Marke und Risikomanagement

Warum immer mehr Marken sterben


Marke und Risikomanagement: Warum immer mehr Marken sterben Kolumne

Jedes Jahr bestätigen weltweite Untersuchungen von Interbrand und anderen Instituten, dass Marken das größte Kapital für Unternehmen darstellen. Dafür gibt es in der Praxis ebenfalls genügend Beispiele: So kaufte der Zigarettenkonzern Philip Morris Kraft Foods mit Marken wie Suchard/Milka, Jacobs, Kaffee Hag, Onko, Miracoli und die Marke Kraft selbst für 12,9 Mrd. US-Dollar. Der Kaufpreis überstieg den Buchwert des Unternehmens um das Vierfache. Und außerdem stellte eine Studie von Sattler und PricewaterhouseCooper fest, dass 62 Prozent des Gesamtwertes von Unternehmen im Bereich kurzlebiger Konsumgüter und 53 Prozent des Gesamtwertes von Unternehmen im  Bereich langlebiger Konsumgüter als markenwertabhängig  gesehen werden. Die Boston Consulting Group sieht den Wert über beide Bereiche hinweg sogar bei 75 Prozent.

Zudem stellten Swander & Pace fest, dass der Gewinn von Unternehmen, die Markenprodukte verkaufen, zwischen 1988 und 1993 doppelt so schnell angestiegen ist, wie der Gewinn von Unternehmen, die unmarkierte Produkte verkaufen. Das gilt nicht nur für die Konsumgüterindustrie, sondern auch Industrieunternehmen können mit starken B2B-Marken höhere Preise erzielen, wie eine Studie der Raffel GmbH Corporate Development 2009 ergab: Mit starker, profilierter Marke konnten mehr als 54 Prozent der Befragten bis zu zwanzig Prozent höhere Preise als der Wettbewerb durchsetzen. Bei einem Fünftel der Unternehmen lag diese sogenannte Preisprämie sogar bei über zwanzig Prozent. Jedes vierte Unternehmen investiert sogar überdurchschnittlich viel in die Markenführung und erzielte nach eigener Einschätzung aufgrund ihrer Marken einen um rund vierzig Prozent höheren Marktanteil.

Kunden verlassen "sinn-lose" Marken

Gleichzeitig dokumentieren Marktuntersuchungen, dass Marken für Kunden immer mehr an Bedeutung verlieren. So könnten nach einer aktuellen Studie von Havas Media die Europäer auf 93 Prozent der Marken verzichten. Weltweit sind es noch 73 Prozent. Nach einer Untersuchung  der Gesellschaft für Konsumforschung, Nürnberg, sank die Zahl der Menschen, die Marken die Treue halten in den letzten 23 Jahren um 12 Prozent auf 59 Prozent. Und eine aktuelle Studie des Markenverbandes, der GfK und Serviceplan sorgt für große Aufregung in der Wirtschaft: 41 Prozent der Marken verlieren ihre Stammkunden, die durch illoyale Gelegenheitskäufer ersetzt werden, was die Marketingkosten exponentiell ansteigen lässt.

Woran liegt das? Einerseits sind es Managementfehler, die dazu führen, dass Marken nicht mehr die Bedürfnisse ihrer Kunden befriedigen und damit für diese "sinn-los" geworden sind. So sind, heruntergewirtschaftet von starrsinnigen Patriarchen oder weggefegt vom besseren Wettbewerb, Dutzende von großen Marken in den vergangen 30 Jahren verschwunden. Man denke nur an Bilka, LTU, Horten, Plus, Metz, Kodak, AEG, D2, Neckermann, Thorens, Saba, Commodore,  Henschel, Hanomag, Mannesmann, TCM, Uher, Nordmende, Nixdorf Computer oder Zündapp. Oder an die Automarken Rover, Hummer, Pontiac, Simca, Wartburg, Lancia, Daihatsu, Karmann, DAF, Austin-Harley oder Oldsmobile.

Abbildung 01: Marken unterliegen keinem Lebenszyklus wie Produkte. Sie werden meistens "zu Tode gemanagt". So verlor SABA den technischen Anschluss und konnte keinen Kundennutzen mehr kommunizieren – wurde so für den Kunden "sinn-los".

