Wenn Sie den Begriff "Stresstest" in Google eingeben, erhalten Sie einen Fragebogen, der am Ende Ihr persönliches Stresslevel bestimmt. Ein Stresstest für eine Finanzinstitutionen (oder jüngst auch für ein Atomkraftwerk) ist ähnlich: Er belastet das Unternehmen und prüft, ob es gesund genug ist, um zu bestehen.
Aus Sicht des Risikomanagements ist ein Stresstest eine gute Sache. Sie ist zukunftsorientiert und gibt Einblicke in die Risikobereitschaft einer Bank. Dies wäre nur mit statischen Daten der Rechnungslegung gar nicht möglich. Darüber sind mit dem Instrument die verschiedenen Bereiche der Bank (Finanzen, Steuerung, Controlling, Risiko) gefragt, um die Geschäfte der Bank ganzheitlich zu betrachten.
Dennoch weist das Instrument eines Stresstests noch viel mehr Facetten auf. Einen im Februar 2022 veröffentlichten Sammelbandes "Handbook of Financial Stress Testing" ist es zu verdanken, alles rund um das Thema Stresstest zu erfahren. Die Herausgeber wollten eigentlich zum zehnten Jahrestag der Finanzkrise den aktuellen Stand der Finanzstresstests zusammenstellen.
Zum zehnten Jahrestag der Finanzkrise und insbesondere zum zehnten Jahrestag des US-Bankenstresstests von 2009 hielten wir es für einen guten Zeitpunkt, sowohl einen Rückblick als auch den aktuellen Stand der Finanzstresstests zusammenzustellen. Mit dem Erfolg der Stresstests in Krisenzeiten wurde dieser Ansatz auch in normalen Zeiten zum Mittel der Wahl für Aufsichtsbehörden und Risikomanager von Banken.
Ziel des Handbuchs ist es, politischen Entscheidungsträgern, Praktikern, Wissenschaftlern und Studenten einen umfassenden Blick auf Finanzstresstests zu gewähren. Hierfür sind Experten und führende Wissenschaftler aus einer Vielzahl von Ländern, beruflichen Hintergründen und Disziplinen angetreten, eine kritische Betrachtung der Stresstests aus ihrem jeweiligen Blickwinkel beizusteuern. Im Ergebnis liegt eine reichhaltige Sammlung von Erkenntnissen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die mögliche Zukunft von Stresstests vor. Und noch wichtiger: die Lektüre der fünf Teile hat einen unmittelbaren praktischen Nutzen.
Der erste Teil, Geschichte und Ziele, beginnt mit einer Diskussion über die Ziele und Herausforderungen von Stresstests. Richard J. Herring und Til Schuermann erläutern die Motivation für die Krisenbewältigung und stellen einige der grundlegenden Ideen vor, die im gesamten Handbuch vertieft werden. Dabei geht es auch um die Unterscheidung in mikroprudenzielle (Widerstandsfähigkeit von Banken) und makroprudenzielle (Widerstandsfähigkeit von Banken und Finanzsystemen), Offenlegungsregelungen und Herausforderungen (z. B. der Fokus auf Kapital statt auf Liquidität). Sie stellen sechs grundlegende Entscheidungen bei der Strukturierung eines Stresstests vor: (1) die Gestaltung von Stressszenarien; (2) die zu betonenden Risikopositionen; (3) das Spektrum der zu testenden Institute, die Länge des Szenarios und die Intervalle, in denen Schocks gemessen werden;(4) die Entwicklung von Modellen, um Schocks in Ergebnisse und Auswirkungen auf die einzelnen Finanzinstitute und das Bankensystem umzuwandeln; (5) die Wahl der Kriterien, anhand derer bestimmt wird, ob Banken den Stresstest bestehen oder nicht; und (6) die Entscheidung darüber, was der Öffentlichkeit mitgeteilt werden soll.
Das in der Praxis zu beobachtende Phänomen ist hier relevant, dass die richtigen Szenarien zum richtigen Zweck passen müssen. Je extremer die Stressszenarien werden, desto mehr fließen sie in die Sanierungsplanung der Banken ein, wo drastischere Maßnahmen, wie beispielsweise der Verkauf eines Geschäfts, erforderlich sein können, um die Bank zu sanieren. An der Grenze kann ein Stress so schwerwiegend sein, dass er die Bank über den Punkt der Nichtlebensfähigkeit hinaustreibt, was bei vielen Banken der Ansatz für die Abwicklungsplanung ist. Dieses Stresskontinuum, das von relativ milden Stresssituationen für das tägliche Risikomanagement bis hin zu einer geordneten Abwicklung reicht, setzt eine Reihe konsistenter interner Limits, Eskalationsprotokolle und entsprechender Gegenmaßnahmen voraus (vgl. Abb. 01). Die Autoren empfehlen, rückwärts zu arbeiten: Nachdem der Punkt der Nichtlebensfähigkeit für die Abwicklungsplanung festgelegt wurde, was ist dann der Punkt, an dem das Management das Glas zerbrechen und einen Sanierungsplan umsetzen muss?
