Ike war der schadenträchtigste Hurrikan des Jahres 2008. Seine große geografische Ausbreitung und die Folgen der dramatischen Sturmflut in Küstennähe stellten zeitnahe Schadenschätzungen vor beträchtliche Herausforderungen. Nach den relativ gemäßigten Jahren 2006 und 2007 war die Hurrikansaison 2008 wieder ein Jahr der Extreme, welches die erhöhte Warmphasenaktivität im westlichen Nordatlantik seit 1995 unterstrich.
Von den 16 tropischen Stürmen (davon 8 Hurrikane) erwies sich Ike als herausragend: Mit dem niedrigsten Kerndruck aller Hurrikane des Jahres und mittleren Windgeschwindigkeiten von über 230 km/h verursachte er weitreichende Schäden in der Karibik, in den USA und in Kanada. Mit einem Integrated-Kinetic-Energy-Wert (IKE) von 5,6 – bei einem möglichen Maximum von 6 – erreichte Ike den höchsten jemals berechneten Wert eines Hurrikans im Atlantik. Er bezeichnet das kombinierte Zerstörungspotenzial eines Hurrikans aus Wind und Sturmflut. Zum Vergleich: Hurrikan Katrina erreichte 2005 auf dieser Skala einen Wert von 5,1. Insgesamt verursachte Ike Gesamtschäden von 38 Milliarden US-Dollar. Davon waren 15 Milliarden versichert. Ike liegt damit direkt hinter Katrina (2005) und Andrew (1992) auf Platz 3 der Schadenliste der teuersten Hurrikane.
Torsten Jeworrek, Mitglied des Vorstands der Münchener Rück: "Am Beispiel des Hurrikans Ike wird klar, wie wichtig konsequente Risikoforschung für die Identifizierung von Schadenpotenzialen ist. Nur dadurch sind wir in der Lage, neue und sich weiterentwickelnde Gefahrenkomplexe zu erforschen, diese beherrschbar zu machen und damit die Grenzen der Versicherbarkeit zu erweitern. Beim Zeichnen von Risiken beharren wir konsequent auf risikoadäquaten Preisen, zumal durch den Klimawandel und die Siedlungsdynamik die Schäden aus wetterbedingten Naturkatastrophen weiter zunehmen werden."
Abb: Gesamtschäden und versicherte Schäden der großen Naturkatastrophen 1950–2008 [Das Diagramm gibt die – auf heutige Werte hochgerechneten – Gesamtschäden und versicherten Schäden an. Die Trendkurven dokumentieren die Zunahme der Katastrophenschäden der Kategorie 6 ab 1950.]
Die Hurrikan-Saison 2008, die mit 16 tropischen Stürmen deutlich über dem langjährigen Mittel von 10,3 (1950-2007) lag, bestätigt die Münchener Rück in ihrer Einschätzung, dass in der anhaltenden Warmphase mit einem erhöhten Schadenpotenzial gerechnet werden muss. Hurrikan Ike hat der Versicherungswirtschaft aber auch vor Augen geführt, dass sehr zeitnahe Schadenschätzungen gerade bei komplexen Einzelereignissen mit großen Unsicherheiten verbunden sind. Die durch Ike verursachten Schäden lagen insgesamt höher als von Modellierungsfirmen und Versicherungswirtschaft zunächst angenommen. Die anfänglich zu geringen Schadenschätzungen von Erstversicherern bewirkten, dass auch die Belastung für die Münchener Rück am Ende höher ausfiel als erwartet: Die Münchener Rück geht jetzt für sich von einer Schadenbelastung von rund 680 Mio. US$ (nach Retrozession) aus. Diese Schadenbelastung ist in den am 4. Februar 2009 bekannt gegebenen vorläufigen Zahlen für das Geschäftsjahr 2008 bereits berücksichtigt.
2008 war das zehntwärmste Jahr seit 1850
Die Weltmeteorologie-Organisation (WMO) stuft 2008 als das global zehntwärmste Jahr seit Beginn der Datenreihe 1850 ein. Innerhalb der vergangenen zwölf Jahre lassen sich die zehn wärmsten Jahre seit Anfang der Zeitreihe finden.
Die globale bodennahe Jahresmitteltemperatur der Luft lag 2008 um 0,31 °C über dem Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990, in denen der Wert 14,00 °C betrug (Hadley Centre). Die von September 2007 bis Mai 2008 anhaltende La-Niña-Phase hatte im Äquatorialpazifik einen kühlenden Einfluss. Diese Region blieb auch über die Jahresmitte hinaus noch im kühl-neutralen Bereich der El Niño – La Niña-Schaukel. Vor allem durch den Einfluss von La Niña weicht die globale Mitteltemperatur dieses Jahres negativ vom Temperaturniveau der vorausgehenden Jahre ab. Im Norden jedoch war der Winter 2007/2008 für weite Teile Skandinaviens der wärmste der jemals gemessen wurde. An einigen Stellen lagen die Temperaturabweichungen bei über +7 °C. Auch in Nordwestsibirien war der Winter außergewöhnlich warm.
