Eines vorweg: Der private Rettungsschirm ist keine Anleitung für gesellschaftliche Aussteiger (auch wenn die Inhalte des Buches dies in Teilen suggerieren), sondern vielmehr ein Buch über das persönliche und präventive Risikomanagement in Zeiten der Krise. Wie können wir uns auf eine wahrscheinlich unangenehme Zeit vorbereiten, in der wir nach mehr als zehn Jahren Reallohnverlust mit weiteren (großen) Wohlstandseinbußen rechnen müssen. Die Autoren appellieren mit ihrem Buch, dass wir die Zeit bis zum Kollaps konstruktiv für den Aufbau des eigenen privaten Rettungsschirms nutzen sollten.
Wir sind im Jahr fünf der Finanzkrise. Leider ist eine Lösung in weite Ferne gerückt, da vor allem die Ursachen nicht wirklich angegangen werden. Schulden werden in Europa mit Schulden bekämpft, und das Kartenhaus aus Krediten und Bürgschaften wird immer fragiler, die Konstruktionen immer waghalsiger. Und die Autoren sind sich sicher: Die Bürger bezahlen die Rechnung; in Form steigender Steuern und Abgaben, geringerer staatlicher Leistungen und letztlich auch durch Enteignung, wenn die Preise steigen und die Zinsen weiter von den Zentralbanken künstlich niedrig gehalten werden.
Wahrscheinlicher ist, dass die wenigen übrig gebliebenen "Zahlernationen" die Verbindlichkeiten der Schuldner nach und nach übergestülpt bekommen, bis sie in einer ähnlich schlechten Lage sind wie die heutigen Krisenländer. Ein Dilemma: Eine Fortführung der bestehenden Euro-Union wird für Deutschland immer teurer; doch jeder Ausschluss eines überschuldeten Mitgliedstaats wäre ebenfalls mit hohen Folgekosten verbunden.
"Die Bürger der westlichen Welt müssen mit einem Systembruch rechnen. Sein Ausgang kann zwar nicht seriös vorhergesagt werden. Der Übergang wie auch die Zeit danach bedeuten in jedem Fall für die große Mehrheit der Menschen eine gewaltige mentale Umstellung", schreibt Vermögensberater Peter Boehringer und widmet sich in seinem Kapitel der geistigen Vorbereitung auf die anstehenden Veränderungen, die eine alternative Geldanlage-Strategie genauso nötig werden lassen wie eine persönliche Vorsorge und den Willen, unabhängiger zu werden von den Strukturen des bestehenden Systems.
Vorsorgeexperte Gerhard Spannbauer rät dazu, sich für unruhige Zeiten ein Sicherheits- und Vorratskonzept aufzubauen. Seine Empfehlungen gehen dabei wesentlich über das hinaus, was Verbraucherschutzministerium und Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe seit Jahren bereits zum Schutz vor Naturkatastrophen, längeren Stromausfällen oder Reaktorunglücken vorsehen. Die ehemalige Kapitalmarktanalystin und Selbstversorgerin Christine Illing hat ihr Leben bereits erfolgreich umgestellt. Sie beschreibt, wie Sie es Stück für Stück und ohne größeren Aufwand schaffen können, Ihren bisherigen Lebenswandel zu verändern und Qualitäten und Fertigkeiten (wieder-)zuerlangen, die für die Generation unserer Großeltern noch selbstverständlich waren.
Fazit: Wer sich dem aktuellen Teufelskreis entziehen will, sollte sich mit den Szenarien und Handlungsempfehlungen beschäftigen, die aus unterschiedlichen Perspektiven im Buch skizziert sind. Welche Werte sind wichtig, welche Qualitäten lohnt es sich zu erlernen? Welche Geldanlagen sind über die Krise hinaus wertstabil und wie geht sinnvolle Vorsorge? "Der private Rettungsschirm" ist ein Ratgeber für ein präventives und persönliches Krisen- und Risikomanagement. Zum Perspektivenwechsel unbedingt lesen!