Abbildung 01: Marken unterliegen keinem Lebenszyklus wie Produkte. Sie werden meistens "zu Tode gemanagt". So verlor SABA den technischen Anschluss und konnte keinen Kundennutzen mehr kommunizieren – wurde so für den Kunden "sinn-los".

Andererseits werden Marken aus strategischen Gründen nicht mehr weitergeführt. So verzichten immer mehr Konzerne aus Profitgründen auf einen Teil ihrer Marken: zum Beispiel nimmt Procter & Gamble 600 seiner Marken vom Markt. Der Konzern will sich stattdessen auf seine populärsten 70 bis 80 Haushaltsmarken, wie Duracell, Pampers, Always oder Wella konzentrieren.

Der wichtigste Grund ist jedoch, dass diejenigen Marken vom Markt verschwinden werden, die unprofiliert sind, sich also nicht mehr differenzieren und ihren Kunden keinen sinnvollen Kaufgrund nennen können. Deshalb prognostizierte Daniel Terberger, Vorstandsvorsitzender der Katag AG, für die Bekleidungsbranche das Aussterben sogenannter unprofilierter B-Marken. Von 1000 Anbietern für Mode und Textil in Deutschland werden seiner Ansicht nach nur 600 bis 700 überleben. Das "Markensterben"  wird also nicht weniger, sondern immer größer werden, wenn die Unternehmen nicht an der Profilierung ihrer Marken arbeiten.

Abbildung 02: In der Modeindustrie findet ein großes Markensterben statt. Einstmals große Marken, wie Strenesse, Escada oder Schiesser, kämpfen noch ums Überleben. Andere Marken, wie Apriori und Einhorn, Rosner und Delmod, Public, Olsen oder Pampolina, schlitterten unbemerkt in die Pleite [Bildquelle: Einhorn].

Abbildung 02: In der Modeindustrie findet ein großes Markensterben statt. Einstmals große Marken, wie Strenesse, Escada oder Schiesser, kämpfen noch ums Überleben. Andere Marken, wie Apriori und Einhorn, Rosner und Delmod, Public, Olsen oder Pampolina, schlitterten unbemerkt in die Pleite [Bildquelle: Einhorn].

Folgt man den Prognosen des Fachmagazins "Focus", werden zum Beispiel folgende Marken das Jahr 2015 nicht überleben:

Abbildung 03: Der Smartphone-Pionier Blackberry hatte 2008 noch einen Anteil von 20 Prozent am globalen Smartphone-Markt, 2014 lag der Marktanteil nicht einmal mehr bei einem Prozent. Noch in diesem Jahr wird sich das Unternehmen aus Kanada vermutlich von den Giganten Apple und Samsung verdrängt werden.

Abbildung 03: Der Smartphone-Pionier Blackberry hatte 2008 noch einen Anteil von 20 Prozent am globalen Smartphone-Markt, 2014 lag der Marktanteil nicht einmal mehr bei einem Prozent. Noch in diesem Jahr wird sich das Unternehmen aus Kanada vermutlich von den Giganten Apple und Samsung verdrängt werden.

Abbildung 04: Auch der bekannte Jumbo 747 von Boeing ist vom Aussterben bedroht. Verdrängt wird er vom Dreamliner aus dem eigenen Hause und vom Airbus A380. Denn, wie der Dienst "Planestarts" errechnete, hat sich der Anteil der Boeing 747 am Passagierverkehr um 12 Prozent per annum verringert [Bildquelle: Boeing].

Abbildung 04: Auch der bekannte Jumbo 747 von Boeing ist vom Aussterben bedroht. Verdrängt wird er vom Dreamliner aus dem eigenen Hause und vom Airbus A380. Denn, wie der Dienst "Planestarts" errechnete, hat sich der Anteil der Boeing 747 am Passagierverkehr um 12 Prozent per annum verringert [Bildquelle: Boeing].

Abbildung 05: Zynga, bekannt für Internet-Games, wie zum Beispiel "Farmville", droht ebenfalls das baldige Aus. Ursprünglich war die Marke die Nr.1 bei Spielen auf Facebook, doch Facebook beendete 2012 die Zusammenarbeit. Die Konzentration auf nur einen Anbieter war einfach zu wenig [Bildquelle: Zynga].

