Die letzte Finanzkrise hat gezeigt, dass internationale Finanzmärkte nicht nur ein wesentliches und wichtiges Instrument ökonomischer Wachstumsprozesse und ein Multiplikator für Wohlstandsgewinne darstellen, sondern auch krisenhafte Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft hervorbringen sowie verstärken können. Um diese janusköpfige Gestalt der Finanzmärkte zu verstehen und auch sinnvoll zu regulieren, muss man tief in die Funktionsweise der Finanzmärkte eintauchen. Hierzu gehört auch, dass man den Akteuren auf die Finger schaut, deren Methoden bzw. Modelle versteht und auch die Organisation und die Subkultur der Finanzmärkte versteht.
Die Diskussion über die Regulierung und Reform der Finanzmärkte hat gezeigt, dass ein gesundes und robustes Finanzsystem davon abhängt, welche Governance und hier vor allem Kultur umgesetzt und gelebt wird. Basierend auf intensiven Recherchen in einem Handelsraum der Wall Street für Finanzderivate hat Autor Daniel Beunza untersucht, wie sich die Kultur von Finanzorganisationen verändern müsste, damit sie auch in Krisenzeiten robust bleiben.
Daniel Beunza hat in seinem Buch "Taking the Floor: Models, Morals, and Management in a Wall Street Trading Room" vor allem auch analysiert, wie der umfassende Einsatz von Finanz- und Risikomodellen und Technologien in den letzten Jahrzehnten einen weitreichenden und beunruhigenden Einfluss auf die Wall Street ausgeübt hat. Wie haben quantitative Modelle die Finanzmärkte verändert? Wie haben Modelle das moralische Verhalten bei den Marktteilnehmern verändert?
Viele Menschen denken beim Thema "Börsenhandel" nach wie vor an Bildschirme mit Kurstickern und an das Börsenparkett mit schreienden Händlern. Doch seit vielen Jahren schreit niemand mehr auf dem Parkett herum. An den Börsen arbeiten zwar noch Menschen, aber sie sind weder die Herren des Finanzmarkts, noch haben sie einen privilegierten Einblick in die Märkte. Heute findet der Aktienhandel in einer Black Box statt, genauer gesagt in Hochsicherheitsgebäuden in New Jersey und Chicago, London und so weiter. Was in dieser Black Box vor sich geht, wissen nur "Insider". Tatsache ist, dass etwa vierzig Prozent der Börsengeschäfte, die auf der elektronischen Handelsplattform der Deutschen Börse getätigt werden, auf das Konto der sogenannten Flash-Trader zurückgeht.
So handelt es sich beispielsweise beim Robotic Stock Trading um eine spezifische Art von Hochfrequenz-Handels (High Frequency Trading, HFT), bei dem Wertpapiere innerhalb von Millisekunden gekauft und verkauft werden. Der Sekundenhandel basiert auf Orderinformationen, die sie gegen eine Gebühr Bruchteile von Sekunden früher als andere erhalten. "Frontrunning" nennen das die Börsenexperten. Diese zeitliche Differenz reicht aus, damit die Skalarrechner oder Vektorrechner eigene Orders um die entscheidende Millisekunde früher an den Markt schleusen können.
HFT führt u.a. dazu, dass Finanzmärkte sensibler und anfälliger geworden sind für schwache Signale. Flash Trader können zum Beispiel durch Scheinaufträge die Märkte bewegen. Algorithmen werden so optimiert, dass sie innerhalb von Milli- oder Nanosekunden auf ein Ereignis reagieren können. In der Konsequenz kann daher der Hochfrequenzhandel durch einen Dominoeffekt zu einer Destabilisierung der Märkte führen.
Der Leser von "Taking the Floor" begleitet den Autor hinter die Kulissen und in den Tradingroom. Hier zeigt der Autor das zunehmende Risiko auf, dass quantitative Modelle dazu verleiten können, dass das Risiko von der Moral losgelöst wird. Es sind Algorithmen, die Entscheidungen treffen. Und ein Algorithmus kann weder zwischen "richtig" und "falsch" noch zwischen "Gut" und "Böse" unterscheiden. Ein Algorithmus ist quasi "gewissenlos gewissenhaft". Trading-Algorithmen können Entscheidungen nicht hinsichtlich ihres moralischen Gehalts überprüfen.
Beunza öffnet die Black Box eines Wall Street Trading Rooms und präsentiert dem Leser ein überraschendes Bild von Moral und Governance. Das Buch liefert hiermit vor allem Anreize für den Aufbau und die Weiterentwicklung einer nachhaltigen Governance-Struktur und einer gelebten Risikokultur. Aus der Perspektive eines Risikomanagements zeigt der Autor auf, dass ein solcher technologie- und modellgetriebener Handel die potenziellen Systemrisiken massiv erhöht hat.