Corporate Governance und Compliance hier, Transparenzregister und Selbstverpflichtungen dort. Seit vielen Jahrzehnten werden immer wieder neue Regulierungs-Säue durchs Dorf getrieben, die uns weismachen sollen, dass in puncto transparenter und legaler Finanzgeschäfte alles in Ordnung sei. Banken, Wirtschaftsprüfer, die Politik und Aufsichtsbehörden agieren hier als Transparenzwächter und mitunter als Allwissende und nicht selten arrogante Akteure. Die Vorfälle der letzten Monate rund um Wirecard, Geldwäsche, dem Cum-Ex-Skandal, politische Einflussnahme auf Bankgeschäfte und der ungenierte sowie demokratisch unlegitimierte Griff in die Steuerkasse (Beteiligung an Curevac, Erlass der Steuerzahlung bei Warburg etc. etc.), präsentieren uns auf allen Ebenen Wiederholungstäter, die uns schon einmal – etwa nach der letzten Finanzkrise – begegnet sind.
"Der Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank." Dieses Zitat stammt vom Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht. Der gebürtige Augsburger Brecht war kein Freund des Kapitalismus. Vielmehr sympatisierte er mit dem Marxismus und seine Kunst des "dialektischen Theaters" sollte die Menschen zum Nachdenken anregen – über soziale sowie politische Verhältnisse und Missstände. Nun könnte man dem einen oder anderen Bankvorstand Brechts Werk ans Herz legen, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber zurück zu Brechts Zitat: Bei einem Blick auf vergangene und aktuelle Vergehen der "Finanzindustrie" offenbart sich immer wieder eine Art Selbstbedienungsladen ohne Skrupel der Täter und Mitwisser. So zeigen die "wahren Profis" im Bankenumfeld wie es geht mit Luftbuchungen, Compliance-Vergehen, Geldwäsche, Steueroptimierung und Bilanzbetrug.
Wirecard und das Komplettversagen
Ein Lehrstück in Sachen krimineller Energie liefert seit Monaten der Wirecard-Skandal. Zwei Milliarden Euro, die in der gefälschten Bilanz fehlen, sowie Untersuchungshaft und Flucht von Ex-Managern. Korrekterweise muss man darauf hinweisen, dass die Milliarden nicht fehlten, sie waren, dafür spricht jedenfalls bisher alles, nie da. Die Bankenaufsicht schlief einen Schlaf der Glückseligkeit und nahm Frühwarnindikatoren (zumindest grob fahrlässig) nicht ernst. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und auch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) bemerkte den Schwindel nicht. Und vonseiten der Politik wurde Wirecard noch tatkräftig unterstützt – auch dank der Lobbyarbeit Karl-Theodor zu Guttenbergs bei der Bundeskanzlerin. Im Grunde zeigt der Fall ein Komplettversagen von Aufsicht (u.a. BaFin), Wirtschaftsprüfern und Politik. Die Gemengelage und Verstrickung von Wirtschaft und Politik zeigt sich im Wirecard-Fall deutlich und offenbart ein zügelloses und zugleich pervertiertes neoliberales System, scheinbar ohne Grenzen. Ganz im Sinne eines "ungezügelten Liberalismus des Laissez-faire im 19. Jahrhundert, als der Staat die Wirtschaft komplett dem freien Spiel der Marktkräfte überließ." (Quelle: bpb)
Im Grunde immer wieder das gleiche Spiel: Jeder zeigt mit seinem Finger auf den anderen und weist darauf hin, dass man nicht schuldig sei. Es war der andere. Bloß keine Verantwortung übernehmen. Statt an Diagnose und Lösungen zu arbeiten, wird vor allem der eigene Hintern erstmal gerettet. Das tägliche Lügen-Theater beginnt: Man kann sich nicht mehr erinnern (so scheinen vor allem Bundesminister an einer retrograden Amnesie zu leiden). Und außerdem sei man grundsätzlich erst mal nicht schuld. Der "Schwarze Peter" wieder weitergereicht. Jeder Akteur scheint nur noch seine partikularen Interessen zu verfolgen. Völlig vergessen wird dabei nicht selten von allen Akteuren, dass Sie Dienstleister für die Gesellschaft sind und vom Bürger finanziert werden. Stellt sich die Frage, wer solche "zahnlosen Tiger" braucht, wenn im Fall eines Marktversagens Staatseingriffe völlig unwirksam sind.
