Ein Artikel von Nick Triggle auf BBC Online wirft die Frage auf, wie viele Todesfälle durch COVID-19 ohnehin zu den "normalen" Risiken gehören, denen Menschen ausgesetzt sind. Hierbei geht es insbesondere um ältere Menschen und Personen mit chronischen Gesundheitsproblemen und Vorerkrankungen, die hauptsächlich Opfer von COVID-19 sind. Um eine fundierte Bewertung vorzunehmen, habe ich einen Blick darauf geworfen, wie viel "normales" Risiko COVID-19 darzustellen scheint.
In diesem Kontext ist es immer nützlich, sich daran zu erinnern, dass wir alle irgendwann einmal sterben werden. Und die Rate, mit der wir dies tun, wird in den Tabellen des Amtes für Nationale Statistik (Office For National Statistics) fundiert und regelmäßig erfasst.
Diese liefern die jährlichen "Gefahren" – das ist der Anteil der Menschen in jedem Lebensjahr, die ihren nächsten Geburtstag nicht erreichen. Diese sind in der Grafik unten auf einer logarithmischen Skala aufgetragen, die einen frühen Höhepunkt aufgrund angeborener Krankheiten und Geburtstraumata, dann ein Minimum um das 9. oder 10. Lebensjahr (niemand in der Geschichte der Menschheit konnte so sicher leben wie ein heutiges Grundschulkind) und dann einen stetigen Anstieg zeigt, der bemerkenswert linear verläuft, abgesehen von einem traurigen Anstieg im späten Teenageralter und Anfang der 20er Jahre, dessen Ursache nur allzu klar ist. Diese Linearität auf einer logarithmischen Skala entspricht einer exponentiellen Zunahme (auf einer linearen Skala) – der Anteil der Menschen, die jedes Jahr sterben, nimmt unabhängig vom Alter um etwa 9% zu. Das durchschnittliche Sterberisiko verdoppelt sich also in acht Jahren.
Abb. 01: Jährliches Todesfallrisiko (Gefährdung) für England und Wales, Zeitraum: 2016-2018 [Quelle: Office for National Statistics]
Der jüngste Bericht Nr. 9 von Forschern des Imperial College London lieferte Schätzungen der altersspezifischen Sterberisiken nach einer Infektion mit dem Coronavirus – diese sind in der nachstehenden Tabelle 01 aufgeführt.
Tab. 01: Sterblichkeitsraten nach einer Covid-19-Infektion für verschiedene Altersgruppen, geschätzt von Wissenschaftlern des Imperial College London
Diese können mit der Hintergrundmortalität überlagert werden, um die folgende Abbildung 02 zu erhalten. Die Zahlen wurden jeweils im Jahr 7 der Dekade aufgetragen, da dieser Mittelwert die Ergebnisse besser wiedergibt. Die Übereinstimmung der beiden Kurven ist bemerkenswert und zeigt, dass das Covid-Risiko einem ähnlichen Muster folgt wie das "normale" Mortalitätsrisiko. Abbildung 03 unterscheidet sich lediglich durch die lineare Skalierung.
Abb. 02: Vergleich des Sterblichkeitsrisikos mit COVID-19 überlagert mit dem Risiko der "normalen" jährlichen Mortalität. (Die COVID-19-Risiken wurden im 7. Jahr des 10-Jahresabschnitts aufgetragen, da dies das spezifische Alter, für das der Dekaden-Durchschnitt gilt, exakter wiedergibt).
Abb. 03: Vergleich des Sterblichkeitsrisikos mit COVID-19 überlagert mit dem Risiko der "normalen" jährlichen Mortalität (linear skaliert). Die Grafik zeigt deutlicher die dramatische Zunahme des Mortalitätsrisikos mit dem Alter und das geringe Übersterblichkeitsrisiko für Menschen in der Altersdekade 60 und 70.
