Krisenmanagement
Kennen Sie das folgende Zitat?
"Wenn mich jemand fragt, wie ich am besten meine Erfahrungen aus 40 Jahren auf hoher See beschreiben würde, so könnte ich diese Frage lediglich mit 'unspektakulär' beantworten. Natürlich gab es schwere Stürme, Gewitter und Nebel, jedoch war ich nie in einen Unfall jeglicher Art verwickelt, der es wert wäre, über ihn zu berichten. Ich habe während dieser langen Zeit kaum in Schiff in Seenot erlebt ... Ich habe weder ein Wrack gesehen noch bin ich selbst in Seenot geraten oder habe ich mich sonst in einer misslichen Lage befunden, die in irgendeiner Form drohte zum Desaster zu werden."
Sie war der Stolz Großbritanniens. Doch bereits die Jungfernfahrt von Southampton nach New York war ihre letzte Reise. Überhöhte Geschwindigkeit, blindes Vertrauen in die Technik und ein riesiger Eisberg verursachten ein Inferno: Am 14. April 1912 lief der britische Luxusdampfer Titanic kurz vor Mitternacht auf der Jungfernfahrt von Liverpool nach New York auf einen Eisberg auf und sank. Das Schiff galt wegen seiner 16 wasserdichten Abteilungen als unsinkbar, unglücklicherweise durchbohrte der Eisberg fünf davon. Von den 2220 Personen kamen 1513 ums Leben ... einer davon war der Kapitän.
Sein Name war E. J. Smith. Von ihm stammt auch das oben aufgeführte Zitat.
Welche Erkenntnisse können aus dieser Katastrophe gezogen werden?
- Das Schiff ist zu schnell durch gefährliches Gewässer gefahren.
- In den Rettungsbooten war nur Platz für etwa die Hälfte der Passagiere und Mannschaft.
- Das Schiff Californian, die sich in der Nähe des Unglücksortes befand, kam nicht zu Hilfe, weil deren Bordfunker dienstfrei hatte und schlief.
Wie auf den Ozeanen geraten auch in der komplexen Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts vermeintliche Flaggschiffe in akute Seenot. Ob Nokia, Kodak, Schlecker, Enron, Lehman Brothers, Philipp Holzmann oder WorldCom – die Unternehmenslenker erkannten viele Risiken (vor allem strategischer Art) zu spät, ignorierten die Frühwarnindikatoren oder waren schlichtweg korrupt. So ist es nicht verwunderlich, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Unternehmen nur rund 10 bis 15 Jahre beträgt. Insolvenzverwalter und Wissenschaftler verweisen regelmäßig darauf, dass die Mehrzahl der Insolvenzen verhindert werden könnten, wenn Unternehmen Risiken (vor allem strategische) präventiv erkennen würden und adäquate Maßnahmen ergreifen würden.
Krise immer auch Chance
Das chinesische Schriftzeichen für Krise setzt sich aus den Symbolen für Risiko bzw. Krise und Gefahr (危) und Chance (机) zusammen. Nachfolgende Negativbeispiele zeigen, wie Unternehmen in eine akute Unternehmenskrise geraten sind. Viele der Unternehmen haben es schlichtweg verpasst in der Krise eine Chance zu sehen. Voraussetzung hierfür wäre vor allem eine offene und glaubwürdige Kommunikation.
Erinnern Sie sich noch an die folgenden Krisen?
- 1. Juni 1974: Im Chemiewerk der Firma NYPRO in Flixborough (England) bricht ein Brand aus. Noch während des Herausfahrens der Feuerwehrfahrzeuge kommt es zu einer gewaltigen Explosion. Was war passiert? Die Anlage in Flixborough produziert Caprolactam, das für die Herstellung von Nylon gebraucht wird. Zu diesem Zweck erfolgt ein Oxidationsprozess von Hexamethylen (mit Benzin vergleichbar). Bereits im März war am Reaktor 5 festgestellt worden, dass Hexamethylen aus einem Leck (Riss von rund zwei Metern Länge) entwich. Um die Anlage schnell wieder anzufahren, wurde daraufhin entschieden, Reaktor 4 an Reaktor 6 anzuschließen. Die übrigen Reaktoren wurden nicht näher untersucht. Planung und Umbau erfolgten in einem Schnellverfahren. Die Konstruktionszeichnung erfolgte als Kreidezeichnung auf dem Werkstattboden. Eine statische Berechnung wurde nicht durchgeführt. Nach einer Reihe weiterer Betriebsunterbrechungen – die aber als Frühwarnindikatoren ausgeblendet wurde – erfolgte am 1. Juni 1974 eine Explosion mit einer Stärke zwischen 15 bis 45 TNT. Dabei wurde die gesamte Anlage zerstört. Es gab 28 Tote.
