Laut den Ergebnissen der aktuellen Repräsentativ-Studie "Wirtschaftskriminalität 2007", die von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erstellt wurde, hat fast jedes zweite deutsche Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren Schäden durch Unterschlagung, Korruption oder andere Formen von Wirtschaftskriminalität erlitten. Aufgrund der großen Anzahl der an der Befragung beteiligten Unternehmen, kann auf der Basis dieser Ergebnisse erstmals eine Aussage über die Höhe des volkswirtschaftlichen Schadens gemacht werden, die über eine bloße Schätzung hinausgeht. Laut Prof. Kai Bussmann, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg kann der Gesamtschaden, der deutschen Unternehmen allein durch die weltweit aufgedeckten Straftaten entsteht, auf gut sechs Milliarden Euro jährlich beziffert werden.
Kontrollen werden engmaschiger
Der Anteil der geschädigten Befragten ist unverändert hoch und stieg von 46 % im Untersuchungszeitraum 2003/2004 auf nunmehr 49 %. Steffen Salvenmoser, Partner bei PwC im Bereich Forensic Accounting Services und ehemaliger Staatsanwalt, erläutert die Ursachen: "Der Zuwachs ist nicht allein auf einen Anstieg der Kriminalität zurück zu führen, sondern auch auf effektivere Kontrollen in den Unternehmen. Erstaunlicherweise befürchten trotzdem nur zehn Prozent der Befragten, selber Opfer von Wirtschaftskriminalität zu werden." Etwa jede dritte entdeckte Straftat wird nicht angezeigt, bei Korruption schalten deutsche Unternehmen sogar nur in jedem zweiten Fall die Staatsanwaltschaft ein. Dabei ist offenbar die Sorge um den Ruf des Unternehmens ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung, zumal nur die Hälfte der angezeigten Täter tatsächlich verurteilt wird.
Für seine "Global Economic Crime Survey" befragte PwC weltweit 5.428 Unternehmen, darunter 1.166 in Deutschland. Die Erhebung ist damit die weltweit größte Studie dieser Art und wird bereits zum vierten Mal binnen acht Jahren durchgeführt. Die Untersuchung beinhaltet alle entdeckten Straftaten von 2005 bis Frühjahr 2007 und ist damit umfassender als die Kriminalstatistik, die nur die zur Anzeige gebrachten Delikte berücksichtigen kann.
Deutsche Unternehmen haben in den Jahren 2005 und 2006 vor allem deutlich häufiger Fälle von Produktpiraterie und Industriespionage aufgedeckt. Der Anteil der betroffenen Befragten stieg auf 18 %, im Vergleich zu 13 % im Zeitraum 2003/2004 beziehungsweise acht Prozent 2001/2002. Über Unterschlagung und Betrug berichteten 33 Prozent der Unternehmen und damit ähnlich viele wie in den vorherigen Zeiträumen, Korruptionsschäden entdeckten zehn Prozent der Befragten (2003/2004: neun Prozent, 2001/2002: sechs Prozent).
Hohe Risiken in Schwellenländern
Besonders hoch ist das Kriminalitätsrisiko dabei in den so genannten "Emerging 7"-Staaten China, Russland, Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko und der Türkei. Dort beliefen sich die gemeldeten Schäden inklusive der Managementkosten zur Schadenregulierung auf nahezu 4,4 Millionen Euro je Unternehmen. Demgegenüber entstanden in den übrigen Ländern durchschnittlich Schäden von 1,6 Millionen Euro. Dennoch berücksichtigen deutsche Unternehmen das Kriminalitätsrisiko bei Investitionen in Schwellenländern vergleichsweise selten. Bei geplanten Investitionen in China beispielsweise setzten sich in der Vergangenheit nur 31 % der deutschen Unternehmen mit dem Thema auseinander, während dies 48 % der Investoren aus anderen Ländern taten. Gleichzeitig erlitten deutsche Unternehmen in China mit durchschnittlich 3,66 Millionen Euro deutlich höhere finanzielle Verluste durch Wirtschaftskriminalität als Investoren aus der übrigen Welt (1,33 Millionen Euro).
