Das Jahr 2005 begann ganz unter dem Eindruck des Tsunami, der am 26. Dezember 2004 viele tausend Kilometer Küstensaum und menschliche Ansiedlungen rings um den Indischen Ozean zerstört hatte.
Eine hohe Opferzahl von mehr als hunderttausend Toten - vor allem wegen des katastrophalen Erdbebens am 8. Oktober in Kaschmir - und Rekordschäden für die Assekuranz von über 75 Mrd. US-Dollar kennzeichnen das Naturkatastrophenjahr 2005. Allein Hurrikan Katrina verursachte nach Schätzungen der Münchener Rück versicherte Marktschäden von rund 45 Mrd. US-Dollar und machte eindringlich die erhöhte Sturmgefährdung deutlich. Dennoch werden Naturkatastrophen auch künftig versichert werden können - vorausgesetzt, Preise und Bedingungen halten mit den steigenden versicherten Risiken Schritt.
Die außergewöhnlich aktive und schadenträchtige Hurrikansaison 2005, u. a. mit Dennis, Emily, Katrina, Rita (jeweils im 3. Quartal) und zuletzt Wilma, hat auch die Münchener Rück stärker betroffen als bisher absehbar. Seit der letzten Schätzung vom 7.11. trafen laufend weitere Schadenmeldungen und Schadengutachterberichte ein. Nach Steuern reduzieren die Stürme das Konzernergebnis nun um fast 1,5 Mrd. €. Das sind — bereinigt um die Nettobelastung aus Wilma, die das 4. Quartal betraf — rund 500 Mio. € mehr als bei der Berichterstattung über die ersten drei Quartale kommuniziert. Die Gruppe rechnet vor Steuern und nach Retrozessionen für Katrina mit Aufwendungen von etwas über 1,6 Mrd. € (= 815 Mio. € mehr als bisher geschätzt), für Rita unverändert mit über 250 Mio. € und für Wilma mit rund 330 Mio. €. Insgesamt ergibt sich damit eine Vor-Steuer-Belastung von fast 2,3 Mrd. € nach Retrozessionen. Diese Zahl umfasst jedoch auch eine Vorsorge von mehr als 600 Mio. € für noch nicht gemeldete Schäden (so genannte IBNR-Rückstellungen, die aufgrund der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten gebildet wurden).
Trotz der Rekordschäden aus der Naturkatastrophenserie kann die Münchener-Rück-Gruppe an ihrem Jahresergebnisziel 2005 festhalten. Der Vorstand beabsichtigt, Aufsichtsrat und Hauptversammlung eine gegenüber dem Vorjahr um 1,10 € auf 3,10 € erhöhte Dividende je Aktie vorzuschlagen. Dazu Nikolaus von Bomhard, Vorstandsvorsitzender der Münchener Rück: "Mit dieser kräftigen Dividendenanhebung wollen wir unsere Aktionäre am guten Ergebnis teilhaben lassen. Das Basisgeschäft in der Rück- und Erstversicherung verlief gut, unsere Erstversicherer setzten ihre positive Entwicklung fort und der weitere Abbau von Konzentrationsrisiken bei den Kapitalanlagen führte nicht nur zur angestrebten Verbesserung der Portfoliozusammensetzung, sondern auch zu Veräußerungsgewinnen." Aus dem Tausch von HVB- in UniCredit-Aktien entstand ein Nettogewinn von rund 1,15 Mrd. €.
Die deutlich höhere Belastung der Münchener Rück und der meisten anderen Marktteilnehmer aus Nachmeldungen zum Katrina-Schaden spiegelt sich natürlich auch im Marktschaden. Die Münchener Rück hatte ihn zunächst auf bis zu 30 Mrd. US-Dollar geschätzt, inzwischen geht sie jedoch von rund 45 Mrd. US-Dollar aus. Ein wesentlicher Grund: Erst allmählich wurde das ganze Ausmaß der erheblichen Überschwemmungsschäden erkennbar, die einen breiten Küstenstreifen betrafen und in der Gewerbe- und Industrieversicherung gedeckt sind; sie sind zu einem hohen Anteil rückversichert. Hinzu kommt neben der komplexen Schadensituation, dass New Orleans erst seit Anfang Dezember uneingeschränkt zugänglich ist und deshalb die Betriebsunterbrechungs- und Gebäudeschäden nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung begutachtet werden können. Zusätzlich belasteten die nachfolgenden Stürme Rita und Wilma rückwirkend die Schadenhöhe des vorangegangenen Sturms Katrina; denn sie führten zu einem weiteren Nachfrage- und Kostenschub bei Materialien und Löhnen im Bau und Handwerk, der die bereits eingetretenen Katrina-Schäden noch verteuerte.
