellenländer. Das ist negativ für die Aktienmärkte. In Europa schlägt das stärker zu Buch als in den USA, weil die Handelsintensität hier größer ist. Die deutschen Exporte in die USA machen mehr als EUR 100 Mrd. aus beziehungsweise über 3 Prozent des BIPs (siehe Grafik). Das steht jetzt im Feuer.
Wenn der Handel geringer wird, gehen auch die Kapitalexporte zurück. Allein die deutschen Kapitalexporte in die USA beliefen sich im letzten Jahr auf EUR 53 Mrd. Das ist mehr als der bilaterale Handelsüberschuss. Andererseits benötigen die Amerikaner weniger Kapitalzuflüsse, weil ihr Leistungsbilanzdefizit geringer wird.
Handel und Kapitalströme werden aber nicht nur insgesamt geringer. Sie werden auch umgelenkt. Damit ergeben sich unterschiedliche Wirkungen diesseits und jenseits des Atlantiks. Die Amerikaner kaufen mehr im Inland, was dort die Konjunktur ankurbelt und die Preise steigen lässt. Auch die Zinsen müssten unter diesen Umständen nach oben gehen. Die US-Aktienmärkte dürften sich weiter gut entwickeln, denn die Gewinne der Unternehmen nehmen zu. All das ist ein Ausgleich für die fehlenden Reflation Trades.
Für die Europäer sieht das anders aus. Sie können weniger ans Ausland liefern. Sie müssen versuchen, ihre Produktion stärker in Europa abzusetzen. Das bedeutet vermutlich eine schwächere Konjunktur. Es könnte sein, dass die Finanzpolitik gegensteuert und vermehrt Investitionsimpulse gibt. Die Unternehmensgewinne geraten unter Druck. Das sind keine so guten Aussichten für die Aktienmärkte. Der Aufschwung würde zu Ende gehen oder jedenfalls eine größere Pause einlegen.
Die Inflation wird in Europa nicht so stark steigen wie bisher erwartet. Der Zinsanstieg, mit dem wir unter den Reflation Trades auch hierzulande gerechnet hatten, fällt geringer aus. Die Europäische Zentralbank wird sich in ihrem vorsichtigen Vorgehen bei der Beendigung der ultralockeren Geldpolitik bestätigt fühlen.
Wie sich der Wechselkurs entwickelt, ist prima facie schwer zu sagen. Rein ökonomisch müsste der Dollar stärker werden (bessere Konjunktur, höhere Zinsen, geringeres Leistungsbilanzdefizit). Andererseits wird der Status der USA als "sicherer Hafen" bei einer isolationistischen und schwer einschätzbaren Politik von Präsident Trump gefährdet. Umgekehrt könnte der Euro interessanter werden. Denkbar ist, dass globale Anleger sich bei einer stärkeren politischen Emanzipation Europas den alten Kontinent genauer anschauen.
Sie könnten auf eine Freisetzung "stiller Reserven" im Binnenmarkt hoffen. Das käme dem Euro zugute. Ich erwarte zunächst einmal eine längere Periode der Unsicherheit. Die Investoren werden sehen wollen, wie es in den USA weitergeht und wie die Europäer mit der neuen Situation fertig werden.
Das sind natürlich alles vorläufige und hypothetische Überlegungen. Sie werden – wenn überhaupt – auch nicht so schnell wirksam. Insofern sind übereilte Konsequenzen nicht am Platz. Trotzdem: Wolken ziehen auf. Die Goldilocks-Situation an den deutschen Märkten bleibt nicht so. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum wird sich längerfristig verringern. Die US-Aktienmärkte könnten sich per Saldo besser entwickeln als die europäischen.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.