Autor der Rezension: Frank Romeike
Interview der RiskNET-Redaktion mit Simone Boehringer
RiskNET: Unruhige Zeiten, hektische Zeiten. Im Zuge der Finanzkrise mit schwächelnden Banken und taumelnden Staaten suchen Politik und Wirtschaft verzweifelt nach Wegen aus der Krise. Beschlüsse werden getroffen und wieder verworfen, Abstimmungen angekündigt und wieder abgesagt. Professionelles Krisenmanagement oder gar präventives Risikomanagement sieht anders aus. Die Krisenländer Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien sitzen auf rund zwölf Billionen Euro an Staats- und Bankschulden. Eine Lösung liegt in weiter Ferne.
Aber eines ist klar: Leistungseinschränkungen seitens des Staates und höhere Steuern und Abgaben. In diesem Kontext plädieren Sie für private und regionale Netzwerke, mehr Eigen- statt Fremdvorsorge. Sehen Sie heute Entwicklungen, die einen solchen Trend zum "Selber-in-die-Hand-nehmen" bestätigen?
>> Simone Boehringer: Ja, sehr viele. In dieser Finanzkrise wird permanent geltendes Recht gebeugt oder sogar gebrochen, aus der bloßen Angst heraus, dass das Finanzsystem zusammenbrechen könnte, wenn die Politiker dies nicht tun. Das war so bei der Nichtbeachtung der Nichtbeistandsklausel ("No bail out") in den Europäischen Verträgen. Jetzt ist es wieder so bei der Gesetzesvorlage zum ESM, wo den Abgeordneten bis zuletzt nur ein Lückentext vorlag, just dort, wo die für die Deutschen besonders wichtige Parlamentsbeteiligung geregelt werden sollte, las man bis zur letzten Abstimmung im Bundestag nur … (Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen). Ohnehin entscheiden die nationalen, demokratisch legitimierten Parlamente immer erst im Nachgang zu europäischen Beschlüssen, da können sie meist nurmehr abnicken, was Staatschefs sich ausgedacht haben, und nicht mehr gestalten und hinterfragen, wie es eigentlich ihre Aufgabe wäre.
Auf ein solches Staatswesen können sich die Bürger nicht mehr verlassen. Zumal die Bundesrepublik mit den ganzen sogenannten "Rettungsschirmen" und anderer Maßnahmen inzwischen so stark in der Haftung ist(EFSF, ESM, Target-2-Kredite der Bundesbank, Bundesbankaufkäufe von Staatsanleihen), dass es ohnehin nur noch die Wahl zwischen einer schlechten oder einer ganz schlechten Lösung für die finanzielle Zukunft Europas gibt. Der Streit geht nun darum, welche Lösung von beiden die weniger katastrophale ist.
Jeder Risikomanager, der ein Unternehmen so weit bringt, dass die Alternativen derart miserabel sind, wäre längst gefeuert und hätte obendrein womöglich noch einen Prozess wegen mutwilliger Pflichtverletzung am Hals. Nicht so die Politik …
Die andere große Bedrohung neben dem überforderten und bald auch überschuldeten Staat ist die nach wie vor zu wenig an die Kandare genommene Finanzbranche. Insgesamt ist die Diversifikation im Finanzsektor so weit gediehen, dass ein großer Teil der Finanzgeschäfte jeglicher realer Basis entbehrt. Es waren Derivate von Derivaten (vulgo: verbriefte Produkte), die uns anfangs in die US-Hypothekenkrise und nun immer tiefer in diese ausgewachsene Finanzkrise der westlichen Welt getrieben haben. Die Interdependenzen an den realen Märkten sind erwünscht und internationale Arbeitsteilung ist nachweislich wohlfahrtssteigernd. Entfernen sich aber Teile der Wirtschaft völlig von ihren realwirtschaftlichen Wurzeln, um aus geliehenem und gehebeltem Geld noch mehr Profit zu schlagen, ist das eine Diversifikationsstufe, die zu weit geht und obendrein ganze Gesellschaften gefährdet, wie wir ja nun schmerzlich lernen, da uns ständig in Erinnerung gerufen wird, dass die Banken zu groß sind, um sie sterben zu lassen ("to big to fail"). Die richtigen Lehren aus dieser Erpressungssituation werden indes nicht gezogen: Die mehrfach geforderte stärkere Regulierung findet bis auf Stresstests und der Verpflichtung zu höheren Eigenkapitalquoten kaum statt. Auch die von Ex-Fed-Chef Paul Volcker empfohlene und in den USA heiß diskutierte Trennung in solide Sparerbanken und moderne Zockerbanken findet bislang keinen Eingang in die aktuelle Regulierungspolitik der US-Regierung.