Die Analyse 2005 im Überblick
Die volkswirtschaftlichen Schäden in der Folge von Naturkatastrophen schnellten hoch auf eine Rekordhöhe von über 200 Mrd. US-Dollar (davon 125 Mrd. US-Dollar allein durch Katrina) und liegen damit weit über denen des Vorjahres (2004: über 145 Mrd. US-Dollar).
Die versicherten Schäden erreichten mit über 75 Mrd. US-Dollar eine völlig neue Dimension; die bisherige Rekordbelastung von 2004 verdoppelte sich nahezu. Mehr als 60 Mrd. US-Dollar gingen auf das Konto der atlantischen Wirbelstürme. Wie 2004, damals auch im pazifischen Raum, waren es also vor allem Sturmereignisse, die hohe Wertekonzentrationen mit hoher Versicherungsdichte trafen.
Mit rund 650 Schadenereignissen lag die Anzahl der Naturkatastrophen auf Vorjahreshöhe und entsprach dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre.
Die Naturkatastrophen 2005 forderten über 100 000 Todesopfer. So viele Menschen kamen in den letzten 25 Jahren nur 1991 (rund 160 000 Tote, vor allem wegen der Sturmflut Bangladesch) und 2004 (über 200 000 Tote, vor allem wegen der Tsunamikatastrophe) ums Leben. Das Erdbeben vom 8. Oktober 2005 in Kaschmir zählt mit deutlich über 80 000 Toten, ungezählten Verletzten und vielen tausend Obdachlosen zu den schwersten Erdbebenkatastrophen der letzten 100 Jahre (siehe Anlage) und war die größte Naturkatastrophe in der Geschichte Pakistans. Obdachlosigkeit führt in der kalten Gebirgsregion zu besonders ernsten existenziellen Problemen. Die internationale Hilfe ist angelaufen.
Neue Dimension bei Sturmkatastrophen
Die Hurrikane im Atlantik haben 2005 sowohl meteorologisch als auch wirtschaftlich neue Rekordmarken gesetzt. Nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen (1851) entwickelten sich so viele und so starke tropische Stürme und Hurrikane im Atlantik (26) wie diesmal. Der Schaden hängt allerdings nicht nur von Häufigkeit und Intensität der Stürme ab, sondern auch von den betroffenen Wertekonzentrationen.
Die schadenträchtigsten und meteorologisch auffälligsten Sturmereignisse:
- Katrina war — gemessen am Luftdruck — der sechststärkste Hurrikan seit Beginn der Aufzeichnungen. Er verursachte Rekordschäden von etwa 125 Mrd. US-Dollar, davon waren etwa 45 Mrd. US-Dollar versichert.
- Rita, der viertstärkste Hurrikan seit Beginn der Messungen, verursachte in den USA und im Golf von Mexiko Gesamtschäden von etwa 15 Mrd. US-Dollar, davon war mehr als die Hälfte versichert.
- Hurrikan Vince entstand im östlichen Nordatlantik, einer bisher hurrikanfreien Region. Er zog als voll entwickelter Hurrikan an Madeira vorbei und traf in Südspanien auf den europäischen Kontinent, verursachte allerdings nur geringen Schaden.
- Hurrikan Wilma war der stärkste Hurrikan seit Beginn der Messungen. Zuerst in Mexiko und danach bei seinem zweiten Landfall in Florida zerstörte er versicherte Werte von rund 10 Mrd. US-Dollar, die Gesamtschäden lagen bei ca. 16 Mrd. US-Dollar.
- Ende November wurden mit Delta erstmals, seit es meteorologische Aufzeichnungen über tropische Wirbelstürme im Atlantik gibt, die Kanarischen Inseln von einem solchen Sturmereignis getroffen.
- Extrem starke Regenfälle führten im August im nördlichen Alpenraum Deutschlands, Österreichs und vor allem in der Zentralschweiz zu schwersten Überschwemmungen. Für die Schweiz war dies der größte versicherte Naturgefahrenschaden überhaupt. Die Überschwemmungen verursachten volkswirtschaftliche Schäden von insgesamt rund 3 Mrd. US-Dollar, davon sind etwa 1,7 Mrd. US-Dollar versichert.
- Im Januar war bereits Wintersturm Erwin über Nordeuropa gezogen und hatte 5,8 Mrd. US-Dollar volkswirtschaftliche Schäden herbeigeführt, 2,5 Mrd. US-Dollar davon waren versichert.
Assekuranz reagiert auf Katrina
Die Hurrikanschäden der Jahre 2004 und 2005 haben zu einer Neueinschätzung dieses Risikos geführt. Die wissenschaftliche Analyse konzentriert sich auf die Auswirkungen der natürlichen Schwankungen der nordatlantischen Wassertemperatur auf Häufigkeit und Intensität tropischer Wirbelstürme, außerdem hat sie die Folgen der globalen Klimaerwärmung im Fokus. Die Versicherungswirtschaft steht vor der Herausforderung, ihre Modelle zur Einschätzung des Hurrikanrisikos der aktuellen, erhöhten Gefährdungssituation anzupassen.
