Regulatorische Anforderungen, Umsetzung, Steuerung

Szenarioanalysen und Stresstests in der Bank- und Versicherungspraxis


Rezension

Das Wort Stress hat seinen Ursprung im Lateinischen: "strictus", das mit "angezogen, stramm oder gespannt" übersetzt werden kann. In der Alltagssprache ist Stress eine tagtägliche und jedermann bekannte psychische  und physische Reaktion auf eine Herausforderung. Auf der einen Seite benötigt der Mensch für eine normale körperliche und seelische Entwicklung angemessene Belastungen (Eustress) und auf der anderen Seite kann Stress krank machen, wenn die Beanspruchungen übermäßig sind, wenn sich der Körper fast ständig in erhöhter Alarmbereitschaft befindet (Distress).

Der Begriff Stress hat mittlerweile auch Einzug in die Ökonomie gehalten. Mit Hilfe von Stresstests können Unternehmen die potenziellen Auswirkungen von katastrophenähnlichen Ereignissen und krisenhaften Entwicklungen im Detail analysieren und sich präventiv vorbereiten. So wird beispielsweise mit Stresstests untersucht, ob Banken eine ausreichende Risikotragfähigkeit habe, um in einem konjunkturellen Umfeld zu bestehen oder Worst-Case-Szenarien zu überleben.

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Stresstests nicht besonders ernst genommen wurden. Vielleicht kann es verglichen werden mit dem Lesen von Betriebsanleitungen, was in der Regel nur wenig Freude beschert. Daher legen viele den Papierkram rasch zur Seite und schließen die Geräte erst mal an. So ähnlich müssen in den vergangenen Jahren auch viele Anwender von Risikomodellen vorgegangen sein, haben sie doch den Hinweis übersehen: "Funktioniert nur unter normalen Marktbedingungen".

Dieses Manko wurde durch die Finanzmarktkrise vielen Anwendern ins Gedächtnis gerufen. Auch die Aufsichtsbehörden reagierten und forderten per Ende 2009 in der Novellierung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) was seit eh und je dem kundigen Leser von Modelldokumentationen bekannt war. Die meisten im Einsatz befindlichen Modelle messen das Verlustrisiko bei normal funktionierenden Märkten mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Für die Quantifizierung der Risiken jenseits dieser gewählten Wahrscheinlichkeit bedarf es ergänzender Modelle, in der Regel auf Basis von Stressszenarien.

Bereits im Jahr 2006 hatte das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) in seinem Diskussionpapier "Technical aspects of stress testing under the supervisory review process – CP12" umfangreiche Forderungen nach Stresstests aufgestellt. Darin waren neben den klassischen Marktpreis- und Adressrisiken auch Liquiditätsrisiken und makroökonomische Risiken abgedeckt. Mit Hinblick auf die zwei bis drei Jahre später eingetretene Finanzmarktkrise hätte also kein Institut unvorbereitet sein müssen. Streng genommen müssten sich die Banken an den alten Hinweisen und Anforderungen der CEBS von Anfang Juni 2006 heute messen lassen:

  • "... stress testing may be used to assess the adequacy of internal capital ..."
  • "... stress testing should be used to supplement statistical methodologies (such as VaR). Stress testing helps form a view where paucity of historical data limits the predictive power of such models ..."
  • "... institutions should use stress testing as one tool to assess the risks in a forward looking manner ...".


Das CEBS hatte damals in einem Diskussionspaper zusammengefasst was ohnehin schon lange bekannt war (und leider niemand lesen wollte): Auch in Stressszenarien gemessene Risiken müssen noch von der Risikotragfähigkeit des Instituts gedeckt sein, Risikomessungen mit VaR-Modellen sollten durch Stresstests erweitert werden, historische Betrachtungen sind unzureichend und sollten um zukünftige Risikoszenarien ergänzt werden.

Mehr als drei Jahre später wurden durch die Novellierung der MaRisk und flankierende Dokumente wie beispielsweise die "Principles for sound stress testing practices and supervision" des Baseler Ausschusses sowie einem aktuellen CEBS-Papier "Guidelines on stress testing" diese Themen noch einmal ganz oben auf die Agenda gesetzt. Einige Bankpraktiker finden darin die erstmalige Erkenntnis der oben genannten Modellschwächen, machen die "falschen" Modelle für das Desaster verantwortlich und aus dem "neuen" Stresstesting eine Wissenschaft.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht handelt es sich beim Stresstesting um Szenario- und Sensitivitätsanalysen, die historisch vor der Etablierung stochastischer Modelle bereits flächendeckend im Einsatz waren. Diese Methoden bieten eine einfach verständliche Darstellung von Risiken bei vorab bestimmten Entwicklungen und erfordern keinerlei statistische oder konzeptionelle Kenntnisse der Methode. Das Problem für die Praxis besteht in der Ableitung außerordentlicher und trotzdem realistischer Stressszenarien.

Fazit:

Das vorliegende Herausgeberwerk "Szenarioanalysen und Stresstests für die Bank- und Versicherungspraxis" von Walter Gruber, Marcus R. W. Martin und Carsten S. Wehn liefert hier eine wertvolle Hilfestellung bei der Umsetzung von Stresstests in der Praxis. Der Zeitpunkt für einen dieses inzwischen (wieder) besonders relevante Thema umfassenden Herausgeberband könnte kaum günstiger sein: Stresstests sind zu Recht in aller Munde! Das vorliegende Buch besticht durch die Stringenz und den Umfang, mit dem das sehr facettenreiche Thema angegangen wird. Den Herausgebern ist es dabei gelungen, erfahrene Autoren aus den unterschiedlichsten Bereichen – sowohl Theorie als auch Praxis, Versicherungen wie auch Banken und Beratungen – zusammen und damit Szenarioanalysen und Stresstests in ihrer Vielfalt dem Leser näher zu bringen. Die Beiträge stellen dabei den aktuellen Stand der Wissenschaft wie auch aus der Bankpraxis dar. Der Herausgeberband wird zweifelsohne eine Standardreferenz für Stresstests werden. Daher kann das Buch uneingeschränkt allen Praktikern in Banken und Versicherungen sowie Wissenschaftlern als fundierte Basis- und Vertiefungslektüre empfohlen werden.

Rezension von Frank Romeike


Details zur Publikation

Autor: Gruber/Martin/Wehn (Hrsg.)
Seitenanzahl: 388
Verlag: Schäffer-Poeschel
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsdatum: 2010

RiskNET Rating:

Praxisbezug
Inhalt
Verständlichkeit

sehr gut Gesamtbewertung

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