Kein Ende der Krise?

Werden "Risk Managers" zu "Risky Managers"?


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Die Finanzkrise nahm ihren Anfang in den USA. Bei der Analyse der Ursachen werden gemeinhin Friktionen im Wertschöpfungsprozess, Mängel im Risk Management der Kapitalmarktakteure und generell eine unzureichende Risikokultur angeführt. Die Autoren wählen einen anderen Ansatz. Sie stellen die politischen Verhältnisse in den USA in den Fokus. Ihre These: Alle Marktteilnehmer haben sich rational innerhalb der staatlich gesetzten Rahmenbedingungen verhalten. Nicht der Markt hat versagt, sondern die Krise wurde durch staatliche Interventionen verursacht. Das Fatale: Diese Mechanismen wirken weiterhin.

Wie bei jeder Krise so werden auch bei der jetzigen Schuldige gesucht und schnell gefunden. Aktuell führen Wall Street Banker, Private Equity und Hedge Fund Manager die Liste an. "Risk Managers" werden zu "Risky Managers" umbenannt, da diese Berufssparte nach landläufiger Meinung eigenhändig Vermögen in Billionenhöhe vernichtete, private Anleger täuschte, verführte und gleichzeitig hohe Boni verdiente. Bevor jedoch Schuldzuweisungen erfolgen, müssen Ursachen und Treiber der Krise genau bekannt sein. Es ist nämlich fraglich, wie die USA von einer anscheinend stabilen Wirtschaftslage in diese Krise kam und wie sich Probleme im Marktsegment zweifelhafter Hypothekenforderungen zu einer internationalen Finanzmarktkrise ausweiten konnten.

Die Krise der Krisen

In vieler Hinsicht ist die gegenwärtige Krise Folge falscher Handhabungen vergangener Krisen. Die aus Asien-, Russland-, LTCM- und Technologieaktienmarktkrise resultierenden Probleme wurden lediglich überspielt, aber nie fundamental und langfristig gelöst. Eine wirkliche Lösung bedingt, dass Marktkräfte voll wirksam werden, so dass eine Neuorientierung der Kapitalflüsse zu einem tragfähigen, nachhaltigen und langfristigen Wachstum führen kann.

Die umgesetzten "Pseudo-Lösungen" dagegen hatten drei Konsequenzen: Erstens wurden gelernte Lektionen schnell wieder vergessen. Anstatt elementare Konsequenzen auf Basis realistischer  Ursachenanalysen zu ziehen, wurden die künstlich überwundenen Schocks als belanglos eingestuft. Zweitens verdeutlichten die vergangenen Krisensituationen keine Bereitschaft der Regierung, notwendige Anpassungen mit allen Konsequenzen umzusetzen. Vielmehr wurde auf Grund staatlicher Maßnahmen die Volkswirtschaft auf den Weg in weitere, nicht tragfähige Wachstumsrunden geschickt, an deren Ende die nächste Krise wartete. Drittens zeigte die Reaktion der Behörden auf die von Banken und Hedge-Fonds ausgehenden systemischen Risiken allen größeren Institutionen unmissverständlich an, dass sie nichts von zukünftigen Krisen zu befürchten haben, da bei ernsthaften Problemen staatliche Rettungsaktionen folgen.

Das Platzen der Technologiepreisblase führte im Jahre 2000 in den USA zu einer Vernichtung von Aktienmarktwerten in Höhe von 7.000 Mrd. US-Dollar. Im Vergleich dazu werden in der aktuellen Krise die Verluste im privaten Immobilienmarkt auf rund 4.000 Mrd. bis 5.000 Mrd. US-Dollar geschätzt. Jetzt müssen Banken hohe Verluste ausweisen, die als Folge ihre Insolvenz oder die Aufgabe ihrer Selbständigkeit haben. Der Unterschied zwischen den beiden Krisen liegt darin, dass Investitionen im Aktienmarkt überwiegend mit Eigenkapital finanziert werden. Nebenwirkungen auf den Finanzsektor sind hier eher gering. Bei der aktuellen Krise stellt die Fremdfinanzierung den Verstärker und die Brücke zum Finanzsektor dar.

Die US-Regierung befürchtete nach den Wertvernichtungen im Aktienmarkt und den Geschehnissen vom 11. September eine Rezession und verfolgte während der folgenden drei Jahre eine "entgegenkommende” Geld- und Fiskalpolitik. Die US-Notenbank FED senkte den Leitzins von 6,25 Prozent im Januar auf 1,75 Prozent per Ultimo 2001 und dann auf ein Prozent im Jahr 2003. Diese Niedrigzinspolitik wurde umgesetzt, obwohl ein wirtschaftlicher Aufschwung seit November 2001 zu verzeichnen war. Erst im Juni 2004 erhöhte die FED den Zinssatz in 25-Basispunkt-Schritten bis zum August 2006 auf 5,25 Prozent. In diesem Zeitintervall wurde das Fundament für die jetzige Krise gelegt.