Der Tagesspiegel stellt fest: "Der Finanzbetrug des deutschen Dax-Unternehmens Wirecard ist lange nicht mehr nur ein Wirtschaftsskandal. Hochrangige Politiker der Bundesregierung, darunter auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben von Ungereimtheiten bei Wirecard und Ermittlungen gegen das FinTech-Unternehmen gewusst." Vor allem die Rolle zu Guttenbergs gilt es im Wirecard-Sumpf zu hinterfragen. "Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich mit seiner Lobbyfirma auch beim deutschen Botschafter in Peking für den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard eingesetzt" schreibt Abgeordnetenwatch (Parlamentwatch e.V.) auf den eigenen Seiten. Und weiter heißt es: "Die Botschaft wandte sich schließlich an die Behörden in Peking, um Wirecard beim Markteintritt in China zu unterstützen."
Banken und Politiker als Handlanger Krimineller
Als wäre das noch nicht genug, setzen Banken und Berater seit Jahrzehnten auf dubiose Geschäftspraktiken. Somit wundert es nicht, dass es um den Ruf des Bankers im europäischen Durchschnitt schlecht bestellt ist. Der Berufsstand rangiert noch hinter dem von Soldaten, liefert sich aber ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Versicherungsvertretern um den unbeliebtesten Job. Nun tun Bankverantwortliche vieles, um das ramponierte Image beharrlich zu verschlechtern und die miserable Außenwirkung der Finanzbranche weiter zu zementieren. Sei es durch eine aggressive Steuervermeidung – der Deutsche Bundestag beziffert die jährlichen Einnahmeverluste der EU-Mitgliedsländer auf rund 190 Milliarden Euro – oder mithilfe von Cum-Ex-Geschäften sowie Geldwäsche. Letzteres fällt einigen Banken nun wiederholt auf die Füße, teils als Handlanger Krimineller. Spiegel Online spricht von Kriminellen, Oligarchen, Terroristen als Bankkunden: "Nach Berichten über mögliche Geldwäsche müssen sich Banken auf der ganzen Welt für ihre Versäumnisse rechtfertigen - mit Folgen." Nach Spiegel-Informationen bringe ein Datenleck auch die Deutsche Bank in Erklärungsnot.
Die Rede ist von Geldwäsche über die Moskauer Filiale der Deutschen Bank. Aufsichtsbehörden wiederum reden sich die Finanzwelt schön: "Gerade in den vergangenen fünf Jahren hat die Sensibilität für das Thema Geldwäsche erheblich zugenommen. Wir sehen das sowohl bei der Prävention als auch bei der Bekämpfung illegaler Finanzströme", so Marcus Pleyer, Präsident der Financial Action Task Force, in einem Interview gegenüber Zeit Online. "Hinter jeder Geldwäsche steht eine Straftat", lautet der Titel des Interviews. Und mit Blick auf die "Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung" schreibt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bereits 2018: "Solche kriminellen Aktivitäten können nicht nur die Reputation und Solidität eines Unternehmens bedrohen, sondern auch die Integrität und Stabilität des gesamten Finanzplatzes gefährden." Mit Verlaub: Die Erkenntnisse der Aufsichtsbehörden, dass Geldwäsche gleich Straftat ist und die Reputation sowie Stabilität in Gefahr sind, steht wohl außer Frage. Zu diesen Feststellungen braucht es keine Finanzmarkt- und Regulierungsexperten, die Platzhalter setzen und gleichzeitig ihrer Aufsichtspflicht nicht oder nur schleppend nachkommen. Die handelnden Personen werden dies selbstverständlich ganz anders interpretieren – auch wenn sich gerade in ihrem reaktiven Verhalten deutlich die Hilflosigkeit von Behörden und Strafverfolgern im Umgang mit Banken und deren kriminellen Machenschaften zeigt. Und so machen sie weiter, die Wiederholungstäter im Finanzumfeld, gefördert von Politikern sowie Lobbyisten und gedeckt von Wirtschaftsprüfern – auf Kosten der Steuerzahler. Oder wie es Brecht deutlich formulierte: Wahre Profis gründen eine Bank.
Finanzmarkt- und Compliance-Risiken sind auch beim RiskNET Summit 2020, der vom 20. bis 21. Oktober 2020 stattfinden wird, Themen auf der Agenda.
Weitere Informationen unter: https://summit.risknet.de