Abbildung 05: Zynga, bekannt für Internet-Games, wie zum Beispiel "Farmville", droht ebenfalls das baldige Aus. Ursprünglich war die Marke die Nr.1 bei Spielen auf Facebook, doch Facebook beendete 2012 die Zusammenarbeit. Die Konzentration auf nur einen Anbieter war einfach zu wenig [Bildquelle: Zynga].

Abbildung 06: Shutterfly, Pionier für Social Media, inzwischen im Fotodruckbereich tätig, wird von Plattformen wie Instagam, Dropbox oder Facebook verdrängt werden [Bildquelle: Shutterfly].

Abbildung 06: Shutterfly, Pionier für Social Media, inzwischen im Fotodruckbereich tätig, wird von Plattformen wie Instagam, Dropbox oder Facebook verdrängt werden [Bildquelle: Shutterfly].

Abbildung 07: Alaska Air, die unabhängige Airline, die vor allem an der Westküste der Staaten agiert, gehört zu den kundenfreundlichsten Fluganbietern. Sie ist von der Übernahme von anderen Fluggesellschaften bedroht. Ob diese die Marke bestehen lassen ist aber unklar [Bildquelle: Alaska Air].

Abbildung 07: Alaska Air, die unabhängige Airline, die vor allem an der Westküste der Staaten agiert, gehört zu den kundenfreundlichsten Fluganbietern. Sie ist von der Übernahme von anderen Fluggesellschaften bedroht. Ob diese die Marke bestehen lassen ist aber unklar [Bildquelle: Alaska Air].

Risiken in der Markenführung

Als zentrales Risiko in der Markenführung hat sich demnach die Unprofiliertheit der Marken in Form eines mangelnden Kunden-nutzens herausgebildet. Wo muss man die Ursache suchen? Zum einen wird kein effizientes Frühwarnsystem zur proaktiven Vermeidung von Markenrisiken eingesetzt und zum anderen herrscht ein fehlgeleitetes Markenverständnis vor. Der fehlende Einsatz eines Frühwarnsystems liegt vor allem daran, dass es sich noch nicht herumgesprochen hat, dass es ein effizientes System gibt und das Thema Marke generell der Kompetenz der  Marketing- und Werbe-abteilung zugeordnet wird. Das fehlgeleitete Markenverständnis drückt sich in folgender Tatsache aus: Die Unternehmen sind noch sehr stark auf sich selbst bezogen. Marken entstehen jedoch erst durch die Wirkung der Unternehmensleistung auf den Kunden. Frei nach dem Motto "Der einzige der stört ist der Kunde" pflegen zudem viele Unternehmen – und hier vor allem diejenigen aus der  Dienstleistungsbranche – die Kultur der Kundenignoranz. Denn sie richten ihre Unternehmensleistung  an der Steigerung des Umsatzes oder Marktanteiles, anstatt auf die Erhöhung des Kundennutzens aus.

Und diese Tatsache ist noch nicht einmal neu, denn schon seit Jahren wird zum Beispiel vor der "Service-Wüste Deutschland" gewarnt. Neu ist jedoch, dass die Serviceleistung en deutscher Unternehmen immer tiefer in den Keller rutschen. Und das, obwohl die Unternehmen mittels Kundenkarten, Facebook-Seiten und Service-Hotlines so viel Information wie nie zuvor über ihre Kunden gesammelt haben. Doch gleichzeitig beschweren sich immer mehr Kunden über lange Wartezeiten und unfreundliches und unqualifiziertes Personal vor allem in den Service-Hotlines, die eigentlich dafür eingerichtet worden sind, den Kunden zu unterstützen und den Service zu verbessern.

