Das Wort "Handbuch" verspricht eine umfassende und praxisorientierte Auseinandersetzung mit dem Projekt "Solvency II" zur grundlegenden Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa, vor allem der Solvabilitätsvorschriften für die Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen. Analog zu Basel II wird auch bei Solvency II ein 3-Säulen-Ansatz verfolgt. Im Zentrum der neuen Vorschriften steht ein ganzheitliches System zur Ermittlung der Gesamtsolvabilität. Neben quantitativen (steht jederzeit ein adäquates Solvenzkapital zur Verfügung?) werden hier vor allem auch qualitative Aspekte (besteht ein angemessenes Risikomanagementsystem im Unternehmen?) berücksichtigt.
Das Handbuch gliedert sich in vier Themenblöcke. Der erste Abschnitt konzentriert sich auf das Basiswissen rund um Solvency II. Auf rund 30 Seiten wird die neue Architektur der europäischen Finanzdienstleistungsaufsicht skizziert. Der zweite Themenblock beschäftigt sich mit den Grundlagen der ersten und zweiten Säule von Solvency II. So wird beispielsweise Basiswissen zur Standardformel vermittelt.
Hierbei fällt auf, dass einige Ausführungen unpräzise bzw. fehlerhaft sind. So misst der Value at Risk nicht den maximalen Verlust bei einer vorgegebenen Eintrittswahrscheinlichkeit (Seite 66). Er gibt vielmehr den (kleinsten) Verlust an, der mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit (Konfidenzintervall) nicht überschritten wird, durchaus aber überschritten werden kann. Im Kapitel "Erörterung praktischer Fragen vor dem Hintergrund der Quantitative Impact Studies" (QIS) konnten die Autoren auf die Ergebnisse von QIS5 nicht eingehen.
Die anschließenden Kapitel konzentrieren sich auf die "Anforderungen an das Governance-System von Versicherungsunternehmen und -gruppen" sowie die veränderten Anforderungen an die Interne Revision. Nach einem Text zur Gruppenaufsicht folgt ein Praxisbericht über die Einführung eines internen Modells bei der Talanx-Gruppe. Insgesamt fällt im zweiten Themenabschnitt (Grundlagen der Säule 1 und 2) auf, dass die zweite Säule in den Ausführungen fast komplett ausgeblendet wird. Dies ist erstaunlich, da doch gerade die qualitative Dimension des Risk Managements durch Solvency II an Bedeutung gewinnt und auch die Finanzaufsicht ihren Prüfungsschwerpunkte vor allem auch auf die qualitative Betrachtung der bei der Modellierung angewandten Vorgehensweise, der Dokumentation, der Verankerung des Modells in den internen Prozessen und der Berücksichtigung der Ergebnisse bei der Steuerung des Unternehmens setzt.
Auch der anschließende dritte Themenblock konzentriert sich ausschließlich auf die erste Säule. So folgen beispielsweise Ausführungen zur Modellierung versicherungstechnischer Risiken in internen Modellen, replizierenden Portfolios in der Lebensversicherung, Marktrisikomodellen, der Profit and Loss Attribution sowie Modellrisiken und Validierung. Zwei weitere Texte, die im Kapitel "Spezialthemen" einsortiert wurden, beschäftigen sich mit Variable Annuities und Rückversicherung im Kontext Solvency II.
Bei dem Sammelwerk handelt es sich um eine mehr oder weniger strukturierte Ansammlung von Einzelbeiträgen rund um die erste Säule von Solvency II. Die zweite und dritte Säule wird nur am Rand erwähnt. Kurzum: Der Titel "Handbuch Solvency II" verspricht mehr, als der Inhalt bietet. Ein Handbuch verpflichtet alle Autoren dazu, punktgenaue Lösungen und klare Empfehlungen darzulegen, die den Anwender bei der Problembewältigung unterstützen. Und ein Handbuch sollte auch den Anspruch haben, ein Thema umfassend von A bis Z abzubilden.
Fazit: Die Publikation kann als Aufsatzsammlung dem einen oder anderen Leser einen Mehrwert bietet. Für ein Handbuch fehlen aber vor allem eine klare Struktur und Inhalte zu den Säulen 2 und 3.
Rezension von Frank Romeike
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