Storytelling strategisch im Risiko-, Krisen- und Fehlermanagement anwenden

Risky Stories


Rezension

Das Autorenteam beschäftigt sich in ihrem Buch mit einem äußerst spannenden Thema, nämlich mit dem "Transportmittel" des Storytellings, um schwierig vermittelbare Informationen adressatengerecht aufzubereiten. Aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass sich Menschen nur ungern mit Risiken beschäftigen. Auf der anderen Seite ist bekannt, dass Menschen sich gerne mit "spannenden Geschichten" beschäftigen. Da liegt es nahe, mitunter komplexe Themen in Geschichten zu verpacken.

Das Buch ist in sechs Kapitel strukturiert: 1. Einleitung, 2. Skills, 3. Capture, 4. Share, 5. Generate und 6. Storytelling-Toolbox.

Hierbei orientieren sich die Autoren am Prozess des Storytelling. Im Kapitel Skills werden wichtige Kompetenzen für das Risikomanagement vorgestellt. Bei der Lektüre wird man von dem Gefühl geleitet, dass der "ideale" Risikomanager eine Art eierlegende Wollmilchsau ist, die alles kann. Es fehlt ein wenig die Beweisführung, dass diese Kompetenzen und in welcher Ausprägung wirksamer sind als andere? Lebt ein wirksames Risikomanagement nicht gerade von einem konstruktiven Dialog höchst unterschiedlicher Kompetenzen (auch als "Laterales Denken" bzw. Querdenken bezeichnet). Hier wäre möglicherweise ein Verweis auf den Kompetenz-Atlas der beiden Wissenschaftler John Erpenbeck und Volker Heyse sinnvoll gewesen, die in einer aufwendigen Studie über 300 Kompetenzbegriffe grundlegenden Kompetenzfeldern zugeordnet haben. Die Kompetenzfelder können in sieben Hauptkategorien eingeteilt werden: 1. Fachkompetenz, 2. Methodenkompetenz, 3. Sozialkompetenz, 4. Selbstkompetenz, 5. Handlungskompetenz, 6. Führungskompetenz und 7. Lernkompetenz. Denn alle Kompetenzfelder sind für einen Risikomanager relevant.

Die Fachkompetenz bezieht sich auf die Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Risikomanagement, Finanzen und Compliance. Die Methodenkompetenz umfasst die Fähigkeiten, verschiedene Analysemethoden und -techniken anzuwenden, um Risiken zu identifizieren und zu bewerten. Die Sozialkompetenz ist für die Zusammenarbeit und Kommunikation mit verschiedenen Stakeholdern im Unternehmen von Bedeutung. Selbstkompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation, Selbstmotivation und Anpassung an Veränderungen. Handlungskompetenz ist entscheidend für die Umsetzung von Risikomanagementstrategien und -maßnahmen. Führungskompetenz wird benötigt, um Teams und Projekte zu leiten, die Umsetzung von Risikomanagementstrategien zu gewährleisten und andere im Unternehmen für das Risikomanagement zu sensibilisieren.  Lernkompetenz ist wichtig, um kontinuierlich zu lernen und die Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Risikomanagement auf dem neuesten Stand zu halten.

Der Entwicklungspfad zur Reifegradentwicklung in den unterschiedlichen Kompetenzfeldern könnte in eine "Story" verpackt werden.

Im Kapitel "Capture" werden unter anderem ein Reifegradmodell und Risikotypologien vorgestellt. Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass keine dieser Typologien oder unterschiedlichen Modelle vollständig sind oder alle Aspekte des menschlichen Risikoverhaltens abdecken. Sie bieten "nur" Rahmenbedingungen, um zu verstehen, wie Menschen Risiken wahrnehmen und darauf reagieren.

Tatsächlich ist es so, dass Risiko-Typologien dazu tendieren, menschliches Verhalten und Einstellungen in vereinfachte Kategorien einzuteilen. Menschen sind jedoch komplexe Wesen, und ihr Verhalten kann von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden, die nicht immer in einer Typologie oder einem Modell berücksichtigt werden.

Außerdem kann die Risikobereitschaft einer Person je nach Situation oder Kontext variieren (siehe Verhalten im Büro versus im Freizeitsport). Typologien, die Menschen in feste Kategorien einteilen, können diese Kontextabhängigkeit übersehen und die Tatsache vernachlässigen, dass Menschen in verschiedenen Situationen unterschiedliche Risikopräferenzen haben können.
Des Weiteren können Modelle und Typologien, die kulturelle und soziale Faktoren, die das Risikoverhalten beeinflussen, nicht ausreichend berücksichtigen, unvollständig oder ungenau sein. Risikoeinstellungen können von kulturellen Normen, sozialen Erwartungen und persönlichen Erfahrungen beeinflusst werden, die in manchen Typologien nicht angemessen berücksichtigt werden.

