Bereits im Jahr 1817 prognostizierte der nach Sankt Helena verbannte Napoleon: "China ist ein schlafender Löwe, lasst ihn schlafen! Wenn er aufwacht, verrückt er die Welt." China ist längst aufgewacht und aktuell – wie von Napoleon vorhergesagt – dabei, die Welt zu verändern. Dass China zur Weltmacht aufsteigt, können wir nicht verhindern. Selbst wie China aufsteigt, können wir kaum beeinflussen. Aber wir können uns darauf einstellen und eine geschickte Strategie wählen, mit der wir in der Lage sind, unsere Interessen zu vertreten.
Der Westen steht in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts vor immensen Herausforderungen. In Deutschland wird über Themen wie Flüchtlingskrise, Digitalisierung und den rüderen Umgang Amerikas mit seinen Partnern gejammert. Obwohl der Übergang von Trump zu Biden im Weißen Haus zwar den Tonfall normalisiert hat, wird an der stärkeren Amerika-zentrierten Politik Washingtons wohl nicht gerüttelt werden. Ob wir wollen oder nicht: All dies sind lediglich die Begleiterscheinungen eines größeren globalen Epochenwandels. Der Aufstieg Chinas betrifft uns in vielerlei Hinsicht.
Um China besser zu verstehen, bedarf es zuerst eines Blicks in seine Historie. Dabei zeigt sich das chinesische Selbstverständnis, wonach die Volksrepublik nicht aufsteigt, sondern nur ihren legitimen Spitzenplatz wieder einnehme. Schließlich war das Land gemäß seinem Selbstverständnis nach nie wirklich weg.
Der Kampf um die globale Hegemonie zwischen China und den Vereinigten Staaten ist hauptsächlich ein Kampf der unterschiedlichen Systeme. China versucht, insbesondere durch das Projekt der Neuen Seidenstraße, seine Macht über wirtschaftliche Abhängigkeiten zu steigern und (zumindest bisher) nicht über militärische Interventionen, wie dies die USA häufig in der Vergangenheit vorgemacht hatten. Die beiden zentralen Ziele sind einerseits wirtschaftliche Dominanz, andererseits Autarkie, was technologische Importe angeht. China möchte auch eine Technologie-Supermacht werden und nicht mehr die verlängerte Werkbank der Welt sein.
Über allem steht dabei die nationale Identität und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh), deren Legitimation sich über das Wohlstandsversprechen ergibt. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass China zum Wachstum verdammt ist. Um es mit Zahlen zu untermauern: China braucht real acht Prozent Wachstum, um 20 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es gibt bereits erste Stimmen, die unken, dass China alt wird, bevor es reich wird. Aufgrund der jahrelangen Ein-Kind-Politik ist die Alterspyramide gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten und es besteht ein erhebliches demografisches Risikopotenzial. Im Jahr 2030 fehlen dem chinesischen Arbeitsmarkt rund 60 Millionen Menschen und es soll nach aktuellen Prognosen ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein, ohne in den meisten Fällen eine vernünftige Altersvorsorge zu haben, denn es wird bereits gemutmaßt, dass die Sozialversicherung 2035 zahlungsunfähig sein könnte.
Sollte sich dies bewahrheiten, dürften die nächsten zehn Jahre der letzte Versuch Chinas bleiben, die Vereinigten Staaten einzuholen. Es hängt dabei maßgeblich vom Westen ab, inwiefern sich die Neue Seidenstraße als zu frühe imperiale Überdehnung der Volksrepublik erweist, die eine gigantische Kreditblase erzeugt, die irgendwann platzen wird, oder ob China durch eine intelligente Nutzung die Instrumentarien der Globalisierung zu gemeinsamen Win-win-Situationen ausgestaltet.
China hat dabei nie einen Hehl aus seinen Ambitionen gemacht. Ganz im Gegenteil: Es war so transparent wie kaum ein Land, wurde allerdings sehr lange nicht ernst genommen, als es noch weniger bedeutend erschien.
Die Entwicklung Chinas ist in der Vergangenheit bereits vielfach ganz anders verlaufen, als dies im Westen erwartet worden war. Insbesondere die Erwartung, dass der "Wandel durch Handel" dazu führt, dass China zu einer lupenreinen Demokratie westlicher Prägung werden würde, war dabei eine der zentralsten Fehleinschätzungen. Wir sollten die Entwicklung Chinas deshalb genau verfolgen. Dabei sollten wir auch nach Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkten schauen. Außerdem sollten wir kritisch prüfen, in welchen Bereichen China erfolgreicher ist als wir, etwa in Bezug auf langfristige Planungen oder auch die Fokussierung auf Zukunftstechnologien, denen mittels intelligenter Industriepolitik zum Durchbruch verholfen werden kann. Es ist alles andere als sicher, dass wir unsere wirtschaftliche Komfortzone auch in den nächsten Jahrzehnten beibehalten. Vielmehr sorgt in Anlehnung an den Ökonomen Joseph Schumpeter die "schöpferische Zerstörung" dafür, dass wir uns immer wieder neu erfinden müssen. Die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel erkannte dabei nicht nur sicherheitspolitisch, sondern eben auch in Bezug auf unsere wirtschaftliche Spitzenpositionierung und die technologische Expertise: "Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen. Wir müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen."
Das vorliegende Buch ist weniger eine exakte Prognose, wie die Zukunft aussehen wird, sondern möchte vielmehr die "unbekannte Weltmacht ante portas" im Fernen Osten nahbarer und verständlicher machen. Wer die Geschichte und bestimmte Entwicklungen kennt, kann nicht nur besser nachvollziehen, warum China handelt, wie es handelt, sondern auch mögliche zukünftige Entwicklungen – sowohl Chancen als auch Konflikte – frühzeitig(er) antizipieren.
Das Buch besticht durch seine klare und anschauliche Sprache. Es beinhaltet alle wichtigen Punkte, um die Volksrepublik zu verstehen. Angefangen bei der chinesischen Historie bis hin zum Giga-Projekt Neue Seidenstraße oder anderer Langfristpläne wie etwa der "Made in China 2025"-Strategie durch Reduzierung China von Importen. Es ist eine Pflichtlektüre nicht nur für China-Profis, sondern auch für Neulinge, die die unbekannte Weltmacht "ante portas" besser verstehen möchten. Dabei können sowohl einzelne Kapitel quergelesen werden, als auch ein Komplettstudium des gesamten Buchs vorgenommen werden.