Zu Beginn des neuen Jahrtausends sorgte der Bilanzskandal um Enron für Schlagzeilen. Noch im Jahr 2000 war die Enron Corp. mit einem Umsatz von 101 Mrd. US-Dollar die siebtgrößte Firma der USA, weltweit lag das Unternehmen auf Platz 16. An der Börse wurde Enron mit über 60 Mrd. US-Dollar bewertet und in der Kategorie "Qualität des Managements" stand die Firma auf Platz eins der Fortune-Liste der "Most Admired American Companies".
Am 2. Dezember 2001 meldet das Unternehmen Insolvenz an. Interessanterweise bescheinigten die weltweit führenden Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moodys bis kurz vor der Insolvenz Enron eine "vorzügliche Bonität". Neben den Ratingagenturen waren vor allem auch die Wirtschaftsprüfer blind für die Realität. Noch schlimmer: Der Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen prüfte die Bücher nicht, er verfasste sie mit. Aufgrund der Anweisungen von Firmenjuristin Nancy Temple und David Duncan (Chef des Andersen-Büros in Houston), wurden Unterlagen des Enron-Konzerns vernichtet, obwohl die Mitarbeiter von Arthur Andersen bereits von der Aufnahme einer SEC-Untersuchung gegen Enron informiert waren. In der Folge zerbrach das Wirtschaftsprüfungsunternehmen. In seinem letzten Geschäftsjahr hatte Arthur Andersen als eine der weltweit fünf größten Prüfungsgesellschaften mit 85.000 Mitarbeitern ein Gesamthonorar von 9,3 Mrd. US-Dollar erwirtschaftet. Nach dem Zusammenbruch erfolgte eine Verteilung der Geschäftsbereiche auf die übrig gebliebenen großen WP-Gesellschaften. Der Bereich der Unternehmensberatung gab sich ebenfalls einen neuen Namen.
Ein Scherbenhaufen von 60 Mrd. US-Dollar
Den im Rahmen der bisher erfolgten Vergleiche erzielten Entschädigungszahlungen in Höhe von 7,1 Mrd. US-Dollar steht ein durch die Insolvenz vernichteter Börsenwert von 60 Mrd. US-Dollar gegenüber. Der (kollabierte) Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen wurde im Juni 2002 wegen Behinderung der Justiz zu einer Geldbuße von 500.000 US-Dollar verurteilt.
Besonders gewiefte Ex-Mitarbeiter von Arthur Andersen könnte der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young übernommen haben, so scheint es zumindest in diesen Tagen. Zumindest in Deutschland wurden die größten Teile von Arthur Andersen auf Ernst & Young übertragen. Seit der Lehman-Pleite zu Beginn der Finanzmarktkrise steht neuer Ärger ins Haus. Der New Yorker Generalstaatsanwalt hat Anklage gegen Ernst & Young als verantwortliche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von Lehman Brothers erhoben. Der Vorwurf wieg schwer: Ernst & Young soll über viele Jahre hinweg die Bilanztricksereien von Lehman gedeckt haben. Umgekehrt war die Investmentbank eines der größten Mandate von Ernst & Young. Lehman hatte bereits im Jahr 2007 über die Refinanzierungsgeschäfte Repo 105 und Repo 108 ihre Bilanzen zu den Quartalsstichtagen aufgehübscht und für die Ratingagenturen und Analysten risikoärmer erscheinen lassen, als sie tatsächlich waren.
Verdacht der Beihilfe zur Bilanzfälschung
Seit März 2010 hat die Staatsanwaltschaft diesen Verdacht der Beihilfe zur Bilanzfälschung durch den viel zu geringen Ausweis von Verbindlichkeiten verfolgt und Mitte Dezember vergangenen Jahres die Anklage von Ernst & Young angekündigt. Für gewöhnlich scheuen Wirtschaftsprüfer öffentlichkeitswirksame Gerichtsprozesse wegen handwerklicher Fehler wie der Teufel das Weihwasser. Es dürfte spannend werden, ob die US-amerikanische Justiz erneut eine Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft für den Kollaps eines Unternehmens sowie die daraus resultierenden Schäden in die Verantwortung zieht. Dies könnte im Extremszenario dazu führen, dass erneut ein Wirtschaftsprüfer das Feld räumt. Immerhin war der Zusammenbruch des über 150-Jahre alten Traditionshauses Lehman Brothers Auslöser für die Finanzmarktkrise. Ein letzter Ausweg wäre ein außergerichtlicher Vergleich, bei dem Ernst & Young seine Honorare aus den letzten Jahren der Prüfung von Lehmann Brother zurückbezahlt. Das sind stolze 150 Mio. US-Dollar. Qualität hat eben ihren Preis!
[Bildquelle: iStockPhoto]
Kommentare zu diesem Beitrag
Wir haben ja auch keine Notar-Konzerne, dort ist das Polypol clever geregelt. Es hätte gar nicht so weit kommen dürfen dass diese großen WP-Gebilde entstehen! Wenn ein Prüfungsmandat auf mehrere kleine WP-Gesellschaften verteilt wird, können die sich immer noch spezialisieren und trotzdem besteht ein Wettbewerb (der bei einem Peer Review nicht vorhanden ist).
Alternativ müsste eine unabhängige Organisation Prüfungsmandate nach dem Zufallsprinzip verteilen. Das muss nicht zwingend der Staat sein, es könnte auch die WP-Kammer erledigen. Dann ist jedem WP klar: Die Wahrscheinlichkeit noch mal bei dem gleichen Mandanten eine Prüfung durchzuführen ist 1:1000, er muss sich gar nicht erst einschleimen, in den Hintern kriechen und unter Mißachtung aller Gesetze irgendwelche Gefälligkeitsgutachten und -mandate verteilen...
"... Am Mittwoch eröffnete die britische Aufsichtsbehörde Financial Reporting Council eine formelle Untersuchung gegen die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young wegen des Verdachts, dass die Firma bei der Prüfung der Bücher der Pleitebank Lehman geschlampt hat. ... Kommen die britischen Behörden zu dem Schluss, dass sich Ernst & Young etwas zu Schulden kommen ließ, drohen drakonische Geldstrafen und der Ruf wäre ruiniert. Ernst & Young könnte damit in letzter Konsequenz das Schicksal der inzwischen vom Markt verschwundenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen ereilen, der eine Mitschuld an der Pleite des US-Energiekonzerns Enron gegeben worden war. ... Die seither verbliebene Viererbande teilt sich weltweit den Markt der lukrativen Kunden weitgehend auf. ..."
Text aus dem Handelsblatt vom 17.06.2010