Außerdem verändern Menschen im Laufe der Zeit ihre Risikoeinstellungen und -präferenzen ändern. Typologien, die statische Kategorien verwenden, können diese Dynamik und Veränderung möglicherweise nicht erfassen.

Die empirische Forschung, die zur Entwicklung von Risiko-Typologien verwendet wird, kann von methodischen Einschränkungen betroffen sein, wie beispielsweise Stichprobengröße, Stichprobenverzerrungen oder ungenaue Messungen. Diese Einschränkungen können die Gültigkeit und Generalisierbarkeit der Typologien beeinträchtigen.

Es ist wichtig, diese Kritikpunkte bei der Anwendung von Risiko-Typologien zu berücksichtigen und sie als hilfreiche, aber nicht allumfassende Instrumente zur Erklärung und Vorhersage des menschlichen Risikoverhaltens zu betrachten. Diesen Aspekt sollte das Autorenteam bei einer Neuauflage des Buches stärker hervorheben.

Insgesamt sprechen die Autoren den "story-tellenden" Risikomanager oder den "risiko-managenden" Storyteller an. Wie ließen sich die beiden unterschiedlichen Kompetenzfelder bzw.  Rollen als Verantwortlicher wirkungsvoll umsetzten?  Anregungen dazu lassen sich unter anderen bei dem Ansatz des "Inneren Teams" von Schultz von Thun finden.

Das Modell des Inneren Teams ist entwickelt worden, um die verschiedenen inneren Stimmen und Rollen zu verstehen, die in uns bei einer Aufgabe wirken können. Diese inneren Stimmen repräsentieren unterschiedliche Bedürfnisse, Werte und Perspektiven, die in verschiedenen Situationen zum Vorschein kommen. Das Innere Team kann gerade auch im Zusammenhang mit Storytelling und der Entwicklung von Kompetenzen, die für diese Rolle erforderlich sind, betrachtet werden.

Bei der Zusammenführung der Rollen des Risikomanagers und des Storytellers kann das Innere Team eine Mischung aus verschiedenen inneren Stimmen und Rollen enthalten, die unterschiedliche Aspekte der beiden Perspektiven repräsentieren. Beispielhaft könnten sich folgenden Teammitglieder zu Wort melden:

  1. Analytiker Alex: Verantwortlich für die Identifizierung und quantitative Bewertung von Risiken. Alex konzentriert sich auf die sachliche Seite der Risikomanagementaufgaben und stellt sicher, dass Risiken gründlich analysiert, bewertet und aggregiert werden.
  2. Storyteller Steffi: Steffi ist der kreative Kopf im Team und sorgt dafür, dass Geschichten ansprechend und interessant gestaltet werden. Sie konzentriert sich darauf, emotionale Verbindungen zu den Stakeholdern herzustellen und komplexe Informationen auf verständliche Weise zu vermitteln, beispielsweise durch Bilder.
  3. Stratege Stefan: Stefan fokussiert sich darauf, angemessene Risikomanagementstrategien und Maßnahmen zu entwickeln und diese in Geschichten und Kommunikationsmaterialien zu integrieren. Er denkt langfristig und plant vorausschauend.
  4. Kommunikatorin Karin: Karin ist für die effektive verbale Kommunikation sowohl im Risikomanagement als auch im Storytelling verantwortlich. Sie stellt sicher, dass die Botschaften klar und verständlich sind und die Bedürfnisse und Erwartungen der verschiedenen Stakeholder berücksichtigt werden.
  5. Teamplayer Tim: Tim ist auf Zusammenarbeit und Teamarbeit fokussiert. Er achtet darauf, dass die unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven innerhalb des Teams und von externen Stakeholdern berücksichtigt werden und fördert eine offene und unterstützende Arbeitsumgebung.
  6. Netzwerkerin Nina: Nina ist für das Aufbauen und Pflegen von Beziehungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zuständig. Sie sorgt dafür, dass Informationen und Best Practices im Bereich Risikomanagement und Storytelling ausgetauscht und weiterentwickelt werden.
  7. Anpassungsfähiger Adrian: Adrian ist in der Lage, sich schnell an Veränderungen anzupassen, sowohl in Bezug auf neue Risiken als auch auf sich ändernde Trends im Storytelling. Er hilft dem Team, flexibel zu bleiben und aus der Zukunft Handlungen für Heute zu erkennen
  8. Lernunterstützende Laura: Laura ist immer bereit, neue Fähigkeiten zu erlernen und sich weiterzuentwickeln. Sie sorgt dafür, dass das Team auf dem neuesten Stand bleibt und sich kontinuierlich in den Bereichen Risikomanagement und Storytelling weiterbildet.