Schneller Reichtum einmal anders

Das Kreditgeschäft ist von Natur aus risikoreich. Risikoreichere Geschäfte sind aber oft ertragreichere Geschäfte, die die Kapitalbasis auch im Interesse der Einlagenkunden stärken. Das Risiko wird allerdings bei niedrigen Zinsen und vor al len Dingen bei künstlich niedrig gehaltenen Zinssätzen noch erheblich erhöht. Da der Erwerb von Immobilien zum größten Teil durch Kredite finanziert wird, führen niedrige Zinssätze zu einer Nachfrageerhöhung. Da der Immobilienbestand kurzfristig konstant ist, kommt es nicht nur zur erhöhten Nachfrage nach Neubauten, sondern auch zu höheren Preisen für den gegenwärtigen Immobilienbestand.

Vor dem Hintergrund steigender Immobilienpreise und offizieller Aussagen, die weiter steigende Immobilienpreise auf Grund fundamentaler Gegebenheiten prognostizierten, entschieden sich viele Haushalte, ihre Investments in Richtung Immobilien zu lenken. Die Immobilienanlagen sollten somit den bei Technologieaktien geplatzten Traum des "schnellen Reichtums" ersetzen.
Dieser einfache Tatbestand wurde von den meisten Marktteilnehmern übersehen. Dabei bestätigte die OECD in vielen Länderstudien den Zusammenhang zwischen expansiver Geldpolitik und dem Ausmaß des Preisanstieges im Immobiliensektor. Als die FED die Zinssätze anhob, kam es zum Platzen der Immobilienpreisblase und zog die gesamte Bankenwelt mit sich, da sie entweder direkt oder indirekt in Immobilienfinanzierungen involviert war.

Spezielle amerikanische Faktoren verstärkten den Zusammenbruch. So entwickelte der Markt für Wohnungsbaudarlehen innovative Finanzierungsformen, die sich nach den individuellen "Bedürfnissen" der Kreditnehmer orientierten. Zins- und Tilgungsleistungen wurden an aktuelle und künftige "Belastbarkeiten" der Kreditnehmer gekoppelt. Auch die enorme Ausweitung der Kreditvergabe an mehr oder weniger dubiose Kreditnehmer, die Subprime Hypotheken, führten auf Seiten des Bankensektors und der Haushalte zu überzogenen und leichtfertigen Risikoübernahmen.

Die utopischen Erwartungen von steigenden Immobilienpreisen und Einkommen ermöglichten es den Haushalten, Immobilien mit minimalem oder sogar ohne Eigenkapital zu erwerben. Eine Verschlechterung der Rahmendaten wurde weder erwartet, dokumentiert noch simuliert. Vielmehr konnten Hausbesitzer die durch Preissteigerungen der Immobilien angefallenen Gewinne per Refinanzierung realisieren. Allein in den Jahren 2005 und 2006 wurden rund 850 Mrd. US-Dollar an "Eigenkapital" entnommen und für Konsumzwecke verwendet. Damit blieb der Fremdfinanzierungsgrad der Hypotheken auch nach langjährigem Immobilienbesitz und trotz Preissteigerungen hoch.

Die durch Refinanzierungen ermöglichten Entnahmen von Eigenkapital führten zu einer Konsumnachfrage, die nicht durch inländische Produktionssteigerungen befriedigt werden konnte. Als Folge wuchs das Handelsbilanzdefizit von 2 Prozent im Jahr 1998 auf 7 Prozent des  Bruttosozialproduktes im Jahr 2006. Gleichzeitig erhöhten sich die Importe – vor allen Dingen aus China und anderen asiatischen Ländern.