- März 1979: Im Atomreaktor Three Mile Island (TMI) in der Nähe von Harrisburg, Pennsylvania, kam es bei Reinigungsarbeiten zu einem Unfall. Durch die Verkettung verschiedener Ursachen in dem komplexen System des Atomreaktors fällt das Kühlwassersystem aus. Auch das Notfallkühlsystem funktioniert nicht. Der Reaktorkern beginnt sich daraufhin sehr schnell bis auf rund 2.750 Grad Celsius zu erhitzen. Der Reaktor wird abgeschaltet.
- September 1982: Im Großraum Chicago sterben sieben Menschen unmittelbar nach Einnahme des Schmerzmittels Tylenol Extra Stark. Zyanid war die Ursache für die Todesfälle. Bei allen Opfern wurden Kapseln mit dem Schmerzmittel Tylenol Extra Stark gefunden. Bei Johnson & Johnson betrug der Umsatzanteil von Tylenol am Gesamtumsatz sieben Prozent. Die US-amerikanischen Medien berichteten in der Folge der Todesfälle sehr intensiv über den Tylenol-Fall. Johnson & Johnson hatte keinen Aktionsplan für die Krisenkommunikation, reagierte aber dennoch dank offener Kommunikationskanäle und eines gutes Markenmanagement sehr professionell auf die Krise. Die Kosten, die durch diese Krise entstanden waren, summierten sich auf über 500 Mio. US-Dollar.
- 3. Dezember 1984: Bei Union Carbide of India, Ltd, Bhopal explodiert der Tank mit der verflüssigten Pestizid-Komponente Methylisocyanat (MIC). 40 Tonnen MIC verdampfen. Ein Alarm wird nicht ausgelöst. 2.000 bis 10.000 Menschen sterben. Mehrere Hunderttausend werden verletzt. Es entstehen große Umweltschäden. Ausreichende Notfall- oder Katastrophenpläne existieren nicht.
- 24. März 1989: Der 300 Meter lange Öltanker Exxon Valdez läuft im Prince William Sound (Alaska) auf Grund. Der Kapitän, der alkoholkranke Joseph Hazelwood, war zu diesem Zeitpunkt betrunken und befand sich in seiner Koje. Die Verantwortung auf der Brücke hatte der durch hohes Arbeitsaufkommen und mangelnde Ruhe vor seiner Wache vermutlich übermüdete Dritte Offizier Gregory Cousins. Er versäumte es, nach einer Abweichung vom normalen Reiseplan die Exxon Valdez – wie zuvor mit dem Kapitän abgesprochen – auf einen sicheren Kurs zurückzuführen. Kurz nach Mitternacht lief es auf das Bligh-Riff im Prinz-William-Sund vor Süd-Alaska auf. 40 Millionen Liter Öl laufen aus. Eine der größten Umweltkatastrophen der Welt wird ausgelöst. Exxon kostet diese Ölkatastrophe mehr als 8 Mrd. US-Dollar.
- 26. April 1986: In Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prypjat ereignet sich eine schwerwiegende nukleare Katastrophe. Bei einer durchgeführten Simulation eines vollständigen Stromausfalls kam es auf Grund schwerwiegender Verstöße gegen die geltenden Sicherheitsvorschriften sowie der bauartbedingten Eigenschaften des mit Graphit moderierten Kernreaktors vom Typ RBMK-1000 zu einem unkontrollierten Leistungsanstieg, der zur Explosion des Reaktors führte. Innerhalb der ersten zehn Tage nach der Explosion wurde eine Aktivität von mehreren Trillionen Becquerel freigesetzt. Die so in die Erdatmosphäre gelangten radioaktiven Stoffe kontaminierten infolge radioaktiven Niederschlags hauptsächlich die Region nordöstlich von Tschernobyl sowie viele Länder in Europa.
- Ab dem 11. März 2011: Im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima) begann in der Folge des Tōhoku-Erdbeben eine Reihe katastrophaler Unfälle und schwerer Störfälle und lief gleichzeitig in vier von sechs Reaktorblöcken ab. In Block 1 bis 3 kam es zu Kernschmelzen. Große Mengen an radioaktivem Material wurden freigesetzt und kontaminierten Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel in der land- und meerseitigen Umgebung. Ungefähr 100.000 bis 150.000 Einwohner mussten das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Hunderttausende in landwirtschaftlichen Betrieben zurückgelassene Tiere verendeten. Vier von sechs Reaktorblöcken des Kraftwerks wurden durch die Unfälle zerstört. Die Entsorgungsarbeiten werden voraussichtlich 30 bis 40 Jahre dauern. Die Katastrophe führte weltweit zu einer zunehmenden Skepsis gegenüber der zivilen Nutzung der Kernenergie.