Abb. 01: Stresskontinuum
Eine Autorengruppe um Andrew Haldane von der Bank of England plädieren für eine Weiterentwicklung systemweiter Stressteste. Für die makroprudenzielle Politikgestaltung ist notwendig, so die Autoren, doch müssten solche Stresstests eine eingehendere Untersuchung der "empirischen und theoretischen Grundlagen für die Modellierung des Verhaltens von Instituten" und die Einbeziehung einer breiteren Palette von Märkten beinhalten. Sie betonen ferner, dass solche Stresstests damit beginnen sollten, die sich entwickelnde und globale Natur der Finanzmärkte sowie ihre Rückkopplungen mit der Realwirtschaft zu berücksichtigen. Um Selbstgefälligkeit vorzubeugen, könnten explorative Szenarien verwendet werden, um unerforschte Tail-Risiken in Stresstests zu erfassen, für die es keinen historischen Präzedenzfall gibt.
Im zweiten Teil, Inputs und Outputs, geht es um einige der wichtigen Bestandteile und Ergebnisse von Stresstests. Die ersten beiden Kapitel geben einen Einblick in die Herausforderungen bei der Gestaltung von Szenarien aus einer Systemperspektive, die eine Aufsichtsbehörde mit mikro- oder makroprudenzieller Ausrichtung angehen muss. Marco Gross, Jérôme Henry und Elena Rancoita geben einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Entwicklung makroökonomischer Szenarien. In verschiedenen Bereichen besteht Nachbesserungsbedarf, u.a. bei der korrekten Gestaltung antizyklischer Szenarien, der Erfassung zustandsabhängiger Nichtlinearitäten, der Kalibrierung des angemessenen Zeithorizonts für Marktrisikoschocks und der Vermeidung der Doppelzählung von Schocks in einem systemweiten Stresstest.
Greg Hopper stellt die Szenariogestaltung für ein Finanzinstitut dar. Er hebt hervor, dass ein gut konzipiertes Stressszenario von einem gut entwickelten Risikoidentifizierungsprozess abhängt: Wenn man seine Risiken nicht kennt, ist es schwer zu wissen, was man stressen soll. Hopper weist darauf hin, dass komplexere Finanzinstitute wahrscheinlich mit komplexen Wechselbeziehungen zwischen den Geschäftsaktivitäten und somit mit Risiken konfrontiert sind. Dies macht es schwierig, das gesamte Risikoprofil mit nur einem Szenario zu erfassen, weshalb mehrere Szenarien erforderlich sind.
Natasha Sarin und Lawrence H. Summers betonen, dass Stresstests sowohl das Markt- als auch das Buchkapital berücksichtigen. Sie stellen fest, dass es "rätselhaft ist, dass [derzeitige] Bankenstresstests Marktinformationen über die Finanzstabilität gänzlich ausklammern, da die aufsichtsrechtlichen Kapitalquoten, auf die sie sich stützen, bekanntermaßen ein statisches und leicht arbitrierbares Maß für die tatsächliche Kapitalposition der Bank sind" (S. 164). Stresstests, die sich ausschließlich auf Marktdaten zur Gesundheit des Finanzsektors stützen, sind jedoch unvollkommen, da sie durch Rauschen beeinflusst werden können und prozyklisch sind.
Ein wesentliches Merkmal von Stresstests ist die Informationsgewinnung. Der Stresstest sollte uns etwas Neues über das Risikoprofil einer Bank oder eines Bankensystems sagen. Aber was sollte man offenlegen, wie viel sollte man offenlegen, und wer sollte offenlegen? Itay Goldstein und Yaron Leitner erörtern diese Fragen ausführlich und weisen darauf hin, dass eine umfassende Offenlegung nicht nur offensichtliche Vorteile, sondern auch Kosten mit sich bringt. Die Vorteile liegen auf der Hand: mehr Informationen für den Markt, die es Anlegern und anderen Akteuren ermöglichen, das Risikoprofil von Banken besser zu verstehen – kurz gesagt, es fördert die Marktdisziplin. Die Kosten sind weniger offensichtlich, aber sie umfassen die mögliche Verdrängung anderer Informationsquellen. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass die Publikation von Stresstestergebnissen leicht auch Marktpanik verursachen kann; ein Aspekt, der bei Goldstein und Leitner nur am Rande behandelt wird.
