Die Gesamtbanksteuerung ist für alle Kreditinstitute von zentraler Bedeutung und beschäftigt Vorstände und Führungskräfte gleichermaßen. Doch bei genauer Betrachtung ist die Gesamtbanksteuerung selbst ein eher unbestimmter Begriff, für den es in der Praxis keine einheitliche Definition gibt. Wenn man mehrere Bankmitarbeiter fragt, was sich genau im Fokus der Gesamtbanksteuerung befindet, bekommt man genauso viele verschiedene Antworten. Dies verwundert umso mehr, als dass eine erfolgreiche Gesamtbanksteuerung selbst einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor darstellt. Deshalb ist es wichtig, sich diesem Thema erneut zu nähern und den Versuch zu unternehmen, ein gemeinsames Verständnis der Gesamtbanksteuerung herbeizuführen.
Gesamtbanksteuerung bis zur Lehman-Krise
Geht man etwas naiv an das Thema heran, so zählt man einfach alles zur Gesamtbanksteuerung, was zur Steuerung einer Bank gehört. Dies entspricht jedoch in der Praxis nicht dem Verständnis der meisten mit Gesamtbanksteuerung beschäftigten Mitarbeiter, die einem wesentlich engeren Verständnis der Gesamtbanksteuerung folgen. Um sich diesem engeren Verständnis – sozusagen der Gesamtbanksteuerung "im engeren Sinne" – zu nähern, muss wie in der klassischen Bank-Betriebswirtschaftslehre zwischen dem liquiditätsmäßig-finanziellen und dem technisch-organisatorischen Bereich unterschieden werden. Während der liquiditätsmäßig-finanzielle Bereich Gegenstand der Gesamtbanksteuerung im engeren Sinne ist, ist der technisch-organisatorische Bereich, zu dem so entscheidende Fragestellungen wie zum Beispiel die IT- und Personal-Strategie gehören, in diesem Verständnis kein Gegenstand der Gesamtbanksteuerung.
Somit ergibt sich ein ziemlich skurriles Bild, dass nicht alle Fragestellungen, die für die Steuerung einer Bank von entscheidender Bedeutung sind, als Teil der Gesamtbanksteuerung verstanden werden.
Bis zu dem Zusammenbruch von Lehman Brothers wurde die Gesamtbanksteuerung vor allem mit der integrierten Risiko- und Ertragssteuerung gleichgesetzt. Exemplarisch für diese Auffassung kann der AT 4.3.2 Tz.1 der MaRisk gelten. Hier verlangen die MaRisk, dass die Risikosteuerungsprozesse "in eine gemeinsame Ertrags- und Risikosteuerung ('Gesamtbanksteuerung') einzubinden" sind. Inzwischen wird jedoch zunehmend deutlicher, dass zu einer modernen Gesamtbanksteuerung dann doch etwas mehr gehört als die Gesamtbanksteuerung bis zur Lehman-Krise.
Wandel in der Gesamtbanksteuerung
Um diesen Wandel zu verdeutlichen versuchen wir, die zusätzlichen Einflussfaktoren auf die Gesamtbanksteuerung der letzten Jahre zu identifizieren. Diese Einflussfaktoren mögen zwar in den einzelnen Instituten unterschiedlich stark ausgeprägt sein, letztendlich betreffen sie aber mehr oder weniger alle Institute.
- Die erste Zäsur bildete die verstärkte Betonung der Risikotragfähigkeit im Rahmen der Säule II-Steuerung durch die Aufsicht. In den nachfolgenden Jahren lag der Fokus der Gesamtbanksteuerung logischerweise hauptsächlich in der Betrachtung der Risiken und deren Auswirkungen auf das ökonomische Kapital.
- Seit der Einführung der Basel III-Reformen rückt zusätzlich die regulatorische Kapitalausstattung im Rahmen der Säule I-Steuerung in den Fokus des Interesses. Die regulatorischen Kapitalquoten werden zunehmend als zentral steuernd verstanden.
- In den letzten zehn Jahren hielt dann auch die aktive Steuerung der Liquidität Einzug in die Gesamtbanksteuerung, was nicht nur in den MaRisk zu sehen war, sondern ebenfalls im europäischen Regulierungskontext, wie zum Beispiel die LCR und die NSFR als neue Kennzahlen. Schließlich werden die Regelungen der MaRisk nun ebenfalls als Teil der Risikotragfähigkeitsbetrachtung aufgefasst und als ILAAP in die Novelle des SREP aufgenommen.