Typischer Krisenverlauf
Kennzeichen aller obigen Ereignisse ist die Feststellung, dass Unternehmen und auch Gesellschaften sehr schnell in eine Krisensituation geraten können.
Ausgehend von einem konkreten Krisenverlauf werden nachfolgend die Bereiche
- Krisenprävention;
- Frühaufklärung, Früherkennung und Frühwarnung;
- Schadensbegrenzung;
- Beseitigung der negativen Folgewirkungen und
- Lernen aus der Krise (Krisennachbereitung)
überblicksartig skizziert.
Krisenprävention
Bei der Krisenprävention geht es um die Frage, welche Maßnahmen eingeleitet wurden, um eine potentielle Krise zu vermeiden oder auch eine akute Krise in die richtigen Bahnen zu lenken. Krisenprävention hat vor allem etwas mit Krisenbewusstsein zu tun. Beispielsweise werden mit Hilfe einer Szenarioanalyse ("Was wäre wenn"-Analyse) potenzielle Krisenursachen untersucht. Ziel ist unter anderem die Erstellung eines Krisenplans, um beim Eintritt potenzieller Krisenszenarien möglichst rasch reagieren zu können. Wichtig sind hierbei vor allem auch klare Aussagen zur Krisenkommunikation und zu Verantwortlichkeiten. Der Krisenplan sollte nicht als starre Prozessdefinition verstanden werden. Um bei einer sich anbahnenden Krise schnell zu reagieren, können beispielsweise "Darksites" im Internet helfen. Diese werden im Krisenfall online geschaltet.
Frühaufklärung, Früherkennung und Frühwarnung
Im Bereich der Frühaufklärung sollte ein Unternehmen versuchen, noch so schwache Signale für eine Krise abzufangen und über mögliche Krisenursachen aufzuklären. Im Bereich der Früherkennung und -warnung sollten typische Krisenindikatoren beim Überschreiten klar definierter Toleranzgrenzen rechtzeitig erkannt werden und latente Krisen in die richtigen Bahnen gelenkt werden.
Schadensbegrenzung
Welche Maßnahmen wurden nach Eintritt der Krise zur Schadensbegrenzung ergriffen? Hier kann ein präventiv erstellter Krisenplan wertvolle Hilfe leisten. In der Prozessphase der Schadensbegrenzung ist insbesondere eine gezielte Krisenkommunikation wichtig. So sind beispielsweise in der Vergangenheit aufgebaute Netzwerke zu Medien nicht zu unterschätzen.
Beseitigung der negativen Folgewirkungen
Wie können die negativen Folgewirkungen einer Krise beseitigt werden? Wie erreicht man das Vertrauen der Kunden oder Shareholder zurück? Auch in dieser Phase spielt eine gezielte Kommunikation eine ganz wesentliche Rolle.
Lernen aus der Krise (Krisennachbereitung)
Nach einer Krise sollten Unternehmen aus der Krise lernen. Dies spiegelt das chinesische Schriftzeichen für "Krise" wider, dass sich aus den Symbolen für Risiko und Chance zusammensetzt.
Schweigen ist Silber – Reden ist Gold
- Durch Nichtstun entsteht eine "Never-ending Story".
- Mangelnde Kommunikation in der Krise engt den Handlungsspielraum für weiteres Agieren ein.
- Negative Medienresonanz ähnelt einem Domino-Effekt und weist dadurch eine zunehmende (eventuell nicht mehr kontrollierbare) Dynamik auf.
- Nichtstun verunsichert Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Banken etc.
- Anfängliches "Mauern" anstatt zu kommunizieren vergrößert das Ausmaß und verzögert die Dauer der Krise.
Offensives Kommunizieren ...
- ... bedeutet nicht in der Sache nachzugeben,
- ... hilft zu Agieren anstatt zu Reagieren und
- ... schafft Vertrauen bei allen Beteiligten.
Gut gesagt ist halb überzeugt ...
Fehler in der Krisenkommunikation entstehen nicht selten durch:
- nicht autorisierte bzw. abgestimmte Stellungnahmen,
- falsche (bzw. halbwahre) Informationen/Daten in den Stellungnahmen,
- Diskrepanz zwischen dem Handeln auf der Sachebene und den kommunizierten Inhalten.
Weiterführende Literaturhinweise:
- Garth, A. J. (2008): Krisenmanagement und Kommunikation, Wiesbaden 2008.
- Krystek, U. (1987): Unternehmenskrisen: Beschreibung, Vermeidung und Bewältigung überlebenskritischer Prozesse in Unternehmungen, Wiesbaden 1987.
- Steinke, L. (2014): Kommunizieren in der Krise - Nachhaltige PR-Werkzeuge für schwierige Zeiten, Wiesbaden 2014.
- Töpfer, A. (1999): Plötzliche Unternehmenskrisen – Gefahr oder Chance? Neuwied/Kriftel 1999.