Die nachstehende Tabelle 02 vergleicht das Risiko nach einer Infektion mit dem "normalen" Sterblichkeitsrisiko im späteren Verlauf des betreffenden Dekade (dem 7. Jahr). Ihr Verhältnis, das relative Risiko, liegt bei etwa 0,5 bis 2.
Tab. 02: Vergleich des COVID-19-Risikos mit der Hintergrundmortalität. Das relative Risiko ist das Verhältnis zwischen dem Covid-19-Risiko und der "normalen" Mortalität. Wenn es mit 12 multipliziert wird, ergibt sich das äquivalente Risiko in Form von Monaten des "normalen Lebens".
Dies deutet darauf hin, dass COVID-19 sehr grob den Risikowert eines Jahres wiederspiegelt. Für diese Zahl gibt es eine einfache Realitätsprüfung. Jedes Jahr sterben im Vereinigten Königreich etwa 600.000 Menschen. Das Team des Imperial College schätzt, dass, wenn das Virus völlig unbehelligt bliebe, etwa 80% der Menschen infiziert würden und es etwa 510.000 Todesfälle gäbe.
Vereinfacht formuliert: COVID-19 zu bekommen ist vergleichbar damit, den jährlichen Risikowert in ein oder zwei Wochen zu packen. Deshalb ist es wichtig, die Infektionen zu verteilen, damit das nationale Gesundheitssystem NHS nicht überfordert wird.
Hierbei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass alle aufgeführten Risiken die durchschnittlichen (mittleren) Risiken für Menschen im entsprechenden Alter sind, aber nicht die Risiken einer Durchschnittsperson! Das liegt daran, dass sowohl bei COVID-19 als auch unter normalen Umständen ein Großteil des Risikos von Menschen getragen wird, die bereits chronisch krank sind. Für die große Mehrheit der gesunden Menschen ist das Risiko, entweder an COVID-19 zu sterben oder an etwas anderem zu sterben, also viel geringer als die hier zitierten Zahlen. Obwohl es natürlich für jeden Todesfall andere gibt, die schwer krank sind.
Ich sollte auch sagen, dass diese Analyse nur für die breite Öffentlichkeit gilt. Diejenigen, die möglicherweise einer hohen Viruslast ausgesetzt sind, wie beispielsweise Beschäftigte im Gesundheitswesen, haben möglicherweise ein wesentlich höheres Risiko als ihr "normaler" Jahreswert, wie die tragischen Todesfälle in Italien, Großbritannien und anderswo zeigen.
Darüber hinaus wird es, wie Triggle betont, erhebliche Überschneidungen in diesen beiden Gruppen geben – viele Menschen, die an COVID-19 sterben, wären ohnehin innerhalb kurzer Zeit gestorben – und daher können diese Risiken nicht einfach addiert werden. Und es verdoppelt nicht einfach das Risiko von Menschen, die sich infizieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das nationale Gesundheitssystem (NHS) nicht überfordert wird. Wenn es gelingt, die Zahl der COVID-Todesfälle durch strikte Unterdrückungsmaßnahmen in der Größenordnung von etwa 20.000 zu halten, wie jetzt vorgeschlagen wird, könnte es am Ende zu einer minimalen Auswirkung auf die Gesamtmortalität im Jahr 2020 kommen (obwohl die Hintergrundmortalität aufgrund des Drucks auf die Gesundheitsdienste und der Nebenwirkungen der Isolation steigen könnte). Und hiermit verbunden sind enorme Kosten.
Autor:
David John Spiegelhalter ist ein Britischer Statistiker und "Winton Professor of the Public Understanding of Risk" an der Universität Cambridge und "Fellow of Churchill College" (Cambridge). Er ist seit Anfang 2017 Präsident der Royal Statistical Society.
Hinweis: Der Text basiert auf einer Übersetzung des Textes "How much 'normal' risk does Covid represent?"
Wir danken dem Autor David John Spiegelhalter für die Genehmigung einer Übersetzung ins Deutsche sowie der Veröffentlichung auf dem Portal RiskNET.