Mit einer riskanten Wette auf VW-Aktien hat die WestLB rund 100 Mio. Euro verloren. Bei den Mitarbeitern macht sich Unruhe breit: Wie konnte es zu einer solchen Fehlspekulation kommen? Erinnerungen an die schlechten alten Zeiten werden wach. Thomas Fischer kann reden. Rhetorisch kann dem WestLB-Chef kaum ein Unternehmensführer in Deutschland das Wasser reichen. Das weiß Fischer. Und deshalb redet er gerne. Normalerweise jedenfalls.
Auf der Bilanzpressekonferenz vor knapp zwei Wochen hielt Fischer seine rhetorischen Fähigkeiten allerdings im Zaum. Bei der Prognose für das Geschäftsjahr 2007 gab er sich ungewohnt wortkarg. "Das laufende Jahr wird deutlich anspruchsvoller als 2006", sagte der Banker lediglich. Die Stimmung an den Kapitalmärkten sei nervöser geworden, es bestünden erhebliche konjunkturelle Risiken.
Vorsichtige Prognose
Zwar hatte sich Fischer (Bild) auch vor einem Jahr mit einem Ausblick für das Geschäftsjahr 2006 zurückgehalten. Doch diesmal könnte sich die Vorsicht als äußerst weitsichtig erweisen: Seine Bank hat im März binnen wenigen Tagen rund 100 Mio. Euro durch Fehlspekulationen im Aktienhandel verloren - und die Verluste könnten sich noch deutlich ausweiten. "Jetzt wird langsam klar, warum Fischer nur so eine dürftige Prognose geben wollte", sagt ein WestLB-Manager. Fischer, so seine Vermutung, müsse zum Zeitpunkt der Pressekonferenz bereits informiert gewesen sein.
Bedrohlich ist der Fehlschlag für die Bank nicht. Die Ratingagentur Fitch hat erklärt, die Bank könne einen Verlust von 100 Mio. Euro verkraften. Das Minus schmerzt allerdings gewaltig. Und es kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die WestLB bietet gerade mit für die Landesbank Berlin (LBB).
Große Pläne
Damit will das Institut sein Profil stärken, will zeigen, dass es auf dem deutschen Bankenmarkt eine tonangebende Rolle spielt. Noch rätseln Beobachter, woher die WestLB das Kapital für den Kauf nehmen will. Der Preis für die LBB soll zwischen 4 und 6 Mrd. Euro liegen. Außerdem will Fischer in diesem Jahr bei der Sachsen LB, der schwächsten deutschen Landesbank, einsteigen. Große Pläne also. Stattdessen nun: ein Fiasko im eigenen Haus.
Ein Team um den langjährigen WestLB-Mitarbeiter Markus Bolder, Executive Director im Aktienhandel, war eine riskante Wette eingegangen: Es hatte darauf gesetzt, dass die Kursdifferenz - der sogenannte Spread - zwischen Stamm- und Vorzugsaktien des Automobilkonzerns VW 30 Euro oder weniger betragen würde. Stammaktien sind im Gegensatz zu Vorzugsaktien mit Stimmrechten ausgestattete Papiere. Die WestLB-Händler rechneten damit, dass der Kurs der Stammaktien sinken würde. Sie kauften daher Vorzugsaktien und verkauften Stammaktien leer -
das heißt, sie liehen sich die Stammaktien, beispielsweise von Fonds und anderen Banken. Das Institut profitierte dadurch von einem fallenden Kurs der Stämme, da es sich anschließend wieder günstiger mit den Papieren am Markt eindecken konnte um sie dem "Verleiher" zurückzugeben.