Risiko Kundenverlust – alles hausgemacht

Deshalb braucht man sich eigentlich nicht zu wundern, dass fast zwei Drittel der von der HHL Leipzig Graduate School of Management und dem TNS Infratest 2012 Befragten der Meinung sind, dass der Grundsatz "Der Kunde ist König" allmählich seine Gültigkeit verliert. Und in der Altersgruppe der befragten 14- bis 20-Jährigen bekennen sich 65 Prozent zu der Auffassung, dass die Kunden immer seltener im Mittelpunkt unternehmerischer Entscheidungen stehen. Eine der Ursachen, warum Verbraucher die Marken dafür auf brutale Weise abstrafen: Einkaufserlebnisse mit hohem Erinnerungswert sind immer noch eine Seltenheit. Nicht nur die eigene Bequemlichkeit und die Attraktion des Neuen haben die Kunden ins Internet zu Amazon & Co getrieben – sie gingen auch dorthin, weil sie sich in den Geschäften einfach nicht willkommen fühlten, schlecht oder besser gar nicht beraten wurden oder nicht das bekamen, was sie wollten. Denn die Bedürfnisse des Kunden wurden und werden immer noch zu wenig berücksichtigt. Von der Markenindustrie, die dem Kunden vorsetzt, was sie gut findet und vom Handel, der die Kunden mit Nichtbeachtung straft.

Schauen wir uns doch zwecks näherer Erklärung  einfach einmal die Erlebnisse des Düsseldorfer Mediaberaters Thomas Koch mit der Fluggesellschaft "Ar Berlin", die auf der Website des Fachmagazins "Absatzwirtschaft" erschienen sind, etwas näher an. Laut eigener Schilderung  war er mit seiner Frau nach Abu Dhabi geflogen. Gebucht hatte er bei Air Berlin, geflogen ist er jedoch mit der arabischen Partner-Airline Etihad. Bei der Ankunft ließ man ihn aber nicht einreisen, weil er kein Visum hatte (wird von kanadischen Staatsbürgern neuerdings verlangt). Doch darauf hat Koch niemand hingewiesen. Weder stand das auf der Homepage von Etihad, noch hat ihm das  Personal am Air-Berlin-Check-In-Schalter in Düsseldorf darüber informiert. Da er jedoch innerhalb von 24 Stunden das Land wieder verlassen musste, wollte er sofort umbuchen. Doch am Etihad-Schalter konnte man mit seiner Buchungsnummer nichts anfangen. Auch die Topbonus-Hotline von Air Berlin hatte ebenfalls keinen Zugriff auf die Flugdaten. Letztendlich blieb ihm keine andere Wahl, als neue Tickets zu kaufen: Für stolze 2.400 Euro. Koch fühlte sich wie "lästiges Gepäck" behandelt und schwor sich nie mehr mit Air Berlin zu fliegen.

Abbildung 09: Ist Air Berlin wirklich für den Kunden da? Oder ist das nur ein Werbespruch? Da Unternehmen von ihren Kunden leben, sollte dieser eigentlich immer im Mittelpunkt stehen und nicht stören [Bildquelle: Air Berlin].

Abbildung 08: Ist Air Berlin wirklich für den Kunden da? Oder ist das nur ein Werbespruch? Da Unternehmen von ihren Kunden leben, sollte dieser eigentlich immer im Mittelpunkt stehen und nicht stören.

Dem geneigten Leser drängt sich nun unweigerlich die Frage auf: Warum verprellt ein modernes Unternehmen, wie die Air Berlin mit diesem Verhalten seine Kunden? Ist es denn so schwer sich auf die Kundenbedürfnisse einzustellen? Anscheinend ja. Denn wo unsensible Routine herrscht, bleibt der Kunde unweigerlich auf der Strecke. Und die Distanz zwischen Dienstleister und Kunden wird immer größer.
Wer hier tiefer in das Thema "Service-Wüste" einsteigen will, sollte den Artikel von Mischa Täubner im Wirtschaftsmagazin "Brand eins" (Ausgabe April 2013) unter dem Titel "Die Zukunft des Handels" lesen. Aber bitte erschrecken Sie nicht über die Schilderungen wie zerrüttet die Beziehung  zwischen dem klassischen Handel und seinen Kunden inzwischen ist.