- Um auch die Gesamtverschuldung einheitlich zu überwachen, versucht die Aufsicht zunehmend weitere Kennzahlen wie zum Beispiel die Leverage Ratio einzuführen, was die Erfordernisse einer um einen zusätzlichen Aspekt erweiterte aktive Gestaltung der Bilanzstruktur bei den Banken begründet.
- Getrieben von den hohen Anforderungen seitens der Aufsicht ist es zu einem deutlichen Ungleichgewicht in der Gesamtbanksteuerung gekommen. Die Betrachtung der Erträge und der Ertragschancen im Rahmen der Gesamtbanksteuerung ist in den letzten Jahren zugunsten einer intensiven Beschäftigung mit der Risikosteuerung in den Hintergrund getreten.
- Auch die Bilanzierung wird zunehmend mit den Methoden der Risikosteuerung verwoben. So werden unter anderem barwertige Bewertungsmodelle für Derivate, Kundenwahlrechte, Hedgebeziehungen und auch für strukturierte Produkte erforderlich. Hierfür steht vor allem IFRS 9 und BilMoG als Synonym. Aber auch die verlustfreie Bewertung des Bankbuches im Rahmen eines HGB-Abschlusses ist ohne die barwertigen Bewertungsmodelle nicht leistbar.
- Eine wesentliche Herausforderung der Gesamtbanksteuerung ist nun, trotz der Regulatorik noch oder wieder hinreichend hohe Erträge zu realisieren. Dabei fällt auf, dass in den Banken eine konsequente Verknüpfung der Ertragssteuerung mit der Gesamtbanksteuerung häufig fehlt.
- Und spätestens mit den zuletzt in den EBA SREP Guidelines angepassten Regelungen für den aufsichtlichen Überwachungsprozess, die explizit auch die Bewertung von Geschäftsstrategien durch die Aufsicht umfassen, wird klar, dass ein auch nach Ertragsgesichtspunkten nachhaltig tragfähiges und zukunftweisendes Geschäftsmodell ein zentraler Angelpunkt für die Ausgestaltung einer modernen Gesamtbanksteuerung ist.
Als Zwischenbilanz kann also festgehalten werden, dass die moderne Gesamtbanksteuerung deutlich über die integrierte Risiko-/Ertragssteuerung der Zeit vor der Finanzkrise hinausgeht. Die moderne Gesamtbanksteuerung ist so komplex geworden, dass sie sich nicht mehr in einem Satz oder eine Formel definieren lässt. Es lässt sich aber sagen, welche Themenbereiche zu einer modernen Gesamtbanksteuerung unbedingt dazu gehören.
Die nachfolgende Abb. 01 fasst die einzelnen Themenbereiche zusammen.
Abb. 01: Die sieben Kernbereiche der modernen Gesamtbanksteuerung
Die folgenden Themenbereiche stellen aus unserer Sicht den Kern der modernen Gesamtbanksteuerung dar:
- Die Bank muss Klarheit über ihre Ertragsquellen und deren Grad an Nachhaltigkeit schaffen.
- Die Kostenstruktur mit den wesentlichen Treibern sollte in der Organisation transparent sein.
- Die Risikoinventur inklusive der Festlegung von Quantifizierungen und Aggregationen ist ein Bestandteil des internen Kapitaladäquanzprozesses.
- Dessen andere Seite ist dann die Bestimmung der Risikodeckungsmasse, um finanzielle Verluste zu kompensieren.
- Neben der Kapitaladäquanz muss parallel die Adäquanz der Liquiditätsausstattung sowie die Refinanzierungssituation und Fundingplanung gewährleistet sein.
- Es muss sichergestellt werden, dass je nach gewählter Bilanzierungsvorschrift die Vermögens- und Ertragslage jederzeit für das Management erkennbar ist.
- Schließlich ist die Compliance zu aufsichtsrechtlichen und anderen regulatorischen Mindestnormen zu gewährleisten.