RiskNET: Die offizielle Staatsverschuldung wird mit rund 2.042.000.000.000 Euro angegeben. Bei dieser Zahl wird aber ausgeblendet, dass die explizite und implizite Verschuldung des Staates - würde er eine Bilanz aufstellen - viel höher ist. Experten gehen - in einem optimistischen Szenario - von rund 9 Billionen Euro aus. Die eigentliche Finanzkrise steht uns noch bevor, oder?
>> Simone Boehringer: Diese Krise hat 2007 schwelend begonnen, wird halbherzig gelöscht und kommt dann stets in der nächsten Runde mit einem noch größeren Brand wieder. Die Rettungssummen werden dabei immer größer, die volkswirtschaftlichen Schäden im Falle eines Scheiterns auch. Die Phasen zwischenzeitlicher Ruhe werden immer kürzer und müssen zudem mit immer mehr Geld bzw. Krediten und Garantien erkauft werden. Wie lange das noch gut geht, hängt vom Beschleunigungsgrad der Schuldeninflationierung ab, ein gutes Timing kann wohl niemand seriös prognostizieren. Allerdings: Wenn die Marktteilnehmer in Summe das Gefühl haben, dass das inzwischen garantierte Schuldenvolumen größer wird als die Vermögensmasse des größten Kreditgebers (Deutschland), wird der jetzt schon beobachtbare Vertrauensschwund in den Euro sich rapide beschleunigen. Das ist dann das Ende der Euro-Union, wie wir sie kennen, mit einer wahrscheinlich folgenden turbulenten Zeit an den Kapitalmärkten.
RiskNET: Vor diesem Hintergrund lautet eine der Hauptbotschaft des Buches: Vertrauen Sie auf sich selbst und nehmen Sie das Ruder selbst in die Hand. Setzen Sie Ihr eigenes Risikomanagement um. Ein wenig liest sich "Der private Rettungsschirm" wie eine Anleitung für Aussteiger (siehe beispielsweise den Beitrag von Christine Illing). Das war aber eigentlich gar nicht das Ziel des Buches, oder?
>> Simone Boehringer: Das Buch ist in erster Linie eine Einladung an die Leser, sich mental und praktisch mit den möglichen Folgen eines staatlichen Scheiterns auseinanderzusetzen. Die meisten westlichen Länder leben von der Hand in den Mund. Mittel, die sie heute über den Anleihenmarkt aufnehmen, sind morgen schon verplant. Von einer geordneten Schuldenrückführung sind die meisten Staaten, übrigens ja auch die USA, meilenweit entfernt. Auch die Bundesrepublik gehört zu den eifristen Kreditnehmern am Kapitalmarkt.
Was aber bedeuten solche Umstände für meine Familie, meinen Job, meine Ersparnisse und meine Lebens- und Arbeitsperspektiven?
Wer dabei zu dem Schluss kommt, dass er oder sie sich wieder mehr Dinge selbst erarbeitet statt andere dafür teuer bezahlen zu müssen, ist im Zweifel ein sparsamer Realist, kein Aussteiger. Ebensowenig derjenige, der ein Crash-Szenario immer noch für denkbar hält und sich deshalb ein paar Vorräte ins Haus legt, um für mögliche Bankfeiertage oder sonstige Übergangsszenarien gut gerüstet zu sein. Oder anders gefragt: Was bringt es einem, sein Geld vor der Krise sicher verwahrt zu haben, aber vielleicht wegen einer Jobkündigung in der Rezession plötzlich planlos und depressiv zu werden? Wer sich geistig vorbereitet auf mögliche schwerere Zeiten und sich einlässt auf neue Perspektiven, ist zeitlich wie inhaltlich besser vorbereitet auf die nächsten Wendungen der Krise als das Gros der Bürger.