Anne Schüller kennt diese Probleme zur Genüge, denn kundenunfreundliche Prozesse sind in der Unternehmenswelt allgegenwärtig. Schüller ist bekannte Buchautorin, Beraterin und Dozentin, die sich mit den Themen Loyalitätsmarketing und kundenfokussiertes Management beschäftigt. Ihre Erkenntnis: "Wie viel eine Geschäftsstrategie wirklich taugt, entscheidet sich überall da, wo ein Kunde mit einem Unternehmen und seinen Mitarbeitern, Produkten und Dienstleistungen in Berührung kommt." Ob die Verfügbarkeit und Präsen-tation der Ware, das Verkaufsgespräch im Geschäft oder die Reaktion auf eine Reklamation via Hotline, alle diese Kontakte seien Momente der Wahrheit – "sie können eine Kundenbeziehung stärken oder zerstören". Dabei überwiegt leider heute immer noch das letztere.
Also doch alles hausgemacht? Ja, denn wer seine Kunden nur als Nummer verwaltet, aber nicht mit ihnen spricht und vor allem seine Bedürfnisse nicht befriedigt, dem kehrt auch der treueste Kunde einmal den Rücken. Und darüber freuen sich vor allem neue Unter-nehmen, die den Kunden entdeckt haben. Denn wer den Anschluss verpasst, den bestraft nun einmal das Leben.

Haben die Unternehmen daraus gelernt? Einige ja, einige nicht! Die meisten setzen aber nicht auf "totale Kundenorientierung", sondern immer noch auf den Einsatz einer "Billigpreisstrategie", weil sie anscheinend glauben, dass der "Preis alle Wunden heilt".

Billigpreis schlägt Service

Der Preis sollte jedoch kommunizieren wie wertvoll und nicht wie billig ein Produkt oder eine Dienstleistung  ist. Eine hochwertige Qualität kann deshalb eigentlich nicht billig verkauft werden. Wer billig verkauft, kann aus diesem Blickwinkel also gar keine hochwertige Qualität bieten. Wird alles billiger, findet also unweigerlich eine "Downtrading-Spirale" statt, die letztendlich im Ruin endet (Schlecker und Praktiker lassen grüßen). Die Fixierung auf den billigsten Preis ist jedoch heute zum zentralen Problem in der Führung von Marken geworden ist. Billigpreisstrategien sind aber nicht nur ein Problem des Handels. Gerade die Fluggesellschaften, und hier gehören auch Lufthansa, Air Berlin oder Germanwings dazu, scheinen darin einen besonders großen Wettbewerbsvorteil zu sehen.

Sehen das eigentlich auch die Kunden so? Nein, denn nur für 15 Prozent der Verbraucher ist der Preis wichtiger als der Service, wie die Online-Service-Studie Deutschland 2013 herausfand. Demnach sollten eigentlich gerade die Serviceleistungen zur wichtigsten Aufgabe der Unternehmen zählen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Was die Unternehmen aber partout nicht begreifen wollen: Schlechter Service hat weitaus schlimmere Folgen, denn er vergrault Kunden nachhaltig. So kaufen nach einer aktuellen Studie von Zendesk 59 Prozent der mit dem Service unzufriedenen Kunden beim nächsten Mal woanders. Sogar 39 Prozent der unzufriedenen Kunden kommen über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren nicht mehr zurück. Und da 95 Prozent der Befragten negative Erlebnisse mit anderen teilen, weiß man, dass schlechter Service unweigerlich ruinöse Folgen hat.

Die Unternehmen müssen hier unbedingt umdenken, sonst trifft auch sie das Markensterben. Denn wenn den Kunden Qualität und Service wichtiger sind als der Preis, sollten die Unternehmen nun auch endlich ihre – preisorientierte – Kommunikationspolitik, die zudem nur noch nervt, ändern.