Die Münchener Rück war bereits vor Katrina aufgrund wissenschaftlicher Studien von einer verstärkten Risikosituation im Nordatlantik ausgegangen. Allerdings haben vor allem die außerordentlichen Schäden der tsunami-ähnlichen Sturmflut entlang der Küste von Louisiana und Mississippi sowie der sprunghafte Anstieg der Kosten für Baumaterialien, Handwerkerlöhne und die Gebühren für die Schadeninspektoren (die erst am Ende einer Hurrikansaison voll abgeschätzt werden können) deutlich gemacht, dass auch das Risikomodell der Münchener Rück erneut anzupassen ist.
San Francisco 1906: Ein Erdbeben erschüttert die Welt
Erdbeben gelten vielen Menschen als die zerstörerischsten Naturgewalten. Auch der Tsunami vom 26. Dezember 2004 wurde von einem Beben ausgelöst. Ein Symbol für ein solches Ereignis, das die weltweite Assekuranz erfasst hat, ist das Erdbeben in San Francisco 1906. Am 18. April liegt dieses Ereignis 100 Jahre zurück.
An jenem Apriltag riss die San-Andreas-Verwerfung über 430 km Länge auf — knapp halb so lang wie die Ausdehnung Kaliforniens. Die Erschütterung der Stärke 7,8 (auf der Richterskala) traf das nahe San Francisco mit voller Wucht. Zwar hielten viele der schon recht massiven Ziegelbauten und auch die relativ flexiblen Holzbauten stand. Allerdings ließ das Beben viele Gasleitungen bersten und Brände entstanden; unter einem starken und trockenen Landwind wurden sie in weiten Teilen der Stadt zu einer verheerenden Feuersbrunst. Die Folgen dieser Katastrophe: Über 3 000 Todesopfer, volkswirtschaftliche Schäden von rund 520 Mio. US$ und versicherte Schäden von 180 Mio. US-Dollar (damalige Werte). Für die internationale Assekuranz war dieses Ereignis eine harte Bewährungsprobe.
Die Münchener Rück war an dem Schaden mit 11 Mio. Goldmark (damals etwa 2,6 Mio. US-Dollar) beteiligt. Gemessen am Geschäftsvolumen ist dieses Schadenereignis für sie die bis heute höchste Belastung aus einer Naturkatastrophe; es kostete sie damals fast 15 % ihres Prämienvolumens. Wegen der sofortigen Zahlungen sowie der schnellen und unbürokratischen Abwicklung der Rückversicherungsansprüche etablierte sich bei den Kunden der Münchener Rück die Redewendung "Thieme is money" — nach dem Gründer und damaligen Chef des Unternehmens.
Seither ereigneten sich zahlreiche verheerende Beben wie zuletzt in Kobe/Japan (1995), in Gujarat/Indien (2001), in Bam/Iran (2003), in Sumatra/Indonesien (2004) und Kaschmir/Pakistan, Indien (2005). Das seit 1906 stärkste Beben in Kalifornien — 1994 in Northridge/Los Angeles mit einer Stärke von 6,7 — verursachte volkswirtschaftliche Schäden von 44 Mrd. US-Dollar und versicherte Schäden von rund 15 Mrd. US-Dollar (damalige Werte).
Ein Beben wie 1906, das statistisch alle 250 bis 300 Jahre eintritt, könnte heute in San Francisco im schlimmsten Fall — trotz aller Vorkehrungen — über 10 000 Todesopfer fordern und volkswirtschaftliche Schäden in einer Größenordnung von 200 Mrd. US$ hervorrufen. Allein der versicherte Sachschaden würde sich auf mindestens 40 Mrd. US-Dollar belaufen.
Agglomerationen wie San Francisco, Mexiko-Stadt, New York oder Tokio sind hochkomplexe Gebilde. Sie schaffen Risiken neuer Art und Dimension — Megarisiken. Tokio und Miami etwa liegen in stark erdbeben- und/oder hurrikangefährdeten Gebieten. Kurz nach der Tsunamikatastrophe hat die Münchener Rück in einem Pressegespräch am 11. Januar 2005 darauf hingewiesen, dass solche Megastädte vor allem Politik und Versicherungswirtschaft vor größte Herausforderungen stellen. Die höhere Transparenz von Schadenpotenzialen und Haftungen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Versicherbarkeit, denn Großschäden sind selbst bei optimaler Prävention nicht auszuschließen.
Risikovorbeugung und -kontrolle sind in Megastädten konsequent weiterzuentwickeln. Die möglichen Schäden aus Naturgefahren, technischen Risiken, Terrorrisiken oder auch Epidemien müssen im Vorfeld identifiziert und modelliert werden. Nur so lässt sich die Versicherbarkeit von Megastadtrisiken herstellen oder erhalten.