Überall Gewinner

Die Weltweltwirtschaft erlebte in den Jahren 2001 bis 2007 den größten synchronisierten Aufschwung in der Geschichte des Kapitalismus. Nahezu sämtliche Preise für Anlagegüter stiegen: Immobilien, Aktien, Rohstoffe, Kunst und selbst festverzinsliche Staatspapiere. Die FED erkannte in dieser Entwicklung keine Gefahr einer Preisblase. Alle Beteiligten der Wertschöpfungskette profitierten von diesem Aufschwung: die Gutachter für die Bewertung von Immobilien ebenso wie die Kreditnehmer und die Kreditgeber, die Arrangeure von Kreditpositionen zu einem Pool von Forderungen, die Ratingagenturen ebenso wie über höhere Steuereinnahmen die öffentliche Hand auf Gemeinde-, Länder- und Bundesebene. Die Geschäfts- und Investmentbanken erzielten Rekordgewinne mit der Strukturierung von verbrieften zweitrangigen Hypothekenforderungen und deren Verkauf an Investoren. Die realisierten Gewinne bestätigten sämtliche Marktteilnehmer in ihrer Auffassung, dass es sich hier in der Tat um eine langfristige mehrwertschaffende Strategie handelte.

Als die Immobilienpreise stagnierten und anfingen zu fallen, erzeugte die staatliche Wohnungspolitik anstelle der Realisierung des "American Dream" einen Alptraum. Hypotheken in Billionenhöhe finanzierten Hauseigentum mit geringem, keinem oder negativem Eigenkapital. Die Einstellung von Zinszahlungen und Zwangsvollstreckungen waren die Folgen. Da der Verlust der Kreditnehmer auf eingebrachtes bzw. noch vorhandenes Eigenkapital beschränkt ist, wurden enorme Verluste auf Finanzinstitutionen übertragen, die zu dramatischen Reaktionen an den Finanzmärkten führten.

Steuerliche Fehlanreize

Abgesehen von den künstlich niedrig gehaltenen Zinsen, waren weitere Faktoren für die Immobilienpreisblase verantwortlich. Hauseigentum wird, im Gegensatz zur Miete, in den USA steuerlich subventioniert. Zum einen sind Hypothekenzinsen und lokale Grundsteuern bei der Einkommensteuer abzugsfähig. Zum anderen ist ein Eigenheim das einzige Anlagegut mit einem Freibetrag in Höhe von 500.000 US-Dollar zum Zeitpunkt der Veräu ßerung für die Berechnung von Kapitalertragsgewinnen. Durch die Subventionierung werden die wirklichen Kosten des Hauseigentums unterbewertet. Weiter verlangen die meisten Gerichtsbezirke, dass Hypotheken in Form von "Non-Recourse"-Krediten vergeben werden müssen. Bei Zwangsvollstreckungen können damit lediglich die mit Krediten finanzierten Güter veräußert bzw. verpfändet werden. Diese Form von Hypothekendarlehen spielt bei der sozialen Absicherung von Familien und als Baustein zur Verwirklichung des "American Dream" eine bedeutende Rolle. Diese Kreditform hat zwei ökonomische Konsequenzen.

Zum einen erlaubt sie Kreditnehmern Eigenheime mit minimalem Risiko zu erwerben, solange Hypotheken keine oder nur minimale Anzahlungen verlangen. Zum anderen ist es für Kreditnehmer ökonomisch sinnvoll, Zinszahlungen einzustellen, wenn die Immobilienwerte unter den Restwerten der Hypotheken liegen.

Eine weitere Besonderheit stellt der Community Reinvestment Act dar. Diese Gesetzgebung existiert seit den siebziger Jahren und wurde sowohl während der Clinton- als auch der Bush-Administration kontinuierlich erweitert. Von Banken wird verlangt, dass ein gesetzlich festgelegter Mindestbetrag des Kreditportefeuilles in Form von Hypotheken an sozial schwache, lokale Kreditnehmer vergeben werden muss. Jede US-Regierung hat die Realisierung des "American Dream" in der Form des Immobilieneigentums angeregt, unterstützt und zum nationalen Ziel erklärt. Somit werden Banken staatlich angehalten, Kredite an extrem risikoreiche Haushalte zu vergeben, die sie in einem freien Markt nicht vergeben würden.

Die Bank, Ausgabe 06/2010Lesen Sie den kompletten Text in "Die Bank", Ausgabe 5/2010 [Stephan Schoess/Thomas Beilner: Kein Ende der Krise?, in: die bank, Ausgabe 5/2010, S. 14-21.]


Autoren:
Dr. Stephan Schoess ist Chef-Ökonom der Options Clearing Coopartion in Chicago. Dr. Thomas Beilner ist Lehrbeauftragter für Finanzmarkttheorie an der Universität Erfurt. Die Ausführungen geben die persönlichen Meinungen der Autoren wieder.