RiskNET: Was sind die wesentlichen Elemente des privaten Rettungsschirms?
>> Simone Boehringer: Flexibles Denken und Handeln, Lern- und Veränderungsbereitschaft und der Wille, mehr Dinge im Leben selbst bestimmen/planen zu wollen statt es dem Zufall oder dem Staat zu überlassen; das sind die grundlegenden Charaktereigenschaften, die jemand mitbringen muss für ein stärker eigenverantwortliches Leben in der Krise. Ein wenig Kapital wäre auch nicht schlecht, und keine hohen Schulden, bitte! Denn für Menschen, die beim nächsten Jobangebot in der eigenen oder auch einer anderen, fachfremden Branche, auf jeden Cent gucken müssen am Ende des Monats, schränken ihre Möglichkeiten gleich bei der Suche nach anderen Jobs deutlich ein.
Eine konstruktive Einstellung zum Thema ist die halbe Miete. Die andere Hälfte besteht aus der richtigen Anlage- und Lebensstrategie. Der amerikanische Rohstoff-Investor Jim Rogers rät Investmentbankern schon seit Jahren, lieber Bauer zu werden. Soweit muss man derzeit meines Erachtens nicht gehen, zumal ja auch nicht jeder zum Landwirt taugt. Seine sonstigen Qualifikationen neben dem jeweils aktuellen Job mal zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren, ist auf jeden Fall ein richtiger und wichtiger Teil der Krisenvorsorge.
RiskNET: Der Anfang dieses Jahres veröffentlichte Bericht Global Risks 2012 des World Economic Forum verdeutlicht die Anfälligkeit der globalen Welt gegenüber weiteren Wirtschaftsturbulenzen und sozialen Verwerfungen. So skizziert der Report das Szenario des Dystopie, d. h. einer Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt und in der Regel charakterisiert ist durch eine diktatorische Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. Die Analyse der verschiedenen miteinander verknüpften globalen Risiken gelangt zum Schluss, dass eine Konstellation fiskalpolitischer, demografischer und gesellschaftlicher Risiken zu einer dystopischen Zukunft für die Mehrheit der Menschen führen könnte. Die Wechselwirkungen zwischen diesen Risiken könnten eine Realität schaffen, in der eine große, junge Bevölkerung einer chronischen, hohen Arbeitslosigkeit gegenübersteht, während gleichzeitig die größte Anzahl Rentner in der Geschichte überhaupt von bereits stark verschuldeten Regierungen abhängt. Der Report schließt mit dem Fazit, dass die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel geraten könnte, der durch Protektionismus, Nationalismus und Populismus noch verstärkt würde, wenn keine realisierbaren Alternativmodelle aufgezeigt werden.
Ist "Der privaten Rettungsschirm" ein solches Alternativmodell?
>> Simone Boehringer: Der private Rettungsschirm skizziert keinen gesellschaftlichen Gegenentwurf. Das wäre nochmal ein eigenes Buch wert. Der Rettungsschirm zeigt vielmehr für die einzelnen Bürger Mittel und Wege, selbst beziehungsweise mit der Familie auch bei widrigen Umständen gut und einigermaßen zufrieden leben zu können. Es ist insofern ein Risikomanagement-Buch für Privatleute in der Krise. Die Idee, auch mal für längere Zeiträume materiell mit weniger zurechtzukommen, ist doch für viele der heutigen Leistungsträger völlig neu. Sie sind nach dem Krieg aufgewachsen und aufgestiegen, vor allem materiell. Dieses Denken des sich stets Verbessern Wollens ist bei vielen fest verankert. Wenn man ihnen sagen würde, dass sie die nächsten zehn Jahre sukzessive Liebgewonnenes streichen müssen, weil ihnen die (Real-)Löhne durch eine Rezession oder aber auch per Inflation gekürzt werden, verlören viele die Orientierung im Leben, manche würden depressiv und wieder andere aggressiv. Wer auf negative Veränderungen eingestellt ist und sich vorbereitet hat, kommt – hoffentlich – besser mit neuen Lebensumständen zurecht. Und manche finden für sich und ihre Familie vielleicht auch die berühmte Chance in der Krise.
RiskNET: Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Boehringer.
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