Die Preisdaten dieser Woche waren schon etwas schockierend. Zum zweiten Mal hintereinander lag die Inflationsrate für den Euroraum über dem offiziellen Ziel der Europäischen Zentralbank. Muss die Notenbank darauf nicht mit Zinserhöhungen reagieren?
Die EZB scheint noch zögernd zu sein. Es sei nur eine vorübergehende Entwicklung. Die Sache werde sich schon wieder beruhigen. Sie komme vor allem von den Rohstoffmärkten und die könne die Geldpolitik nicht beeinflussen. Die Konjunktur im Eurogebiet sei noch schwach. Die Eurokrise sei noch nicht vorbei. Überhaupt sei Hektik nie ein guter Ratgeber.
All das ist richtig. Trotzdem glaube ich, dass es an der Zeit ist, an der Zinsschraube zu drehen und den Exit aus der ultralockeren Geldpolitik einzuleiten. Es geht nicht um Restriktion, also ein Bremsen der Nachfrage. Es geht um Normalisierung. Hier zehn Gründe:
Erstens: Die Preissteigerung ist zwar noch nicht exzessiv hoch. Sie liegt mit 2,4 Prozent aber auf einem Niveau, auf dem die Zinsen zuletzt lange Zeit bei 3 Prozent lagen. Jetzt sind wir bei 1 Prozent.
Zweitens: Die höhere Geldentwertung ist, wie die Grafik zeigt, kein Ausreißer. Es ist die Fortsetzung einer schon seit Herbst 2009 anhaltenden, kontinuierlichen Entwicklung. Sie kann zwar basisbedingt ab März für ein paar Monate wieder leicht zurückkommen. Es gibt aber keine Anzeichen für eine neue Trendwende nach unten. Für den Durchschnitt 2011 muss man sich auf 2 Prozent oder mehr einstellen.
Drittens: Die Konjunktur in Europa ist zwar noch nicht stabil. Sie bessert sich aber. In jedem Fall wird sie durch eine Anhebung der Leitzinsen von 1 Prozent auf 1,5 Prozent nicht abgewürgt.
Abbildung: Steigende Inflation in Euroland (Zunahme der Preise ggü. Vorjahr, Quelle: EZB)
Viertens: Die außenwirtschaftlichen Einflüsse von den Rohstoffmärkten sind nur zum Teil auf das hohe Wachstum der Schwellenländer und außergewöhnliche Ereignisse wie jetzt in Ägypten zurückzuführen. Sie hängen auch mit der ultralockeren Geldpolitik in den letzten Jahren zusammen. Alle Erfahrung zeigt, dass anhaltend niedrige Zinsen auf Dauer Anreize zur Suche nach höheren Renditen auch auf den Rohstoffmärkten geben. Ein Exit aus der lockeren Geldpolitik wäre ein besserer Weg zur Beruhigung der Rohstoffmärkte als zusätzliche Regulierungen, über die man in Davos gesprochen hatte. Natürlich sind die Hauptschuldigen die USA. Aber die EZB ist so groß, dass sie sich aus der Verantwortung nicht herausreden kann.
Fünftens: Das Ziel der Europäischen Zentralbank lautet nicht Stabilisierung der inländischen Preise, sondern Verteidigung des gesamten Geldwerts. Für die Verbraucher ist es egal, aus welcher Quelle die Preissteigerung kommt.
Sechstens: Was die Notenbank in jedem Fall verhindern muss ist, dass sich außenwirtschaftliche Einflüsse über die Löhne in inländische Preistreiber verwandeln. In Deutschland stiegen die Importpreise zuletzt um 12 Prozent. Das wissen natürlich auch die Gewerkschaften.
Siebtens: Es ist ehrenwert, wenn die EZB bei ihrer Zinsentscheidung auf die Schuldnerländer am Mittelmeer und auf Irland Rücksicht nimmt. Für diese Staaten sind die Risikoaufschläge an den Kapitalmärkten viel wichtiger als ein Viertel Prozentpunkt mehr Leitzins. Ich habe nirgends gehört, dass sich die Schuldnerländer im Governing Council der EZB gegen eine Zinserhöhung ausgesprochen hätten.
Achtens: Die nun schon mehr als zwei Jahre sehr niedrigen Zinsen haben negative Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Sie fördern höher rentierliche Anlagen und begünstigen die Spekulationen in risikoreichen Produkten. Auch in den gegenwärtigen Aktien- und Bond-Preisen ist ein Bonus der niedrigen Zinsen und der hohen Liquidität enthalten. Das ist nicht gesund.
Neuntens: Die niedrigen Zinsen führen auch zu Fehlallokationen in der Wirtschaft. Investitionen werden zu Zinsen kalkuliert und finanziert, die auf Dauer nicht so bestehen werden. Das können dann Fehlinvestitionen werden. Die öffentlichen Defizite, die ohnehin schon sehr hoch sind, wären bei Zugrundelegung eines normalen Zinsniveaus noch höher. Es ist bemerkenswert, dass die Schulden-Manager des Staates auch derzeit vor allem kurzfristige Titel begeben. Das ist eine falsche Politik.
Auch auf den Immobilienmärkten zeigen sich blasenartige Entwicklungen. Selbst die stabile Schweiz sowie Teile Deutschlands klagen über Hauspreissteigerungen.
Zehntens: Bisweilen hört man das Argument, dass eine Zinssteigerung in Europa zu einem Dollar-Crash auf den Finanzmärkten führen könne. Das mag vor der Eurokrise richtig gewesen sein. Aber inzwischen wird der Euro noch nicht wieder als wirklich gesunde und starke Währung angesehen. Freilich müssten sich die Exporteure auf eine Aufwertung des Euros als Folge einer Leitzinsanhebung einstellen.
Die renommierte Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat in ihrem Jahresbericht ausführlich über die Risiken geschrieben, die mit niedrigen Zinsen verbunden sind. Die Zentralbanken seien "womöglich gezwungen, die Geldpolitik früher zu straffen als es die wirtschaftlichen Aussichten allein nahelegen würden." Dies wurde schon vor einem Jahr gesagt. Es ist heute noch dringlicher.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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