Wie die Europäische Zentralbank unser Geld zerstört

Wehrt euch, Bürger!


Markus C. Kerber: Wehrt euch, Bürger! Wie die Europäische Zentralbank unser Geld zerstört, FinanzBuch Verlag, München 2015, 128 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 978-3-89879-925-6. Rezension

Um die europäische Schuldenkrise zu lindern, pumpte die Europäische Zentralbank (EZB) in den vergangenen Jahren immer mehr Geld in die Märkte, kaufte Staatsanleihen auf und ließ sich die Bankenaufsicht übertragen. Seit Jahren steht die EZB hinsichtlich ihrer Aktivitäten in der Kritik. Experten diskutieren über die Frage, ob die EZB Anleihen von Euro-Krisenländern kaufen darf? Ja, sagt der Europäische Gerichtshof. Der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn sieht hingegen in dem Urteil einen "bedauerlichen Fehler des Gerichts". Auch sein designierter Nachfolger Clemens Fuest schlägt in die gleiche Kerbe und kritisiert die Entscheidung und verweist darauf, dass das Anleihekaufprogramm ein Rettungsprogramm der EZB für die hoch verschuldeten Peripheriestaaten sei. "Das ist Fiskalpolitik und keine Geldpolitik", ergänzt Fuest.

Euroskeptiker Markus C. Kerber, Jurist und Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, zählt zu den kritischen Beobachtern der EZB und sprach erst kürzlich im Kontext der EZB-Politik von "Konkursverschleppung" bei griechischen Banken und einer "entgrenzten Institution am Rande der Kriminalität."

Kerber, ist in der Öffentlichkeit nicht zuletzt dadurch bekannt geworden, dass er vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof gegen die EZB klagte. Er scheut auch keinen kritischen Dialog mit den EZB-Akteuren. So erhielt Danièle Nouy, Chefin der EZB-Bankenaufsicht (Single supervisory mechanism) Anfang April ein sechsseitiges Schreiben per Gerichtsvollzieher zugestellt. Kerber hatte Nouy um eine Stellungnahme gebeten, warum sie nicht gegen die Nothilfeprogramme (Emergency Liquidity Assistance, ELA) der EZB für griechische Banken vorgehe. Denn die vier größten Banken des Landes seien im Grunde insolvent, weshalb die EZB den Umfang der Nothilfeprogramme nicht immer weiter ausdehnen dürfe. Schließlich halte sie auf diese Weise die Geldhäuser lediglich künstlich am Leben. Das sei jedoch nichts anderes als "Konkursverschleppung", was strafbar sei. Möglich sei dies nur, weil die EZB sowohl für die Geldpolitik als auch für die Bankenaufsicht zuständig sei. Nach Ansicht von Kerber und vielen anderen Experten ein massive Interessenkonflikt. "Wird man vom EZB-Präsidenten erwarten dürfen, dass er die finanzielle Lage der griechischen Komponente des Eurosystems schonungslos offenlegt, nachdem er in London 2012 lauthals verkündet hatte, alles Nötige zu tun, um den Euro zu verteidigen? Darf man realistischerweise von Frau Nouy erhoffen, dass sie, entsprechend ihrem eigenen Anspruch, »unvoreingenommen und streng« ihres Amtes als Bankenaufseherin waltet und mit Argusaugen nicht nur die griechischen Banken unter die Lupe nimmt, sondern deren Zustand so realistisch beschreibt, dass die EZB infolgedessen die ins Kraut schießenden ELA-Kredite stoppt?", fragt Kerber.

Vor wenigen Wochen folgte ein Brief an den Präsidenten der EZB. Dort wirft er der EZB eine "Verschleierung der wahren Situation der griechischen Banken" vor. "Das Unterlassen des SSM unter französischer Verantwortung hat zum Ziel, die griechischen Banken zum »Naturschutzpark« zu erklären", schreibt Kerber. Er droht daher auch mit einer Klage vor dem europäischen Gerichtshof, "die auch die persönliche Haftung der Leiter der Europäischen Zentralbank zum Gegenstand haben müsste".

Hinzu kommt, dass die EZB immer mehr Funktionen wahrnimmt, ohne hierfür ausreichend demokratisch legitimiert zu sein. Kerber: "Mario Draghi prägt, im Unterschied zu seinem Vorgänger Trichet, mit seiner autoritär-dynamischen Gangart einen neuen Stil in der Währungsunion. Der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausgebildete Ökonom, früher bei Goldman Sachs tätige Investmentbanker und verdienstvolle Stabilitätspolitiker in Italien, insbesondere als Direktor des Schatzamtes, bemüht sich nur dann um Konsens, wenn er eine Chance sieht, dass sich alle ihm anschließen."

Die europäische Zentralbank sei daher auf dem Weg zu einem "souveränen Diktator", der Sonderrechte nach Belieben ausweiten, verändern oder auch beenden kann. In diesem Kontext bewertet der streitbare Autor die Käufe von Staatsanleihen seitens der EZB als "Verzweiflungsakt". Und er stellt die kritische Frage, ob es sich nicht um verbotene Staatsfinanzierung handelt, wenn die Notenbank bis September 2016 rund ein Viertel aller umlaufenden Euro-Staatspapiere mit zwei bis 30 Jahren Laufzeit im Portfolio halten werde. Den Deutschen einst als neue und bessere Bundesbank verkauft, ist die EZB zu einer Gefahr für das gesamte Finanzsystem geworden. Denn für sie gelten besondere Gesetze oder gar keine.

Für den streitbaren Wissenschaftlicher ist die EZB eine Quelle der Instabilität. Angesicht der Nullzinsen sei ein Aufbau einer privaten Altersvorsorge unmöglich geworden. Die Geschäftsgrundlage der Kapitallebensversicherung ist bei einer Nullzinspolitik nicht mehr existent. Bürger werden durch eine sogenannte "Finanzielle Repression" langsam enteignet und in die Altersarmut geführt, so Kerber. Allein die Zinsverluste zwischen 2010 und 2014 summieren sich auf 1.400 Euro pro Bürger oder 112,5 Milliarden Euro insgesamt. Die EZB-Politik "trifft also – bestens verschleiert – die Kleinen und Schwachen" und wirft für eine alternde Gesellschaft gravierende Fragen auf. Parallel befeuert die EZB als Konsequenz ihrer Politik die Blasenentwicklung in bestimmten Märkten, etwa im Immobiliensektor. Die "dauerhafte Nullzinspolitik" ist zu einer "Quelle der Finanzinstabilität geworden", ohne das eine Abkehr absehbar wäre.

Fazit: Man muss nicht allen Argumenten des Autors folgen. Dennoch liefert die Streitschrift lesenswert und liefert viele Hintergrundinformationen und Argumente für eine kritische Sicht auf die Politik der EZB.

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