Im internationalen Vergleich haben deutsche Unternehmen bei der Kriminalitätsbekämpfung weiterhin Nachholbedarf. Claudia Nestler, Partnerin bei PwC im Bereich Forensic Services meint hierzu: "Im Ausland werden strafbare Handlungen viel häufiger durch systematische Kontrollen aufgedeckt". Dennoch hält fast die Hälfte (47 %) der Befragten in Deutschland in den kommenden zwei Jahren keine größeren Veränderungen der Kontrollinfrastruktur für notwendig, während in Westeuropa 35 % und in Nordamerika nur 19 % der Unternehmen dieser Ansicht sind. Auch in Schwellenländern agieren deutsche Unternehmen vergleichsweise sorglos. So haben beispielsweise in China nur 39 % der deutschen Befragten ihre Kontrollmaßnahmen in den vergangenen zwei Jahren intensiviert, aber 53 % der anderen ausländischen Unternehmen. Gleichzeitig sehen 41 % der deutschen Unternehmen für die nächsten zwei Jahre keinen Handlungsbedarf, während im internationalen Vergleich nur 25 % der Unternehmen diese Auffassung teilen.
Starke Defizite bei der Prävention
Noch deutlicher als bei der Kontrolle treten die Defizite deutscher Unternehmen bei der Kriminalitätsprävention zu Tage. Ethik-Richtlinien haben zwar mittlerweile 61 % der Befragten, aber nur 37 % verfügen über ein Compliance-Programm. In Nordamerika hingegen sind ethische Richtlinien nicht nur bei 94 % der Unternehmen vorhanden, sie werden auch deutlich häufiger durch ein Compliance-Programm überwacht (73 %). Die Studienergebnisse belegen zudem, dass derartige Regelwerke wirken. So wurden weltweit nur 38 % der Unternehmen mit Ethik-Standards und Compliance-Programmen Opfer von Wirtschaftskriminalität, in der Vergleichsgruppe ohne entsprechende Präventionsmaßnahmen erreichte der Anteil 54 %. Nestler rät daher: "Deutsche Unternehmen könnten die Schäden durch Kriminalität deutlich senken, wenn sie ihre Vorbehalte gegenüber Präventionsprogrammen aufgeben und ihre Unternehmenskultur entsprechend verändern würden."
Für eine stärkere Kriminalitätsprävention in den Unternehmen spricht auch, dass knapp jede zweite Straftat von den eigenen Mitarbeitern begangen wird. Die übrigen Täter stehen in der Regel als Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner in Kontakt mit dem betroffenen Unternehmen, Straftaten durch Unbekannte sind dagegen eher selten. Der typische Wirtschaftskriminelle in Deutschland ist ein Mann (87 % der Täter), zwischen 30 und 50 Jahre alt (79 %) und seit mehr als sechs Jahren im Unternehmen beschäftigt (57 %). Knapp ein Drittel der Täter ist sogar schon länger als zehn Jahre angestellt gewesen. Etwa 20 % der Täter kommen aus dem gehobenen Management, weitere 25 % aus der mittleren Führungsebene. Auffällig ist, dass Täter aus dem Top-Management in Westeuropa deutlich seltener mit einer Strafanzeige rechnen müssen (40 % der Deliktsfälle) als Beschäftigte unterhalb der Führungsebenen (61 %). In Deutschland ist eine derart unterschiedliche Behandlung zwar nicht zu beobachten, allerdings geben 23 % der deutschen Unternehmen an, dass sie gegen Täter aus der oberen Führungsebene in gut jedem fünften Fall sowohl auf Anzeige und Klage als auch auf interne Sanktionen wie Abmahnung, Kündigung oder Versetzung verzichtet haben. Kriminelle Handlungen des mittleren Managements und anderer Beschäftigter blieben demgegenüber nur in fünf bzw. drei Prozent der Fälle für den Täter folgenlos. Kommt es jedoch zum Prozess, können Führungskräfte vor Gericht keineswegs auf eine Vorzugsbehandlung hoffen. Vielmehr wurden Freiheitsstrafen deutlich häufiger gegen Senior- und Top-Manager verhängt (62 %) als gegen andere Beschäftigte (31 %).
Die vollständige Studie "Wirtschaftskriminalität 2007" steht auf der PwC-Website unter www.pwc.de als kostenloser Download zur Verfügung.