Wir danken der Bank-Verlag Medien GmbH für die freundliche Genehmigung den Text in Auszügen den Lesern des Portals RiskNET zur Verfügung zu stellen.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Marc /25.05.2010 19:10
Sehr guter Text, der endlich mal die Rolle der Politik im Zusammenhang mit der Finanzkrise fundiert darlegt. Der Text sollte zur Pflichtlektüre für alle Politiker werden, die heute so schlau über die Regulierung der Banken reden und auf Stammtischniveau immer neue Ideen haben, wie man die bösen Investmentbanker und Hedgefunds an die Kette legen kann ...
Markus /25.05.2010 23:06
@ Marc

Bin gerade vom Stammtisch zurück.... ;-))) Also:

1. Ja, die Politik der US-Administration in den Folgejahren der Dot-Com-Blase und nach dem 11. September war die Brutstätte der heutigen Krise.
Niedrigzins-Politik geleitet durch eine falsche Ideologie
2. Die bösen Banken, usw. sind aber sehr kalkulierend an das Problem herangegangen.
Kreditderivate gibt´s schon ein bissl länger als anno 2004.

3. Jetzt wird´s interessant:
Die Finanzwelt ist sehr stark miteinander vernetzt, durch automatisierte Handelssysteme und zum Teil auch Risikosysteme!!!
Fallen nun einige Kredite(echte Kredite!!) in CDOs aus, wird folgender Mechanismus aktiv: Margin Calls...aufgrund des schlechteren Ratings der Tranche.

Diese Margin Calls zwingen Banken(Lehman, usw.), Hedgefonds (Citadel, und andere) Geld zu beschaffen, egal woher,. So läuft das Geschäft

Startet nun ein Fond seine Positionen massiv und rasant zu liquidieren, reagieren die anderen Systeme mit entsprechenden Verkaufsordern. Ein selbstverstärkender Prozess beginnt.

Folge: die Liquidation systemkritscher Banken hat immer starke Schwankungen zur Folge.

Die Frage ist nun, wie MANN dieses Problem angeht:

Würden Hedgefonds, Banken usw. eine höhere Kapitaldecke aufweisen, könnten Sie auch Phasen höherer Volatilität überstehen, ohne zusätzlich für Turbulenzen am Markt zu sorgen.

Darum EK-Quote von 25% und mehr, nicht EK-Rendite, Josef

Alleine diese Maßnahme zwingt Fonds usw. zum De-Leveragen, also ihre Hebel abzubauen.

Folglich wird die Marge der Banken usw. sinken, also fährt man massiv die Lobby-Schiene, in der man alle Regulierung schlecht redet.

Zusätzlich sollte man sich bei neuen Geschäften wieder mehr um Risikoeinschätzungen kümmern und die bislang schleichende Auslagerung an Ratingagenturen reduzieren.

Die Politik könnte ja auch Gesetzte erlassen, die Banken dazu verpflichten auf alle Ratings zu scheißen. Das würde was bringen.... Eigeninitiative ....

Gerade weil die Möglichkeit bestand sich mit CDS-Papieren gegen beliebige Ausfälle abzusichern, wurde häufig und gerne davon Gebrauch gemacht.

Ist ja Triple-A, passt schon....hmmhmh

Und gerade weil es solche Pappenheimer, Spontan-Wiwis in Landesbanken und sonst wo gab, gab es auf der anderen Seite Leute wie Paulson, die systematisch Wetten gegen diese CDO-Tranchen eingingen.

Und oh Wunder oh Wunder, weil man sich die einzelnen Kredite und Strukturen genauer angeschaut hat, stellt man fest, dass sie hoffnunglos überbewertert waren. Folge: Margin Calls an die Triple-A-B-Käufer, Korrelations-Arbitrage........

Darum : EK-Quote hoch, Märkte regulieren, Gegenparteirisiko minimieren durch offene transparente Märkte für CDS-CDO und andere Neck-Breaker-Derivate und Leitzins hoch, war ja des Pudels Kern !!!

Gruß vom Stammtisch
Markus /25.05.2010 23:09
Neuordnung der Finanzwelt geht am besten mi neuen Lizenzen, mein persönlicher Favorit...

Also neue LIZENZEN, braucht das Land: LIZENZEN
Petra /29.05.2010 22:19
Ein ganz wesentlicher Punkt wird bei der Analyse ausgeblendet. Die Deregulierung der Banken durch die Politik basiert auf einer massiven und jahrzehntelangen Lobbyarbeit der Banken (vor allem in den USA, aber auch in der EU). Das geht soweit, dass Ex-Vorstandsmitglieder aus dem Privatbankenbereich in die Politik und zur Zentralbank gewechselt sind etc.
Nun die Politik für alles verantwortlich zu machen, ist mir etwas zu einfach ...
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