Nach der "Der große Raubzug" (Rezension sowie Interview mit dem Autor auf RiskNET) folgt nun eine Abrechnung mit der nationalen und internationalen Finanzwirtschaft sowie der Wirtschaft insgesamt. In seiner bekannt offensiven Art lüftet Alexander Dill unter dem Begriff der "Täuschwirtschaft" diverse Fehlentwicklungen durch Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In weiten Teilen unseres täglichen Lebens werden wir – so der Autor – übers Ohr gehauen. So werden beispielsweise rund 69 Prozent des Einkommens durch Lohnsteuer, Sozialabgaben und Umsatzsteuer gepfändet. Dill weiter: "Es widerspricht der angeblich existierenden Marktwirtschaft, wenn ein Großteil des Einkommens zwangsverpfändet wird, anstatt sich in angeblich konkurrierenden Märkten aussuchen zu dürfen, wohin es fließt."
Das Buch ist in drei Teile gegliedert und enthält einen kleinen Anhang, der sich mit einem bei der Investment-Bank Goldman Sachs vor wenigen Monaten aufgedeckten Betrugsfall (Buddies First: Warum der Fall Goldman Sachs keine Ausnahme, sondern die Regel ist) befasst. Im ersten Teil des Buches erfährt der Leser – basierend auf 13 Beispielen – warum wir systematisch durch gezielte Fehlinformationen getäuscht werden. Wussten Sie beispielsweise, dass Mineralwasser an Tankstellen in Deutschland 425 Prozent teurer ist als in der Schweiz? Oder das der deutsche Staat Stundenlöhne von 2.000 Euro zulässt? Dass mit Dispositionskrediten an Arbeitslose eine Rendite von 1.600 Prozent erreicht wird? Oder das die Bundesregierung das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen abschaffte, um Betrügereien zu erleichtern? Und dass die einschlägigen Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Strafgesetzbuches auf systematischen Betrug nie angewendet werden?
Im zweiten Teil des Buches ("Die Harvard-Ökonomie") lernen wir, dass führende US-Ökonomen seit Jahrzehnten das US-Bruttosozialprodukt fälschen, um eine höhere Staatsverschuldung zu ermöglichen. In diesem Kontext weist Dill auch darauf hin, dass die jüngste Finanzkrise künstlich erzeugt wurde, damit die Finanzwirtschaft billig an "echte Werte" (Aktien) kommt. Daher spricht der Autor auch von einer Scheinkrise, die wohl nur dazu diente, dass Staaten günstig Banken aufkaufen können und diese in Vertriebsstationen für Staatsanleihen verwandelt können. Außerdem hätten Großanleger, die Cash-Positionen gehalten haben, sich nun günstig mit Aktien eindecken können. Das Geld hierfür lieferten u. a. die Zentralbanken. "Der Staat übernimmt die Bank, gibt die Garantien und die Bank kauft nun mit eigenem Fondskapital zu historisch niedrigen Zentralbankzinsen die Aktien auf. Zugleich verabschiedet der Staat Gesetze, die die Bürger mehr oder weniger dazu zwingen, ihr Geld in Staatsanleihen anzulegen." Dill begründet seine These mit der Bärenfalle u. a. damit, dass der finale Crash bisher ausgeblieben sein. Diese Behauptung ist gewagt. Und insgesamt vermischen sich im zweiten Teil der "Täuschwirtschaft" gewagte und nur mäßig fundierte Behauptungen mit solide recherchierten und belegten Fakten.
Im dritten Teil zeigt der Autor seine Alternative auf. Wirtschaft sei das Zusammenspiel zwischen natürlichen, sozialen und privaten Gemeingütern. So stellt Dill ein Konzept vor, das er "Gemeingüterkapitalismus" nennt und von dem er hofft, dass sich in ihm "die kreativen Potenziale des Privateigentums mit den sozialen und natürlichen Gemeingütern verbinden". In diesem Kontext skizziert der Autor einen Index, mit dem sich Gemeingüter ökonomisch bewerten lassen. So führt beispielsweise in der klassischen Welt der Ökonomen ein Rückgang der Geburtenrate zu einer Zunahme des BIP pro Kopf, da sich weniger Bewohner den vorhandenen Reichtum teilen. Da jedoch die Gesamtheit des demografischen Potenzials ein essenzielles Gut für jede Volkswirtschaft ist, wird die Geburtenrate mit Gewichtung in den Gemeingüterindex einbezogen.
Fazit: Wieder einmal traut sich Alexander Dill, gegen den Strom der etablierten Meinungen zu schwimmen und bringt seine Sicht der Dinge klar und prägnant auf den Punkt. Hierbei lässt sich möglicherweise nicht vermeiden, dass der Übergang von fundiert recherchierten Fakten und zweifelhaften Thesen mitunter fließend ist. Möglicherweise reichen 190 Seiten auch nicht aus, die betrügerische Seite des komplexen und dynamischen Systems "Wirtschaft" fundiert und umfassend darzustellen. Trotz alledem kann das neue Buch von Alexander Dill allen empfohlen werden, die mehr über die betrügerische Seite der Wirtschaft erfahren möchten. So kann jeder Bürger derartigen "Betrügereien" – zumindest teilweise – aus dem Weg gehen.
Rezension von Frank Romeike