Im dritten Teil mikroprudenzielle Stresstests für viele unterschiedliche Finanzinstitutionen erörtert. Diese Stresstests für Geschäfts-, Investment-, Depotbanken und Vermögensverwalter werden kontrastiert durch die aufsichtliche Perspektive auf Stresstests. So leistungsfähig und populär Stresstests auch geworden sind, so rundet Christine M. Cumming den dritten Teil des Handbuchs mit einer ausführlichen Diskussion über die Stärken, aber auch die Schwächen des Instruments ab. Um nur zwei der verbleibenden Herausforderungen zu nennen: Gemeinsame Kapital- und Liquiditätsstresstests. Das Handbuch konzentriert sich fast ausschließlich auf Kapitalstresstests.
Der vierte Teil wendet sich von den Stresstests einzelner Institute ab und konzentriert sich auf die systemweiten Probleme, die Stresstests angehen sollen – oder könnten. Gonzalo Fernandez Dionis und Patricia C. Mosser liefert eine Begründung für die Entwicklung und Anwendung von Stresstests, die stärker systemisch – oder makroprudenziell – ausgerichtet sind. Charles A. E. Goodhart erörtert, wie Stresstests die Regulierungsbehörden bei der Entwicklung einer "ganzheitlichen Bankenregulierung" unterstützen können. Er schreibt, dass "solche Tests sowohl auf der Mikro- als auch auf der Systemebene theoretisch in der Lage sein sollten, relative Kapital-, Liquiditäts- und Profitabilitätsbelange in einem einzigen Paket zu berücksichtigen". (S. 376) Derzeit neigen die Regulierungsbehörden jedoch dazu, bei der Einführung oder Änderung von Finanzvorschriften einen Tunnelblick zu haben. Sie betrachten jeden Vorschlag isoliert, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie er sich ganzheitlich in die Gesamtheit der Finanzvorschriften für Banken einfügen könnte.
Richard B. Berner, Stephen G. Cecchetti und Kermit L. Schoenholtz konzentrieren sich auf Stresstestpraktiken aus einer Netzwerkperspektive. Sie heben zentrale Gegenparteien (CCPs) als Beispiel für einen kritischen Netzwerkknotenpunkt hervor. Da diese Netzwerke in hohem Maße miteinander verbunden sind, breiten sich Schocks schnell und weitreichend aus und können dabei sogar noch verstärkt werden. Solche Netzwerke sind in der Regel undurchsichtig, so dass die Entwicklung und Durchführung eines aussagekräftigen Stresstests eine Herausforderung darstellt. Die Autoren schlagen vor, marktbasierte Risikoindikatoren wie CoVaR und SRISK als Maß für systemische (Netzwerk-)Schwachstellen zu verwenden.
Der fünfte Teil des Handbuchs befasst sich mit makroprudenziellen Stresstests, die dazu dienen, das Systemrisiko in vernetzten Finanzsystemen zu bewerten. So erläutern Grzegorz Hałaj und Virginie Traclet beispielsweise erörtern, wie Ansteckungsmechanismen in den Bankenstresstestmodellen der Bank of Canada einbezogen werden. In ihrem Kapitel werden das Macro-Financial Risk Assessment Framework (MFRAF) und das Bank Dynamic Balance Sheet (BDBS)-Modell der Bank of Canada vorgestellt. MFRAF erfasst drei Zweitrundeneffekte (d.h. die Interaktion von Liquiditäts- und Solvenzrisiko, die Ansteckung durch überlappende Portfolios und die Ansteckung durch Forderungsverluste). Es erfasst aber nicht, wie Banken ihre Bilanzen als Reaktion auf Schocks und aufsichtsrechtliche Beschränkungen unter einem profitorientierten Optimierungsziel anpassen. Das BDBS-Modell tut genau dies. Es nutzt die Theorie der optimalen Portfolioauswahl, um zu modellieren, wie Banken ihre Bilanz (d.h. ihre Aktiva, Finanzmittel und ihr Eigenkapital) als Reaktion auf Schocks anpassen könnten, um die risikobereinigte Kapitalrendite zu maximieren und gleichzeitig die aufsichtsrechtlichen Beschränkungen (d.h. die risikogewichtete Eigenkapitalquote, die Verschuldungsquote und die Liquiditätsdeckungsquote) einzuhalten. Das Kapitel ordnet ihre Arbeit aufschlussreich in eine breitere Diskussion über die künftigen Herausforderungen bei der Verbesserung systemischer Stresstests ein.