Abschmelzen des arktischen Meereises
Die hohen Temperaturen in den arktischen Breiten hatten in Verbindung mit veränderten atmosphärischen Strömungsmustern zur Folge, dass das Minimum der arktischen Meereisausdehnung im September 2008 von 4,7 Millionen km² fast erneut den Rekordwert des Vorjahres von 4,3 Millionen km² erreichte. Aufgrund des starken Abschmelzens waren in den Monaten August und September die arktischen Nordost- und Nordwest-Passagen für Schiffe erstmals gleichzeitig befahrbar. Die 6.500 km lange Nordost-Passage, die entlang der sibirischen Küste führt, verkürzt die Strecke zwischen Hamburg und Japan im Vergleich zu der Route, die über den Suezkanal verläuft, um 40 Prozent. Würden diese Transportrouten in den kommenden Jahrzehnten zunehmend genutzt, wären neue Hafenorte und Verarbeitungsanlagen für Rohstoffe entlang der sibirischen und – bezogen auf die Nordwest-Passage – kanadischen Küsten notwendig. Verstärkte Explorationen und Rohstoffgewinnung im Bereich der Arktis würden den Bedarf an technischen Infrastrukturen entlang der nächstgelegenen Küsten erhöhen. Neue Risiken auf den arktischen Seerouten und in den Küstenbereichen für die Konstruktion der Anlagen und den Transport würden entstehen.
Weltweite Temperaturextreme
Extreme Hitzewellen traten unter anderem in Australien, Südosteuropa und Argentinien auf. Eine Dürreperiode im Südosten Australiens verursachte erhebliche Ernteausfälle im landwirtschaftlich bedeutenden Murray-Darling-Einzugsgebiet. In Kalifornien, USA war die anhaltende Trockenheit eine der Ursachen für die folgenden zerstörerischen Waldbrände. Es ist wahrscheinlich, dass die zunehmende Aridisierung im Südwesten Nord amerikas schon jetzt an den anthropogenen Klimawandel gekoppelt ist. In Teilen Argentiniens, Paraguays und Uruguays traten die schlimmsten Dürren in fünf Jahrzehnten auf. Sie hatten hohe Schäden in der Landwirtschaft zur Folge. Hingegen erlebte das südliche China im Januar eine extreme Kältewelle mit Schneefall, Eisbildung und daraus resultierenden großen Schäden.
Rekordniederschläge
Besonders starke Niederschläge wurden in den süd- und südostasiatischen Monsunregionen gemessen. In Indien, Pakistan und Vietnam kamen Tausende Menschen ums Leben, über zehn Millionen Menschen wurden obdachlos. Im westafrikanischen Monsun waren mehr als 300.000 Menschen von Starkniederschlägen und Über schwem mungen betroffen.
Auch in den USA kam es im Juni im Mittleren Westen zu Extremniederschlägen mit starken Überschwemmungen. Der Süden Brasiliens erlebte im letzten Novemberdrittel extreme Regenfälle mit Überschwemmungen und Hangrutschungen – mehr als 1,5 Millionen Menschen waren betroffen und knapp 80.000 wurden obdachlos. In Europa kam es insbesondere in Süd- und Zentralfrankreich von Ende Oktober bis in die ersten Novembertage zu Überschwemmungen. In dieser Zeit fielen an einigen Orten bis zu 500 mm Regen. In Kanada fielen im Winter 2007/2008 extreme Schneemassen, an manchen Orten erreichte der Schnee 5,5 Meter Höhe (Quebec), viele Hausdächer stürzten ein. Gleichwohl bestätigte die geringe Ausdehnung der nordhemisphärischen Schneebedeckung im Frühjahr 2008 mit einer negativen Abweichung von mehr als 7 Millionen km² gegenüber dem Mittel der letzten 40 Jahre den langfristigen Abnahmetrend.
Tornadorekorde
In den USA kam es zu einer Periode der stärksten Tornadoaktivitäten seit Beginn der verlässlichen Aufzeichnungen 1953. Zwischen Januar und August zogen knapp 1.500 Tornados über das Land. Das bedeutet in diesem Zeitraum einen absoluten Rekord der Tornadoaktivität. Im gesamten Jahr werden es voraussichtlich ca. 1.700 bestätigte Tornadoereignisse sein. Somit liegt 2008 weit über dem Mittel der letzten 10 Jahre – im Durchschnitt waren es 1.270 pro Jahr – und nur knapp unter dem bisherigen Rekordjahr 2004 mit 1.817 Tornados. Die auffällige Aktivitätscharakteristik einer Einzelsaison kann ursächlich nicht dem Klimawandel zugeordnet werden. Allerdings zeigt eine aktuelle Klimamodelstudie (Trapp, R.J. et al., 2009, GRL36), dass sich über den Simulationszeitraum von 1950 bis 2099 mit zunehmender Treibhausgas-Konzentration in den USA auch immer mehr Tage pro Jahr einstellen sollen, an denen das Potenzial für schwere Gewitter mit Böen, Hagel, Starkniederschlag und Tornados vorhanden ist.
Anhaltender anthropogener Erwärmungstrend
Die Beobachtungen aus dem Jahr 2008 bestätigen den anhaltenden anthropogenen Erwärmungstrend. Wie schon im vergangenen Jahr war mit dem starken Rückgang des arktischen Meereises gleichermaßen die Zunahme der Wärme in den höheren Breiten deutlich erkennbar. Von besonderer Relevanz für die Versicherungswirtschaft waren dabei die atmosphärischen Extremereignisse des Jahres 2008 wie Starkniederschläge, Stürme und lokale Unwetter.
Die neue Ausgabe von "Topics Geo – Naturkatastrophen 2008" befasst sich ferner detailliert mit dem großen Schadenpotenzial aus Winterschäden in China und analysiert das schwere Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan vom Mai 2008. Für die Versicherungswirtschaft, so die Georisiko-Forscher der Münchener Rück, muss das Sichuan-Erdbeben ein Warnsignal sein: Die Katastrophe macht deutlich, dass das Erdbebenrisiko keinesfalls vernachlässigt werden darf gegenüber Risiken durch Taifune oder Überschwemmungen.
Download "Topics Geo – Naturkatastrophen 2008" [4,1 MByte]:
[Bildquelle: NASA / Text basiert auf Topics Geo Naturkatastrophen 2008]
Kommentare zu diesem Beitrag