Eigentlich hätten die McKinsey-Autoren (Andreas Merbecks, Uwe Stegemann, Jesko Frommeyer) ihr Buch auch "Intelligentes Chancen- und Risikomanagement" nennen können. Bereits auf den ersten Seiten wird dem Leser klar, dass es beim Risikomanagement nicht um die reine Risikovermeidung geht, sondern – nach dem Motto "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt" – eher darum, Risiken zu verstehen und gezielt zu managen. Nur eine Risikodefinition, die sowohl die positive (Chance) als auch die negative Abweichung (Gefahr) berücksichtigt, ergibt schließlich Sinn. Diese zweiseitige Risikodefinition erklären die Autoren an einem Beispiel: Weil der Großoptiker Fielmann seine Risiken quantifizieren kann und sie steuert, weiß er, dass er sich eine vom Kunden honorierte "Geld-zurück-Garantie" für unzufriedene Brillenkunden leisten kann. So wird Risikomanagement automatisch auch zum Chancenmanagement.
Das Buch gliedert sich in insgesamt acht Kapitel und begründet im ersten Teil zunächst, warum Unternehmen Risikomanagement benötigen und warum dies eine strategische Managementaufgabe ist. Bei der Einführung eines Risikomanagements haben die McKinsey-Autoren ein praxisorientiertes Konzept entwickelt (basierend auf dem traditionellen Risikomanagement-Prozess), das in drei Schritten vom defensiven Risikomanagement zum offensiven Chancenmanagement führt. In einem ersten Schritt müssen alle relevanten Risiken des Unternehmens identifiziert, gemessen und dokumentiert werden. Anschließend entwirft das Management Strategien zum intelligenten Umgang mit den identifizierten Risiken, um in einem dritten Schritt das Risikomanagement auch organisatorisch zu verankern. In den folgenden Kapiteln werden im Wesentlichen die drei skizzierten Prozessphasen detailliert beschrieben und mit Praxisbeispielen untermauert. Ergänzt werden die Kapitel durch zwei Interviews mit Dr. Thomas Fischer (Vorstandsvorsitzender WestLB) sowie Fred A. Peemöller (Noch-OpRisk-Verantwortlicher bei der Deutschen Bank). Da sich das Buch auch an Nicht-Finanzdienstleister wendet, wird der eine oder andere Leser hier ein "Best-Practice"-Interview aus der Industrie vermissen. Insbesondere im Bereich der ältesten Risiken der Welt, den operationellen Risiken, haben sowohl (Rück-)Versicherungen als auch die Industrie eine langjährige Erfahrung bei der Identifizierung, Bewertung und Steuerung.
Insgesamt gibt der zweite Band aus der Reihe "McKinsey Perspektiven" einen guten und praxisorientierten Einblick in das Risikomanagement der verschiedenen Branchen. Da das Buch jedoch alle Branchen gleichermaßen abdecken will und sich auch primär an Entscheider wendet, bleibt es insgesamt eher auf einer Metaebene. Der Chief Risk Officer in einer Versicherung wird Begriffe wie "Asset Liability Mismatching" oder "Dynamic Financial Analysis" vermissen. Der Risikomanager im kleineren mittelständischen Unternehmen, der Risiken primär qualitativ bewertet, wird mit dem "Value at Risk"-Konzept wenig anfangen können. Und möglicherweise ist seine "Bauch"-Schätzung besser als ein VaR-Maß, da dieses genau jenen Teil der Wahrscheinlichkeitsverteilung außer Acht lässt, der für das Risikomanagement am relevantesten ist, da Wahrscheinlichkeitsaussagen sehr unvollkommene Risikomaße sind. Ein Glossar hilft dem Einsteiger bei der Begriffseinordnung, Stichwortverzeichnis werden die Leser jedoch vermissen. Trotz alledem kann das Buch allen Einsteigern in das komplexe Thema "Risiko- und Chancenmanagement" empfohlen werden.
Rezension von Frank Romeike