Das Spiel ging lange auf, doch am 24. März kündigte Porsche an, seinen Anteil an VW-Stammaktien von 27,2 auf 31 Prozent aufzustocken. Der Kurs der Vorzugsaktien rutschte daraufhin stärker ab als der der Stammaktien. Die Kursdifferenz erhöhte sich am 26. März auf 37 Euro. Die WestLB verlor dadurch - zumindest auf dem Papier - einen dreistelligen Millionenbetrag. Realisiert ist dieser Verlust offenbar noch nicht. Dem Vernehmen nach besitzt die Bank nach wie vor VW-Vorzugsaktien, deren Kursentwicklung abzuwarten bleibt.
Ungewöhnlich hoher Einsatz
Wetten auf die Differenz zwischen zwei Aktiengattungen sind nicht ungewöhnlich. Auch andere Banken mögen diese Strategie, die sogar Kleinanlegern angeboten wird: So hat die LBB erst Anfang März ein Zertifikat herausgebracht, das ebenfalls auf eine sinkende Differenz zwischen VW-Stämmen und Vorzügen abzielt.
Ungewöhnlich war bei der WestLB indes die Höhe des Einsatzes: In Händlerkreisen heißt es, die Bank habe jeweils mehrere Millionen Vorzugs- und Stammaktien gehalten. "Es ist schon länger bekannt, dass da eine Bank eine Riesenwette eingeht", sagt ein Händler. "Seit Mitte November beobachten wir, dass die Umsätze in Stamm- und Vorzugsaktien von VW abends in der Schlussauktion teilweise doppelt so hoch sind wie über den Tag." Es seien dabei ungewöhnlich große Stückzahlen gehandelt worden.
Montag vergangener Woche zieht die WestLB schließlich hektisch Konsequenzen. Sowohl Bolder als auch sein Chef, der Co-Head Global Markets Friedhelm Breuers, müssen ihren Platz räumen. Der Vorstand ruft Führungskräfte aus dem Osterurlaub zurück, um Verantwortlichkeiten neu zu verteilen. Dem Rest der Belegschaft wird der Abgang der beiden Führungskräfte via Intranet mitgeteilt. Floskeln wie "einvernehmlich" oder "mit Bedauern", die bei unerwarteten Abgängen sonst üblich sind, fehlen. Bei der mündlichen Verkündung im Handelssaal der Bank wird Breuers noch kurz für seine Arbeit gedankt, Bolder nicht.
Offiziell heißt es aus der WestLB, dass die beiden schon einmal wegen einer Überschreitung ihrer Handelslimits abgemahnt worden seien. Die Kündigung sei die Konsequenz einer zweiten Überschreitung gewesen - vermutlich der VW-Geschäfte.
Unruhe unter den Mitarbeitern
Die Unruhe im Haus ist nun groß. Die Mitarbeiter suchen nach Erklärungen: Sind Breuers und Bolder Opfer ihrer Gier oder Bauernopfer? Wusste die Chefetage von den riskanten Geschäften und hat sie toleriert? Oder ist der Verlust Folge des starken Drucks, der auf den Eigenhändlern lastet?
Es ist bekannt, dass Händler aller Banken unter Zugzwang stehen. Die Märkte laufen gut, die Vorstände erwarten exzellente Geschäfte. Zudem winken bei Erfolg hohe Bonuszahlungen. Jemand wie Bolder könnte so bis zu 1 Mio. Euro verdient haben, schätzen Finanzkreise - auch Gier scheidet somit als Motiv für riskante Geschäfte nicht aus. Interessantes Detail: Sowohl Bolder als auch Breuers haben trotz ihrer möglichen Verstöße gegen interne Handelslimits Ende März noch ihre Boni kassiert.
Die WestLB ist noch stärker als andere Institute auf ein gutes Handelergebnis angewiesen. Im vergangenen Jahr trug es 429 Mio. Euro zum Konzernergebnis von 1,006 Mrd. Euro bei - und war damit ein größerer Posten als der Provisionsüberschuss von 325 Mio. Euro. Aus der Bilanz ist zwar nicht ableitbar, wie groß der Anteil des Eigenhandels am Handelsergebnis ist. Kenner gehen aber von einer zentralen Bedeutung aus.