In diesem inneren Team arbeiten die Mitglieder zusammen, um sowohl effektives Risikomanagement als auch ansprechendes Storytelling zu gewährleisten. Sie ergänzen und unterstützen sich gegenseitig und sorgen dafür, dass die verschiedenen Aspekte der beiden Bereiche angemessen berücksichtigt und integriert werden.

Betrachten wir das Buch vor dem Hintergrund der Anforderungen an "Story Telling". Und beantworten wir die Frage, ob das Buch diese Anforderungen erfüllt?

Klarheit: Verwenden Sie klare und präzise Sprache, um sicherzustellen, dass Ihre Botschaft verständlich ist. Vermeiden Sie unnötige Fachbegriffe und verwenden Sie stattdessen allgemein verständliche Begriffe. 

Antwort: Die Frage kann nur im Kontext der Zielgruppe beantwortet werden. Für den Laien dürften einige Ausführungen zu kompliziert sein. Für den erfahrenen Risikomanager dürften demgegenüber die Inhalte zu dünn sein.

Relevanz: Stellen Sie sicher, dass Ihre Geschichten und Bilder für Ihre Zielgruppe relevant sind. Berücksichtigen Sie den Kontext, die Branche und die spezifischen Herausforderungen, mit denen Ihr Unternehmen konfrontiert ist. 

Antwort: Ehrlich gesagt habe ich mir hier von den Geschichten mehr erwartet. Ein Beispiel liefert das Buch "Der Termin. Roman über ein Projektmanagement" oder auch "Allein auf stürmischer See".

Emotionaler Bezug: Bauen Sie einen emotionalen Bezug auf, indem Sie menschliche Elemente in Ihre Geschichten und Bilder einbeziehen. Zeigen Sie, wie Risiken und Herausforderungen die Menschen im Unternehmen betreffen, und vermitteln Sie die Bedeutung der Zusammenarbeit und Unterstützung. 

Antwort: Für einen emotionalen Bezug fehlt mir eine durchgängige Geschichte. Auch in den Bildern fehlt mitunter Emotionalität.

Struktur: Eine gut strukturierte Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Stellen Sie sicher, dass Ihre Geschichten einen klaren Handlungsverlauf haben, um die Zuhörer oder Leser bei der Stange zu halten und den Gesamtkontext der Risiken und Herausforderungen besser zu vermitteln. 

Antwort: Die Autoren erzählen keine durchgängig strukturierte Geschichte, sondern werfen dem Leser einzelne Puzzleteile hin – deren Struktur sich nicht sofort erschließt.

Visuelle Darstellung: Nutzen Sie ansprechende und aussagekräftige Bilder oder Grafiken, um Ihre Geschichten zu ergänzen und die Informationen leichter verständlich zu machen. Achten Sie darauf, dass die visuellen Elemente den Inhalt der Geschichte unterstützen und nicht von der Hauptbotschaft ablenken. 

Antwort: Hier waren meine Erwartungen am größten. Und leider sind viele Visualisierung wenig emotional umgesetzt. 

Fazit: Das "Transportmittel" des Storytelling wird im Risikomanagement aktuell so gut wie überhaupt nicht genutzt. Daher liegt ein großer Verdienst des Autorenteam darin, dass sie aufgezeigt haben, wie komplexe Risiko-Themen in Geschichten verpackt werden können. Doch leider haben sich im Buch einige Defizite eingeschlichen, die vielleicht in einer Neuauflage berücksichtigt werden.

Ilka Heinze / Thomas Henschel / Jens Hirt (2023):

Risky Stories – Storytelling strategisch im Risiko-, Krisen- und Fehlermanagement anwenden,


Springer Verlag, 127 Seiten, Wiesbaden 2023, ISBN: 978-3-658-40309-6

Weitere Infos

 

[ Bildquelle Titelbild: Springer Verlag ]
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