Was haben wir eigentlich gegen Deflation? In den letzten zwei Jahren hat sich die Preissteigerung im Euroraum drastisch verringert. Ende 2011 lag sie noch bei drei Prozent, inzwischen beträgt sie nur noch 0,8 Prozent. Wenn sich dies so fortsetzt, dann wären wir am Ende des Jahres in der Tat bei sinkenden Preisen. Das klingt für viele nach etwas ganz Schlimmem.
Eigentlich ist diese Wertung überraschend. Inflation bedeutet, dass das Geld weniger wert wird. Die Menschen werden ärmer. Es ist klar, dass das nichts Gutes ist. Bei Deflation ist es aber genau umgekehrt: Das Geld wird mehr wert. Die Menschen werden reicher. Das kann doch an sich nichts Schlechtes sein.
Was negativ ist, ist, dass man Deflation immer mit einer ungünstigen Wirtschaftsentwicklung verbindet. Wenn die Preise sinken, stellen die Unternehmen mehr Güter her als nachgefragt werden. Das ist ein Signal, dass die Produktion künftig zurückgehen sollte. Das ist freilich nicht denknotwendig. Im Augenblick zieht die Konjunktur gerade wieder an. Trotzdem verringert sich die Inflation. Auch in der Wirtschaftsgeschichte gab es Zeiten, in denen das Wachstum hoch war, und die Preise gleichwohl zurückgingen. Das war zum Beispiel in der Zeit der Industrialisierung in den USA im 19. Jahrhundert der Fall. Da steigerten die Unternehmen ihre Produktion so stark, dass die Verbraucher mit dem Konsumieren gar nicht nachkamen. Was muss das für eine schöne Zeit gewesen sein!
Bald Deflation? [Quelle: EZB]
Was man ferner mit Deflation verbindet ist ein kumulativer Prozess der Wirtschaft nach unten. Wenn die Konsumenten erwarten, dass die Preise sinken, dann stellen sie Käufe zurück und warten, bis sie die Güter später günstiger bekommen. Damit fehlt es an Nachfrage und die Wirtschaft bewegt sich tatsächlich nach unten (mit entsprechend weiteren Preisrückgängen).
Auch dies ist freilich nicht zwangsläufig. In der Computerbranche haben sich sinkende Preise keineswegs immer negativ ausgewirkt. Wenn ein neues iPhone auf den Markt kam, standen die Leute Schlange, um es zu kaufen, obwohl jeder wusste, dass sie die Geräte ein paar Monate später billiger bekommen. Selbst in Japan gab es keine kumulativen Prozesse.
Von Seiten der Zentralbanken wird gegen Deflation eingewandt, dass sie schwerer zu bekämpfen sind. Gegen steigende Preise kann die Geldpolitik mit Restriktionsmaßnahmen vorgehen. Bei sinkenden Preisen gilt das alte Diktum: Man kann den Pferden zwar Wasser hinstellen (= Geldpolitik lockern), man kann sie aber nicht zum Saufen zwingen.
So richtig überzeugend sind all diese Argumente gegen Deflation nicht. Wenn es nur das ist, was man dagegen vorzubringen hat, dann sollte man nicht zu viel Angst vor sinkenden Preisen haben. Es gibt freilich einen Aspekt, der aus meiner Sicht Gewicht hat. Das sind die Verteilungswirkungen der Deflation. Wenn die Preise zurückgehen, dann profitieren Gläubiger, und es leiden Schuldner. Gläubiger bekommen zwar einen niedrigen Zins, Ihre Forderungen werden real jedoch mehr wert. Sie können damit mehr kaufen.
Umgekehrt die Schuldner: Sie müssen die Schulden mit einem höheren Realwert zurückzahlen. In den Unternehmen verlieren die Sachgüter auf der Aktivseite an Wert, die Passiva bleiben gleich. Da entsteht dann schnell eine Unterbilanz. Firmen gehen pleite, Hausbesitzer kommen in Schwierigkeiten.
An sich müsste man angesichts dieser Situation erwarten, dass Staaten, die näher an der Deflation sind und zeitweise sinkende Preise hatten, weniger Schulden machen. Das wäre dann für die Gesamtwirtschaft ein Vorteil. Das Gegenteil ist aber leider der Fall. Japan ist nach einer Studie von McKinsey das am höchsten verschuldete Land unter den zehn größten Industriestaaten. Seine Gesamtverschuldung (privat und öffentlich) betrug 2011 insgesamt 512 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Löwenanteil entfällt dabei auf die öffentliche Hand (226 Prozent). Aber auch bei der Verschuldung von privaten Haushalten, Unternehmen und Finanzinstituten liegt Japan in der Spitzengruppe. So schrecklich stark scheint der Druck der Deflation auf die Schuldner also nicht gewesen sein.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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Kommentare zu diesem Beitrag
Man kann die zusätzliche Liquidität aber an Bedingungen knüpfen.
Neue Tender nur für Privatkredite bis 15000€ am besten gekoppelt bzw. koordinert mit Impulsen durch die Regierungen. Investitionsanreize für Energiespartechnik etc.
Gerne auch etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern.
Staatliche Bildungsprogramme bzw. niedrig verzinste Bildungskredite könnten ein Mittel sein....
Oder große Infrastrukturprojekte (dann müsste man die 15 k€ Deckelung aufheben)
"...Aber auch bei der Verschuldung von privaten Haushalten, Unternehmen und Finanzinstituten liegt Japan in der Spitzengruppe. So schrecklich stark scheint der Druck der Deflation auf die Schuldner also nicht gewesen sein..."
Zum Problem wird es aber wenn jemand nicht mehr bereit ist zu zahlen oder sien Geld zurückhaben will...
Meine 3 Favoriten für den nächsten Crash-Auslöser:
-China fragt sich: Wo ist unser ganzes Geld geblieben...
-Japan stellt sich dieselbe Frage...
-Ein Versicherer bzw. Pensionskasse muss Insolvenz anmelden
schaun mer mal