Seit dem Wegfall der Gewährträgerhaftung 2005 - bis dahin sprang der Staat bei Schieflagen ein - versuchen sich die Landesbanken so zu positionieren, dass sie bei der anstehenden Konsolidierung nicht unter die Räder kommen. Besonderes Augenmerk fällt dabei auf die einst so mächtige WestLB. Obwohl das Institut nach den Jahren 2002 und 2003 keine Verluste mehr geschrieben hat, zweifeln einige Ratingexperten nach wie vor an der Nachhaltigkeit der Erträge. In den vergangenen Jahren haben immer wieder Sondereffekte das Ergebnis positiv beeinflusst, operativ dagegen verdient das Institut vor allem auf dem Heimatmarkt Deutschland eher mittelmäßig. Noch ist vielen in der Branche nicht klar, welche Rolle Fischer seinem Haus für die Zukunft zugedacht hat.
Hoher Erfolgsdruck
Mitarbeiter geben an, dass der Erfolgsdruck deutlich zugenommen habe. Breuers habe in den vergangenen zwei Jahren die Botschaft "Geld verdienen oder gehen" vermittelt, berichten sie. Bolders Team, zu dem sechs bis acht Händler gehörten, hatte scheinbar grünes Licht für besonders risikoreiche Geschäfte bekommen. "Bolder und seine Leute durften alles machen, womit Geld zu verdienen war", erzählt ein Kenner der Gruppe. Sie hätten auch Strategien fahren dürfen, die normalerweise nur risikofreudige Hedge-Fonds nutzen. Lange Zeit war die Truppe damit sehr erfolgreich: Insider schätzen, dass Bolders Team der Bank im Jahr 60 bis 70 Mio. Euro einbrachte.
Im Fall VW ist es danebengegangen. Warum der Vorstand die drohenden Verluste nicht früher bemerkt hat - und ob das überhaupt möglich war - ist noch ungeklärt Fischer, dem für das Risikocontrolling zuständigen Vorstand Matthijs van den Adel und Werner Taiber, der den Eigenhandel verantwortet, werden täglich Listen mit den "Values at Risk" - den offenen Risikopositionen - zur Abzeichnung vorgelegt. "Sobald der Missstand erkennbar war, wurden die Konsequenzen durch die Kündigung der beiden Mitarbeiter gezogen", heißt es nun aus der WestLB. Auch die Ratinagentur Fitch hat nach Bekanntwerden des Wettdebakels erklärt, dass die Bank ihr Risikomanagement in den vergangenen drei Jahren verbessert habe. Sie formuliert jedoch auffällig zurückhaltend: Der Verlust zeige "nicht notwendigerweise Schwächen im Risikomanagement".
Manch außenstehender Banker fühlt sich bereits an die schlechten alten Zeiten der WestLB erinnert. "Das hatten wir alles schon einmal", sagt ein Landesbanker, "mir schwant nichts Gutes." Die WestLB, die unter ihrem Ex-Chef Friedel Neuber im Ruf stand, als politisches Instrument missbraucht zu werden, war 2002 und 2003 in eine erhebliche Schieflage geraten. Sowohl Neuber als auch sein Nachfolger Jürgen Sengera wollten die Bank zu einer weltweit agierenden Groß- und Investmentbank ausbauen - und scheiterten.
Welche Krise nun nach den Millionenverlusten durch die VW-Spekulation der WestLB droht, ist offen. Fraglich ist allerdings, ob Thomas Fischer noch zu der Botschaft steht, die er auf der Bilanzpressekonferenz verkündet hat. "Die WestLB", so der Bankchef vor zwei Wochen, "macht wieder Spaß." Da war die Rhetorik dann doch kurz übermächtiger als die Vorsicht.
[Quelle: Financial Times Deutschland/FTD, vwd; Bildquelle: WestLB]