Bei genauerer Betrachtung lässt sich sogar der Versuch der anfangs als naiv bezeichneten möglichst umfassenden Definition einer modernen Gesamtbanksteuerung nochmals wiederholen.
- So rücken mit BCBS 239 und den verstärkten Anforderungen an Data Governance dann doch Infrastrukturthemen in den Fokus der modernen Gesamtbanksteuerung. Die Aufsicht befasst sich zunehmend auch mit IT-Risiken und IT-Strategien und meint damit nicht nur die rein finanziellen Auswirkungen aus operationellen Risiken.
- Mit den Forderungen der Aufsicht bezüglich der Weiterbildung von Mitarbeitern, Führungskräften und Gremienmitgliedern sowie den Vorschriften zur Vergütung erweitern zunehmend auch Themen aus dem Bereich des Personalwesens das Spektrum der Gesamtbanksteuerung.
- Die Sanierungsvorschriften mit deren umfassenden prozessualen und organisatorischen Regelungen, unter anderem auch für Good-, Bad- oder Überbrückungsbanken sind aktuell auch zu zentralen Themen einer modernen Gesamtbanksteuerung zu zählen.
Damit scheint offensichtlich zu sein, dass künftig die enge Definition der Gesamtbanksteuerung nicht mehr ausreichend sein kann und die Banken neue Methoden und Konzepte für eine umfassende integrierte Gesamtbanksteuerung brauchen. Diese erweiterte Sicht steht auch im Einklang mit dem im Ausblick der EZB auf das gerade beginnende Jahr 2016, in dem die EZB bereits die Schwerpunkte ihrer Prüfungspraxis avisiert hat (weitere Informationen unter bankingsupervision.europa.eu), wonach neben dem Kreditrisiko, der Liquiditätssituation und der Eigenkapitalausstattung auch die Ertragslage, die Datenqualität und nicht zuletzt auch das Geschäftsmodell zu den Schwerpunkten zählen.
Neben den bisher diskutierten methodischen Fragestellungen müssen aber für eine erfolgreiche Gesamtbanksteuerung auch die organisatorischen Aspekte der Gesamtbanksteuerung selbst geklärt werden. Dazu gehören insbesondere effiziente Steuerungsprozesse, ein aussagefähiges Reporting und eine zielgerichtete Gremienstruktur. Die Einheit zwischen Methoden, Prozessen, Reports und Gremien ist entscheidend für eine nachhaltig erfolgreiche Gesamtbanksteuerung (vgl. Abb. 02).
Abb. 02: Einheit zwischen Methoden, Prozessen, Reports und Gremien
Bislang erfolgt das Reporting zu verschieden Themenbereichen der Gesamtbanksteuerung in vielen Kreditinstituten weitgehend unabhängig nebenher. Ein integriertes Reporting ist ein Wunschbild in weiter Ferne. Auch die Gremien agieren weitgehend unabhängig voneinander, ohne dass eine Verknüpfung der Themen untereinander erfolgt. Dadurch stehen die Entscheider regelmäßig vor dem Problem, die umfassenden Konsequenzen ihrer Entscheidungen kaum abschätzen zu können.
Autoren:
Dr. Peter Bartetzky, Geschäftsführender Gesellschafter, TriSolutions GmbH.
Thomas Maul, Berater, TriSolutions GmbH.
Seminar: Gesamtbanksteuerung
Mit professioneller Steuerung erfolgreich im aktuellen Umfeld agieren
- Aktuelle und zukünftige Anforderungen an die Gesamtbanksteuerung
- Best Practice-Strategien, Methoden und Instrumente für eine zeitgemäße Steuerung
- Optimale Gestaltung der nötigen IT-Unterstützung: Erfolgsvoraussetzungen und Lessons learned
- Risikosteuerung: Sicherung der Risikotragfähigkeit als Lebensversicherung
- Ertragssteuerung: Risikoadäquate Ertragszuordnung für zielgerichtete Steuerungsimpulse
- Integrierte Steuerung: Kennzahlensysteme, effizientes Reporting, zielgerichtete Gremienstrukturen
- Vorgaben der Aufsicht: Das müssen Sie heute und in Zukunft beachten
- Exklusive Praxisberichte aus Deutscher Postbank, IKB und Bundesbank
Termin und Ort: 15. und 16. März 2016, Frankfurt am Main
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