Anthony Bousquet, Jérôme Henry und Dawid Żochowski zeigen wie ein makroprudenzieller Top-down-Stresstest für den Euroraum entwickelt werden kann. Er sollte mikroprudenziellen Stresstests aufbauen, die bereits für verschiedene Teilbereiche des Finanzsystems entwickelt wurden. Sie fordern einen Top-Down-Ansatz mit makroprudenzieller Politikgestaltung, um systemweite Wechselwirkungen innerhalb des Bankensektors sowie Rückkopplungen mit anderen Teilen des Finanzsystems, wie Versicherern, anderen Finanzinstituten (beispielsweise Geldmarktfonds) und zentralen Clearingstellen, erfassen zu können. Die Autoren argumentieren, dass agentenbasierte Modelle gut geeignet sind, um die Interaktionen zwischen Finanzintermediären in einem systemischen Stresstest zu modellieren. Entscheidend ist die richtige Balance zwischen politischer Interpretierbarkeit und realer Komplexität. Ob eine systemweite Modellierung möglich ist, hängt, wie sie betonen, von der Beschaffung detaillierterer finanzspezifischer Daten ab, insbesondere über Nichtbanken.
Als nächstes bietet Stefan Thurner eine Perspektive komplexer Systeme für die makroprudenzielle Regulierung. Die Wissenschaft komplexer Systeme – die Wissenschaft von selbstorganisierten, vernetzten dynamischen Systemen – kann zum Verständnis der Ursprünge des systemischen Risikos beitragen. Sie kann die derzeitige Stresstesttechnologie erweitern, indem sie sich systematisch auf die Zusammenhänge von Finanzverträgen und deren Auswirkungen auf das systemische Risiko konzentriert.
Schließlich bieten Nathanaël Benjamin, Abigail Haddow und David Jacobs einen Beitrag über Stresstests der eigenen Zentralbankbilanz vor. Sie legen dar, wie eine Zentralbank zukunftsorientierte Stresstests als Instrument für ihr eigenes Risikomanagement nutzen kann. Das Risiko einer Zentralbank ergibt sich aus ihrer bedingten Bilanzausweitung, die mit ihrer Rolle als Backstop für das Finanzsystem verbunden ist. In den Stresstests der Zentralbanken werden die sehr ungünstigen Szenarien festgelegt, für die die Zentralbank bereit sein muss, um ihre geld- und finanzpolitischen Ziele zu erreichen. Die Autoren betonen, dass der Schweregrad negativer Schocks endogen ist, da diese durch abmildernde Interventionen der Zentralbank beeinflusst werden. Diese Endogenität ist es aber, die adäquat zu erfassen ist. Wie kann ein interdependentes Netzwerk widerstandsfähiger gegenüber endogenen Umwälzungen gemacht werden, so die zentrale Frage.
Das Handbuch schließt mit einer zukunftsorientierten Diskussion von einem Teil der Herausgeber. Das Finanzwesen ist durch raschen Wandel und explodierende Komplexität gekennzeichnet. Dies kann zu ernsthaften Herausforderungen für die Aufsicht und Regulierung führen. Dem ist nur zuzustimmen. Die Unsicherheiten und Ambiguitäten lassen sich nur durch angemessene Stresstests erfassen. Es geht darum, verhältnismäßig und kohärent zu sein und Stresstests so zu organisieren, dass sie sowohl die Aufsicht als auch das Risikomanagement sinnvoll ergänzen. Das Kompendium liefert hierfür einen ausgezeichneten Fundus an verschiedenen Facetten, die bei Stresstests zu erfassen ist. Damit umschifft man auch das Problem sich auf ein Modell verlassen zu müssen. Die vielleicht größte Schwäche der Modelle war die Unterschätzung der gegenseitigen Abhängigkeit der Komponenten unserer Systeme und der Netzwerke, die sie bilden, so ein Autorenteam um William Hynes: "Anfälle im Stromnetz, die Zerstörung von Ökosystemen, die Ausbreitung von Epidemien und der Zusammenbruch des Finanzsystems sind im Grunde genommen jeweils ein anderer Zweig desselben Netzwerkstammbaums". (S. 383)
Autor:
Dr. Silvio Andrae