Die Rückkehr zum Kunden

Warum stört eigentlich immer noch der Kunde mit seinen Bedürfnissen im heutigen Wirtschaftsprozess? Schauen wir uns hierzu doch einmal die Ausarbeitung  "The Support Economy – Why Corporations Are Failing Individuals and the Next Episode of Capitalism" aus dem Jahr 2002 von Shoshana Zuboff, Professorin an der Harvard Business School, an. Gemeinsam mit ihrem Mann James Maxmin, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Volvo und Laura Ashley, rechnet sie darin mit der industriekapitalistischen Konsumgesellschaft ab. So kommt sie zu dem Ergebnis, dass der "Managerkapitalismus" nur Massenprodukte und -services liefert, die der Handel dem Kunden verkaufen soll. Individuelle Wünsche und Rückfragen der Kunden sind dagegen nicht vorgesehen, denn das System "lebt davon, dass der Kunde ein externer Faktor ist, der auch extern bleiben sollte, weil er sonst die Abläufe stört". Auch in Europa ist der Massenkonsum längst nicht am Ende, er ist nur vom idealen Leitbild zu einer Form ungeliebter Normalität geworden. Daneben hat sich mittlerweile – und auch nur teilweise – das "Shopping-Erlebnis", bei dem der Handel Teil der Unterhaltungsindustrie ist, entwickelt. Und Lucia Reisch prognostiziert deshalb: "Der Einzelhandel wird natürlich Teil dieses modernen Erlebnisparks bleiben", doch es gebe auch eine Veränderung in der Ausrichtung, die über Erfolg und Misserfolg von Unternehmen entscheidet: "Die alten Optionsmärkte sind überall im Rückzug begriffen, die Zukunft gehört quer durch alle Konsumentenschichten den Verhandlungsmärkten." Und das bedeutet nach Reisch "die Wiederauferstehung der Märkte in ihrer vorindustriellen Form" – und damit die Rückkehr des Kunden.

Die Chance für Unternehmen: Die eigene Marke kennen

Steht der Kunde aber wieder im Fokus, entstehen neue Möglichkeiten, welche die Marken stärken. Dazu müssen sich aber die Unternehmen diesen neuen Herausforderungen auch wirklich stellen, sonst werden Marken weiterhin sterben, weil sie "nutzlos" geworden sind. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel die Kunden nicht mehr mit viel zu vielen Produkten zu überfordern. Und deshalb hat Lucia Reisch recht, wenn sie fragt, ob eigentlich noch jemand bei der Menge des Angebots durchblickt, zumal dann, wenn es "nicht mehr um Scheinvarianten geht, also Massenware, die nur persönlich tut, sondern um tatsächlich individuellere Leistungen"?  Entscheident wird aber der Wechsel vom "Verkaufen auf Teufel komm raus" zur ehrlichen Beratung  für die Verwendung "sinn-voller" Produkte sein. Doch dazu müssen die Marken wieder zum Vertrauten des Kunden werden. Denn erst dann werden die Kunden diese Leistungen auch wieder honorieren.

Aber es macht sich auch ein Hoffnungsstreif am Horizont auf: Bestehende Unternehmen lernen langsam sich mit dem Kunden auseinanderzusetzen. Und neue Unternehmen haben den Kunden schon als Freund und nicht als Störenfried entdeckt. Das lässt hoffen. Und gute Beispiele, wie die ING Diba-Bank oder die TK Techniker Krankenkasse, gibt es, Gott sei Dank, auch schon. Und werden hoffentlich immer mehr.

Abbildung 11: TK zum neunten Mal in Folge hat die Fachzeitschrift Focus Money die TK zu Deutschlands bester Krankenkasse gekürt. Die Techniker Krankenkasse ist und bleibt Deutschlands beste Krankenkasse [Bildquelle: Techniker Krankenkasse].

Abbildung 09: TK zum neunten Mal in Folge hat die Fachzeitschrift Focus Money die TK zu Deutschlands bester Krankenkasse gekürt. Die Techniker Krankenkasse ist und bleibt Deutschlands beste Krankenkasse [Bildquelle: Techniker Krankenkasse].

Die Voraussetzung ist dabei, nicht nur die Bedürfnisse seiner Kunden, sondern auch die Identität seiner Marke zu kennen, damit man auch den richtigen Kunden bedient. Und damit man nicht den Anschluss an seine Kunden verliert, sollten Unternehmen ein systematisches Brand Risk Management betreiben. Denn das Wissen über die eigene Marken-Identität ist die Basis für eine risikoarme Markenführung. Und darauf baut auch ein systematisch arbeitendes Frühwarnsystem auf, mit dem rechtzeitig Risiken im Markensystem erkannt werden können.

Zum Autor:

Wolfgang Schiller ist der führende Experte auf dem Gebiet des Brand Risk Managements. Er hat zuverlässige Prozesse und effiziente Tools entwickelt, wie man Marken proaktiv vor Risiken schützt.

