"Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen", sagt Ralf Mergehen. "Die Zahlungsdauer wird gestreckt, bis es nicht mehr geht." Der Kreditmanager muss es wissen: Er kümmert sich Tag für Tag beim Stahlunternehmen Schmolz + Bickenbach um säumige Schuldner, überprüft die Kreditwürdigkeit der Auftraggeber und leitet, wenn es nicht mehr geht, ein Verfahren ein. "Ich versuche schon vorher herauszufinden, mit welchen Kunden sich mein Unternehmen umgibt", sagt Mergehen.
Das ein oder andere Geschäft werde durch sein Veto auch verhindert, manchmal gerate der Kreditmanager des Düsseldorfer Unternehmens auch in Konflikt mit dem Vertrieb. Doch das Gesamtergebnis falle wesentlich positiver aus, als wenn kein Manager im Vorfeld von Vertragsabschlüssen tätig werden würde. Das bestätigt Jan Schneider-Maessen, Vorsitzender des Vereins für Credit Management: "Durch einen Kreditmanager im Unternehmen werden das Kundenportfolio und der Cashflow optimiert, die Zahlungsausfälle reduziert."
"Trotzdem verzichten viele Unternehmen auf diesen Posten. Nur in 59 Prozent aller deutschen Firmen gibt es eine Funktion, Position oder Abteilung, die speziell für das aktive Kredit- oder Forderungsmanagement zuständig ist. In den Niederlanden oder in Großbritannien ist die Abteilung des Kreditmanagements verbreiteter. 94 Prozent aller holländischen Unternehmen leisten sich eine eigene Abteilung für Kreditmanagement, in Großbritannien sind es immerhin noch 73 Prozent.
Das ergibt das neue Zahlungsmoralbarometer, das halbjährlich von der FTD zusammen mit dem Kreditversicherer Atradius zum zweiten Mal präsentiert wird. Dazu befragte die Marktforschungsfirma Psychonomics 1200 Unternehmen in sechs europäischen Ländern zur Zahlungsmoral ihrer Kunden und Auftraggeber.
Standortvorteil wird in Deutschland kaum wahrgenommen
Deutsche Unternehmer genießen danach einen guten Ruf bei ihren ausländischen Kollegen. Knapp 30 Prozent der ausländischen Geschäftspartner bewerten die Zahlungsmoral deutscher Unternehmer als sehr gut oder sogar ausgezeichnet. "Die Zahlungsmoral in Deutschland ist besser als in anderen Ländern. Im Ausland wird dieser Umstand als echter Standortvorteil bewertet", sagt Christian Groß, Leiter des Referats Zivilrecht bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Ein Standortvorteil, der offensichtlich in Deutschland selbst kaum wahrgenommen wird. Denn über die Hälfte der deutschen Unternehmen findet, dass die Zahlungsmoral im eigenen Land lediglich mittelmäßig oder schlecht sei: "Da zeigt sich schon ein interessanter Unterschied zwischen dem Selbst- und dem Fremdbild in der Zahlungsmoral deutscher Unternehmer", sagt Christian Escher, Studienleiter bei Psychonomics.
Während in Deutschland hohe Ansprüche herrschen, gehen andere europäische Unternehmen offensichtlich wesentlich toleranter mit offenen Forderungen um. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Messlatte, die an das Zahlungsziel gehalten wird.
27 Tage Zeit zum Bezahlen
In Deutschland setzen die Unternehmen ihren Geschäftspartnern im Schnitt 27 Tage, um die offenen Forderungen zu begleichen, in Frankreich sind es schon 49 Tage, während in Italien den Schuldnern 80 Tage Zeit gelassen wird, um die Rechnung zu bezahlen. "Die Zahlungsdauer ist in Südeuropa traditionell etwas höher als in Deutschland", sagt Christian Groß von der DIHK. Auch Heinz Pütz, Vorsitzender des Vereins für Forderungsmanagement, spricht von einem Nord-Süd-Gefälle. Im Ausland wird schlechter gezahlt, und es gibt für deutsche Unternehmer weniger Sicherungsmöglichkeiten", sagt Pütz.
Osteuropa ist für deutsche Unternehmen noch immer Neuland. Gerade in Ungarn hätten die deutschen Exporteure im vergangenen Jahr schlechte Erfahrungen gemacht, berichtet Thomas Langen, Verantwortlicher bei Atradius für Osteuropa. "Eine tiefgreifende politische und wirtschaftliche Krise sowie massive Steuererhöhungen haben dort zu einer hohen Insolvenzquote geführt", sagt Langen.
Die deutschen Unternehmer können sich im Europavergleich trotz aller Schwierigkeiten zufrieden zeigen. Sie besitzen mit 13 Prozent den deutlich geringsten Anteil offener Forderungen an ihrer Bilanzsumme, während die Italiener mit 31 Prozent offener Forderungen eher Grund zur Klage haben.
Untersucht man in Deutschland die Zahlungsmoral der verschiedenen Branchen, braucht die Möbel- und Einrichtungsbranche sehr lange, nämlich 58 Tage, um ihre Rechnungen zu begleichen. Einsames Schlusslicht und unzuverlässigster Schuldner ist allerdings der Staat: Verwaltung, Regierung und Kommunen lassen sich 69 Tage Zeit, um den Forderungen nachzukommen.
Download Zahlungsmoralbarometer:
[Quelle: Financial Times Deutschland, Atradius]