In einem 2-tägigen Intensivseminar der Risk Academy unter dem Titel "Proaktives Risikomanagement von Marken" wird er mit vielen Praxisbeispielen aufzeigen, wie man Risiken, die zur Beschädigung des Kundenvertrauens und damit zur Beschädigung oder sogar dem Tod einer Marke führen können, in wertschöpfende Chancen umwandeln kann.

Die RiskNET -Redaktion sprach mit Wolfgang Schiller über das proaktive Risikomanagement von Marken.

RiskNET: Was soll man sich eigentlich unter einem proaktiven Risikomanagement von Marken vorstellen?

Wolfgang Schiller ist der führende Experte auf dem Gebiet des Brand Risk Managements. Er hat zuverlässige Prozesse und effiziente Tools entwickelt, wie man Marken proaktiv vor Risiken schützt. Schiller: Bei einem Risikomanagement von Marken geht es um die frühzeitige Entdeckung und zukünftige Vermeidung von Risiken, welche das Vertrauen der Kunden in die Markenleistung beschädigen oder sogar zerstören. Mit anderen Worten: Es geht um die Vermeidung des Verlustes von Kunden als zentrales Risiko für Unternehmen. Denn ohne Kunden, die ja als einzige in das Unternehmen einzahlen, kann kein Unternehmen bestehen.

RiskNET: Aber was hat eine Marke mit Kunden zu tun?

Schiller: Die Marke ist nicht das Unternehmen oder das Produkt. Die Marke ist zum einen eine Vorstellung, ein mentales Konstrukt, das keine Wirklichkeit außerhalb des menschlichen Geistes hat. Marken sind zum anderen aber an die Existenz eines konkret erfahrbaren  Produktes oder einer Dienstleistung  gebunden. Ihre Kraft entfaltet eine Marke dabei in den "Köpfen der Kunden". Denn nur, wenn es Unternehmen schaffen, ihre Unternehmensleistung in den Köpfen der Kunden so zu positionieren, dass diese von diesen auch gekauft wird, kann Wertschöpfung im Unternehmen entstehen. Dabei muss das Unternehmen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

RiskNET: Welche wäre das denn?

Schiller: Marken brauchen eine einzigartige Identität, damit sie sich von anderen Marken unterscheiden. Und sie müssen für ihre Kunden relevant sein. Diesen also einen individuellen Nutzen stiften. Und hier beginnen die Risiken in der Markenführung.

RiskNET: Was heißt das denn genau?

Schiller: Marken entstehen aus der Wirkung der Unternehmensleistung auf einen Stakeholder. Wenn sich die Unternehmensleistungen in Form von Produkten oder Dienstleistungen jedoch nicht von anderen Angeboten unterscheiden, können diese auch nicht von den potentiellen Kunden wahrgenommen und gekauft werden. Also, schon in der Gestaltung der Identität gibt es viele Risiken, die es unmöglich machen, dass eine starke Marke aufgebaut werden kann.

Das größte Risiko ist jedoch die Tatsache, dass viele Unternehmen vergessen die Bedürfnisse des Kunden in der Leistung der Produkte abzubilden und so einen Nutzen für die Kunden zu stiften und diesen auch wirksam kommunizieren.

RiskNET: Ist das die Ursache, warum viele Marken keine Bedeutung mehr für die Kunden haben und diese deshalb die Marke wechseln?

Schiller: Ja, denn geht der Nutzen verloren, geht auch der Kaufsinn verloren. Schaut man sich zudem heute die Markenwerbung an, nimmt eine falsch verstandene Emotionalisierung überhand. Das Ergebnis ist, dass man sich als Betrachter zwar unterhalten fühlt, aber nicht kauft. Und wenn, dann über den Preis. Und hier sind wir bei einem weiteren wichtigen Risikobereich in der Markenführung.

RiskNET: Spielt denn der Preis nicht eine herausragende Rolle beim Kauf von Markenprodukten?

Schiller: Der Preis hat eigentlich die Funktion die Qualität des Produktes für den Konsumenten transparent zu machen. Rabatte verschleiern dagegen die Qualität. Und "was nichts kostet, ist auch nichts wert", wie der Volksmund treffend formuliert. Marken kann man deshalb nicht mit einer Billigpreis-, sondern nur mit einer Leistungsstrategie, welche die nutzenorientierten Besonderheiten der Markenleistung markiert, aufbauen. Leider dominiert heute vielfach eine preisaggressive Informationspolitik, vor allem des Handels, die öffentliche Wahrnehmung. Der Schnäppchenjäger aber nicht naturgegeben, sondern hausgemacht.

RiskNET: Was können denn Unternehmen in ihrer Markenführung ändern?

Schiller: Die authentische Identität ihrer Marken kennen und vor allem ihre Leistungen auf die Erhöhung des Kundennutzens ausrichten. Dabei die Besonderheiten in einem unverwechselbaren, also selbstähnlichen Stil kommunizieren und sich mit den Kunden rückkoppeln. Dabei sollten sie ein verändertes Kommunikationsverständnis berücksichtigen, denn Marken kommunizieren an wesentlich mehr Touchpoints als bisher angenommen. Vor allem im B2B-Bereich spielt dabei der Vertrieb eine besonders große Rolle als Kommunikationsmedium, da er direkten Kundenkontakt besitzt.

RiskNET: Ist denn das Markensterben wirklich so dramatisch, wie aktuell in den Fachmedien geschildert?

Schiller: Ja, es ist sogar noch schlimmer, denn immer noch dominieren umsatzgetriebenes Kurzfristdenken und preisorientiertes Verkaufen und nicht die Nutzenvermittlung die Markenführung. Und, man muss es leider so sagen, herrscht immer noch ein fehlgeleitetes Markenverständnis und mangelndes Wissen über Risiken in der Markenführung vor.

RiskNET: Was bedeutet das für das Risikomanagement im Unternehmen?

Schiller: Im Risikomanagement von Marken herrscht immer noch eine große Sicherheitslücke, denn das klassische Risikomanagement beschäftigt sehr stark mit finanziellen Risiken, Produktionsausfallrisiken oder IT-Risken, die über mathematische Modelle berechnet werden können. Risiken in lebenden Systemen, wie es Marken sind, kann man jedoch nicht berechnen, sondern nur einschätzen. Die Basis bildet zum einen ein Risikoatlas und zum anderen die Identität der jeweiligen Marke. Auf dieser Basis habe ich ein Frühwarnsystem und Instrumente zur risikoarmen Führung von Markensystemen entwickelt, die erfolgreich in der Praxis eingesetzt werden. Die Unternehmen können damit frühzeitig  Risiken evaluieren und proaktiv Risken vermeiden.

RiskNET: Wo lauern denn die meisten Risiken?

Schiller: Marken sind vielen Risiken ausgesetzt. Das fängt bei der rechtlichen Eintragung des Markennamens oder Markenzeichens an. Auch Plagiate können das Vertrauen in die Originalmarken beschädigen. Zu starke Nachahmung des Wettbewerbs bei der Entwicklung und Gestaltung der Produkte, ein zu schneller Innovations-Rhythmus, Rabatte, Zeitgeistelemente im Design und der Werbung oder nicht zur Kultur der Marke passende Handelspartner oder Distributoren sind weitere Risiken. Doch das größte Risiko liegt im Unternehmen selbst: es sind die Mitarbeiter. Ist denen nämlich die Identität und das Erfolgsmuster der Marke in ihrem Arbeitsbereich nicht bekannt, kann es zu folgenschweren Fehlhandlungen kommen. Denn Marken werden im wesentlichen durch Managementfehler beschädigt oder zerstört.

RiskNET: Was können denn Unternehmen dagegen tun?

Schiller: Die Identität der Marke und das darin liegende Vertrauensmuster explorieren und ein kontinuierlich arbeitendes Frühwarnsystem in der Controllingabteilung mit dem Ziel implementieren, die Selbstähnlichkeit der Marke an all ihren Kontaktpunkten zu gewährleisten.

[Die Fragen stellte Frank Romeike, Chefredakteur des Kompetenzportals RiskNET]

[ Bildquelle Titelbild: Rawpixel / Fotalia.com ]
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